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Schweinfurt
Trotz Straftaten: Überraschender Freispruch und Entlassung aus der Psychiatrie für 35-Jährigen aus Bad Kissingen
Neun Anklagepunkte gab es im Prozess gegen den Mann. Warum das Landgericht Schweinfurt eine dauerhafte Unterbringung als nicht möglich ansieht.
Mit einem überraschenden Freispruch endete das Verfahren gegen einen 35 Jahre alten Mann aus dem Landkreis Bad Kissingen, der sich vor der 1. Großen Strafkammer am Landgericht Schweinfurt verantworten musste.
Foto: Oliver Berg (dpa) | Mit einem überraschenden Freispruch endete das Verfahren gegen einen 35 Jahre alten Mann aus dem Landkreis Bad Kissingen, der sich vor der 1. Großen Strafkammer am Landgericht Schweinfurt verantworten musste.
Stefan Sauer
Stefan Sauer
 |  aktualisiert: 25.01.2025 02:32 Uhr

Auf den ersten Blick überraschend fiel das Urteil im Prozess gegen einen Mann aus dem Landkreis Bad Kissingen aus, der sich vor der 1. Großen Strafkammer am Landgericht Schweinfurt verantworten musste. Angeklagt waren neun Vorfälle, die meisten in den Jahren 2023 und 2024. Es ging um Körperverletzung, Verleumdung, Nachstellung, Beleidigung und Sachbeschädigung. Und dennoch: Freispruch.

Der Mann leidet an einer paranoiden Schizophrenie und soll die Taten im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit oder Schuldunfähigkeit begangen haben. Das Urteil "ist zwar ein Freispruch und im Ergebnis wäre es das Beste gewesen, wenn wir den Angeklagten irgendwie unterbringen könnten", so die Vorsitzende Richterin. Dennoch sehe die Große Strafkammer die rechtlichen Voraussetzungen für seine unbefristete Unterbringung in der Psychiatrie "nicht oder noch nicht als gegeben an". Der Mann wurde noch am selben Tag aus der Psychiatrie entlassen.

Die Richterin erklärte, auch in Richtung des Angeklagten gewandt, sie verstehe, dass die Bürger der Kleinstadt im Landkreis Bad Kissingen, in welcher der Angeklagte Erwachsene wie Kinder geschlagen, beleidigt, beschimpft und bedroht habe, Angst haben, "dass Sie irgendwann mehr machen als nur rumzuschreien und zu schubsen".

Nur der Hausfriedensbruch im Rathaus führte zu einer Verurteilung

Die in der Anklageschrift aufgelisteten Taten selbst waren unstrittig. Der 35-Jährige soll unter anderem zwei achtjährige Buben angepöbelt sowie leicht geschlagen und getreten haben. Ferner soll er die Betreuerin einer Einrichtung, in der er untergebracht war, bedroht und eine Bäckerei-Bedienstete, ebenso den Vermieter seiner Wohnung, beschimpft haben. Dort soll er im Sommer 2023 auch ein Fenster demoliert haben. Einen Rathaus-Mitarbeiter soll er wüst beleidigt und verleumdet und ihn mit dem Handy ins Gesicht geschlagen haben. Außerdem soll der Angeklagte das Rathaus auch noch betreten haben, als er hier schon Hausverbot hatte: ein Hausfriedensbruch.

Letzteres war der einzige der neun Punkte der Anklageschrift, für den der Mann verurteilt wurde – zu einer Geldstrafe von zehn Tagessätzen à zehn Euro: 100 Euro. Bei allen übrigen Straftaten, begangen zwischen Januar 2021 und Mai 2024, wurde er freigesprochen, weil nach dem Ergebnis des psychiatrischen Sachverständigen nicht ausgeschlossen war, dass der Mann sie im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen habe. Der Angeklagte selbst bestritt die Übergriffe auf sein Umfeld, sondern sah sich als Opfer von Unrecht und Nachstellung.

Psychiater, Staatsanwalt und Verteidigerin befürworten Unterbringung

Der Psychiater hatte dem Angeklagten als führende Erkrankung eine paranoide Schizophrenie attestiert, ferner leichte Intelligenzminderung sowie eine dissoziale Persönlichkeitsakzentuierung. Die Symptome seien seit 2016 festgestellt und überdauernd. Bei allen Taten außer dem Auftritt im Bürgerbüro nach dem Hausverbot sei die Schuldfähigkeit des Angeklagten infolge seiner Erkrankung sicher vermindert, möglicherweise aber auch ganz aufgehoben gewesen.

Der Mann habe keine Krankheitseinsicht und lehne eine Medikation ab. Dass es zu ähnlichen Taten auch in der Zukunft kommen würde, sei höchst wahrscheinlich. Aus Sicht des Psychiaters lägen die Voraussetzungen zur Unterbringung des 35-Jährigen in einem psychiatrischen Krankenhaus vor. Das sieht auch der Staatsanwalt so. Die Voraussetzungen für diese Unterbringung seien zwar hoch, es brauche dafür "erhebliche Anlasstaten", die aber in Form etwa der Körperverletzungen gegeben seien: "Letztlich ist er unberechenbar", so die Sicht des Staatsanwalts. Wie er sah sogar die Verteidigerin die Voraussetzungen für eine Unterbringung als gegeben an, wenngleich die Taten "im unteren Bereich" angesiedelt seien und eine Gefahrenprognose "schwierig" sei.

