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"Ich darf nicht urteilen"
Hassfurt Sie ist Stammgast auf der Anklagebank. Doch nicht etwa, weil sie ständig das Gesetz bricht. Cornelia Schistka ist Gerichtsdolmetscherin für Russisch und Ukrainisch am Amtsgericht in Haßfurt. Ein einfacher Job? "Nein", sagt sie. "Die Verantwortung für ein fremdes Schicksal ist groß."
Von unserem Redaktionsmitglied Natalie Gress
 |  aktualisiert: 03.12.2006 22:29 Uhr
Unabhängigkeit und Neutralität - die Maximen eines Richters. Für Gerichtsdolmetscher gelten sie nicht minder. Also auch für Cornelia Schistka. Unparteiisch und neutral, das muss sie auf der Anklagebank sein. Gefühle im Gerichtssaal? Unterdrücken! "Auch dann, wenn ein Vergewaltiger oder Mörder neben einem sitzt", sagt sie. "Ich darf nicht urteilen."

Emotionen mit nach Hause

Die Emotionen gerade bei großen Prozessen fallen dennoch nicht mit dem Hammer bei der Urteilsverkündung von ihr ab. "Die nehme ich dann mit nach Hause", spricht sie aus Erfahrung. "Und sie sind in Fällen wie zum Beispiel Kindesmissbrauch schwer zu verarbeiten."

Oberstes Gebot beim Dolmetschen ist Authentizität. "Schließlich muss sich der Richter ein exaktes Bild davon machen können, mit wem er es beim Angeklagten zu tun hat", erklärt Cornelia Schistka. Wenn dieser sage "Ich bereue die Tat aus tiefstem Herzen" könne sie nicht einfach übersetzen "Es tut mir leid". Denn: "Das würde beim Richter einen völlig anderen Eindruck machen."

Deshalb nimmt sie kein Blatt vor den Mund, wenn der Angeklagte Schimpfworte benutzt oder arrogant daherkommt. "Weder verschönere ich dessen Sprache, noch mache ich sie hässlicher", so Schistka über ihre Berufsphilosophie. "Ich versuche entsprechend das auf Deutsch wiederzugeben, was der Angeklagte auf Russisch oder Ukrainisch sagt."

Das ist nicht immer ganz einfach, und manchmal stößt Schistka auch an sprachliche Grenzen. Zum einen gibt es im Juristendeutsch Wörter, denen im Juristenrussisch die Entsprechung fehlt. Den Terminus "Versorgungsausgleich" beispielsweise kennt das russische Familienrecht nicht. "In solchen Fällen spreche ich den Richter an und sage ihm, dass ich dem Angeklagten den Begriff erklären oder ihn umschreiben muss", erläutert die Dolmetscherin.

Die Ansprechpartnerin schlechthin

Auch nach der Urteilsverkündung müsse sie in der Regel etwas weiter ausholen, da den Aussiedlern Strafen wie Tagessätze oder Wochenend-Arrest bei Jugendlichen aus dem sowjetischen Recht nicht bekannt sind. "Meine Landsleute denken, wenn sie zum Arrest verurteilt sind, würden sie sofort mit ins Gefängnis genommen und sind ganz verwundert, wenn sie erst einen Brief bekommen und dann abgeholt werden."

Für die angeklagten Aussiedler ist Cornelia Schistka vor und während der Verhandlung die Ansprechpartnerin schlechthin. "Sie fragen, ob ich aus ihrem Land komme und suchen manchmal nach Hilfe oder Ratschlägen. Ich muss dann deutlich zeigen, dass ich unabhängig bin." Häufig werde sie vor einem Prozess gefragt, wie denn der Richter sei. Sie antwortet darauf stets diplomatisch: "Der Richter ist gerecht. Das ist sein Job."

Noch mehr als die Angeklagten selbst - diese Erfahrung hat die Dolmetscherin gemacht - versuchen deren Verwandte Kontakt und Nähe zu ihr aufzubauen, um Unterstützung zu erschleichen. Schließlich ist sie ja "eine von ihnen".

Cornelia Schistka stammt aus dem Karpatengebiet in der Westukraine, hat eine deutsche Mutter und einen ukrainischen Vater. Sie ist zweisprachig aufgewachsen. Im Februar 1991 kam sie nach Deutschland - mit nicht viel mehr in der Tasche als einem Universitätsabschluss in Germanistik. Doch sie biss sich durch.