Doch die 1. Große Strafkammer folgte dieser rechtlichen Einschätzung nicht, sondern entschied auf Freispruch. Aus Sicht der Kammer seien die Taten und deren Folgen eben nicht schwerwiegend genug und die Gefährlichkeitsprognose zu unkonkret. Damit seien aus Sicht des Gerichts die rechtlichen Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten nicht gegeben.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es kann Revision eingelegt werden.

 
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  • Roland Albert
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  • Martin Deeg
    …“Leider sind Leute wie sie nicht betroffen.“…

    Was genau meinen Sie damit? Sie scheinen ein Informationsdefizit zu haben, was meine Person angeht.
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  • franz-peter potratzki
    Dann darf man gespannt sein, was mit den Richtern passiert, wenn er erneut auf jemanden einschlägt und das nicht gut geht.
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  • Peter Koch
    Ich hoffe auf die Revision und ein Gericht das nicht total Beratungsresistent ist.
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  • Martin Deeg
    Freispruch bedeutet auch: der Mann wird für die Zeit der Unterbringung entschädigt?

    Bei der Frage bitte dranbleiben.
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  • Martin Deeg
    ...."Damit seien aus Sicht des Gerichts die rechtlichen Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten nicht gegeben."....

    Genau so ist es. Den Richtern muss man hier ein tiefes Verständnis für den Rechtsstaat und für Verhältnismäßigkeit bescheinigen - und "Zivilcourage".

    Dass selbst die "Verteidigerin" - vermutlich Pflichtverteidigung? - eine "Unterbringung" befürwortet, ist bizarr.

    In einem Rechtsstaat sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass derart banale Ausraster und das "Unwohlsein" einer Dorfbevölkerung kein Anlass sein können, einen Menschen wegen "Gefahr für die Allgemeinheit" dauerhaft nach § 63 StGB solange in die Forensik zu sperren, bis irgendein Gutachter den "Mut" hat, eine positive Prognose zu stellen: nach 10, 15. 20 Jahren.....
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  • Hans-Martin Hoffmann
    Banale Ausraster - @ Martin Deeg -

    stellen Sie sich mal vor, Sie sind ein Kind und werden von einer solchen Person (möglicherweise sogar tätlich) angegangen.

    Einen solchen kranken (und uneinsichtigen) Menschen unbehandelt und unbeaufsichtigt schalten und walten zu lassen geht mMn gar nicht. Wenn er Pech hat, gerät er mal an ein Gegenüber, das seinen Angriff nicht als banal empfindet und entsprechend (über)reagiert. Wenn das passiert, sind dann wohl beide per laissez-faire optimal von unserem Staat (dem mit dem Gewaltmonopol) vor einer Straftat gegen Leib und Leben geschützt worden?

    Ich denke, so gedacht wie in diesem Fall ist zu einfach gedacht.
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  • Martin Deeg
    Es geht bei der Anwendung der §§ 63/64 und 20/21 StGB (einfach mal nachlesen!) und generell der Rechtsprechung nicht darum, welche Fantasien und Ängste unbeteiligte Dritte wie Sie oder ein Hubert Endres aufgrund eines Zeitungsartikels entwickeln!

    Die Taten sind nicht schwerwiegend und die „Gefährlichkeitsprognose“ ist unkonkret - das sage nicht ich sondern ein Gericht, das sich offenbar ausführlich mit dem Fall befasst hat. Und auch die 9 Monate „Unterbringung“ gemäß § 126a StPO ergaben offenbar nichts anderes. Das ist zu akzeptieren, wer sowas als „Täterschutz“ verhöhnt, siehe unten, hat keine Ahnung von der Realität der Forensik und offenkundig wenig Sinn für die Prinzipien des Rechtsstaats.

    Und: es ist bekannt, dass Prognosegutachten in einer hohen Anzahl falsch-positiv sind und viele Menschen über Jahre zu Unrecht eingesperrt sind, ohne dass diese eine Gefahr darstellen. Nachzulesen bspw. bei Nedopil. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen in der Forensik.
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  • Hans-Joachim Krämer
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  • Petra Eisentraut
    Unglaublich! Viel Glück allen Menschen, die mit ihm zu tun haben.
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  • Martin Deeg
    Das wünsche ich vielmehr den Menschen, die mit diesem Gutachter und mit der Staatsanwaltschaft zu tun haben....
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  • Hubert Endres
    Herr Deeg. Leider sind Leute wie sie nicht betroffen. Da kann man leicht urteilen. Nehmen Sie ihn doch bei sich auf. Das Urteil ist eine Frechheit. Täter vor Opferschutz.
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  • Martin Deeg
    Es wäre mal interessant zu erfahren, ob derarte Schmähungen nicht auch den Tatbestand der „Beleidigung“ von Richtern verwirklichen.

    Hier sollte mal ein Strafantrag gestellt werden…
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  • Petra Eisentraut
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