Zunächst dolmetschte sie ehrenamtlich bei der Caritas und dem Roten Kreuz, bis ihr dort jemand riet, sich bei der Polizei zu bewerben. Dort begann sie 1992 in Schweinfurt mit dem Übersetzten. Wenig später hatte auch ihre Bewerbung als Gerichtsdolmetscherin Erfolg, längst ist sie bei Richtern geschätzt und beliebt. So wurde sie weiter empfohlen und dolmetscht mittlerweile an vielen Gerichten in Unterfranken, aber auch in Bamberg und Baden-Württemberg. Daneben ist sie seit 1993 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge angestellt, 1996 bekam sie außerdem einen Lehrauftrag für Ukrainisch am Institut für Slavistik der Universität Würzburg.

"Ich habe Angst, dass die Deutschen denken, wir sind alle so"

Cornelia Schistka Gerichtsdolmetscherin

Auf ihre Dolmetschertätigkeit bereitet sich Cornelia Schistka immer wieder aufs Neue vor. Anfangs kaufte sie sich Fachliteratur zur Gerichts- und Behördenterminologie sowie juristische Wörterbücher. Inzwischen bringt sie sich per Selbststudium stets auf den aktuellen Stand der Rechtslage.

Eines ihrer wertvollsten Hilfsmittel ist ein Wörterbuch der russischen Jargonsprache. Das benötigt sie zuweilen für schriftliche Übersetzungen vor einem Prozesses, während der Ermittlungen - "um die Geheimsprache Krimineller zu entziffern", erklärt sie. "Übersetzt man abgefangene Briefe von Aussiedlern in Untersuchungshaft Wort für Wort, ergeben diese vielfach keinen Sinn."

Besonders was Drogen betreffe, seien die Leute hier sehr erfinderisch. "Da wird Haschisch zum Beispiel mit dem russischen Begriff für ein grünes Desinfektionsmittel getarnt." Oder die Häftlinge geben versteckte Anweisungen nach draußen, um sich von Komplizen Geld bei Schuldnern eintreiben zu lassen. "Wenn man da den Jargon nicht versteht, kann man kaum bei einer Ermittlung behilflich sein", sagt Cornelia Schistka.

Selbst russische oder ukrainische Namen können sprachunkundige Polizeibeamte schwer nachvollziehen, da es für einen Namen meist mehrere Varianten gibt. Wie viele Deutsche wissen schon, dass etwa Sascha die Koseform von Alexander ist?

Am Gericht dolmetscht Cornelia Schistka häufig in Verhandlungen mit jugendlichen Aussiedlern. Warum diese auf die schiefe Bahn gerieten, weiß sie aus ihrer jahrelangen Tätigkeit als Leiterin des Schweinfurter Jugendtreffs am Deutschhof: "Sie kommen hierher und haben nichts zu tun. Der Westen ist für sie zunächst ein großer Schock, sie haben Hemmungen und Ängste. Zuhause in Kasachstan oder Georgien waren manche nicht mehr in der Schule, seit ihre Eltern den Ausreiseantrag gestellt haben. Dann geraten sie hier in dubiose Cliquen, wo es schon Prestigesache ist, mal im Knast gewesen zu sein. Die empfinden einen Wochenendarrest als sanfte Strafe. Eine Geldstrafe würde sie härter treffen." Und: "Diese Entwicklung macht mir Angst."

So sehr ihr das Dolmetschen am Gericht Spaß bereitet - manchmal gerät sie auch in einen Nationalitätenkonflikt: "Ich gehöre zu den Aussiedlern und fühle mich für meine Landsleute verantwortlich und schuldig." Denn auch diese Erfahrung hat sie mehrfach gemacht: Deutsche Familien, die mit kriminellen Aussiedlern konfrontiert waren, entwickelten einen Hass gegen Fremde. "Und wenn einer zum Beispiel schon sieben Jahre in Deutschland lebt und hier noch nie etwas gearbeitet hat", sagt sie weiter, "dann schäme ich mich auch für ihn. Ich habe dann Angst, dass die Deutschen denken, wir sind alle so."

 
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