Der Kreistag Kitzingen hat bereits die Einleitung eines Prüfverfahrens zur Reaktivierung der Steigerwaldbahn beschlossen und zugleich alle vier geforderten Reaktivierungskriterien des Freistaats anerkannt. Der Kreistag Schweinfurt wird am Donnerstag (12. Dezember 2019) aller Voraussicht nach mit großer Mehrheit einen gleichlautenden Beschluss fassen, weil auch die CSU angekündigt hat, zuzustimmen. Wie geht es nun weiter?
"Sobald uns im Ministerium die Beschlüsse der beiden Kreistage Schweinfurt und Kitzingen und der kreisfreien Stadt Schweinfurt vorliegen, beauftragen wir die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG) mit der Fahrgastprognose", teilt Corinna Korn, Pressesprecherin des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr, auf Anfrage mit. "Die Beschlüsse müssen dabei vollständig sein und den Anforderungen entsprechen, das heißt eine vorbehaltlose Anerkennung der vier Reaktivierungskriterien des Freistaats enthalten."
Erstens braucht es eine Fahrgast-Prognose, die vom Freistaat Bayern anerkannt wird und die ergibt, dass eine Nachfrage von mindestens 1000 "Reisendenkilometer" pro Kilometer betriebener Strecke zu erwarten sind (an Werktagen außerhalb der Schulferien). Die 1000-er Grenze dient dazu, dass der Freistaat nicht eine Zugverbindung hoch mitfinanziert, die kaum genutzt wird. "Die Fahrgastprognose nimmt etwa ein dreiviertel Jahr in Anspruch", so Corinna Korn. Auf Wunsch des Landkreises Schweinfurt soll das Fahrgast-Gutachten sowohl für die gesamte Strecke als auch für die Teilstrecke Schweinfurt-Gerolzhofen erstellt werden.
Der etwas sperrige Fachbegriff "Reisendenkilometer" drückt die durchschnittliche Auslastung einer Bahnstrecke auf ihrer ganzen Länge aus. Wichtig: Die "Reisendenkilometer" sind nicht identisch mit der Anzahl der Fahrgäste, was viele Medien in der Berichterstattung aktuell falsch machen. In der Realität sind deutlich mehr als 1000 Fahrgäste nötig, um auf einer Strecke mit mehreren Haltepunkten dann auf 1000 "Reisendenkilometer" zu kommen, weil eben nicht alle Fahrgäste die komplette Fahrstrecke mitfahren, sondern an den Haltestellen auch aus- und zusteigen.
"Reisendenkilometer": So wird gerechnet
Der Wert des "Reisendenkilometer" wird so berechnet: Die gesamte Strecke wird zwischen den Haltestellen in Teilabschnitte gegliedert. Dann wird die Anzahl der Fahrgäste auf jedem Teilabschnitt multipliziert mit der Streckenlänge dieses Teilabschnitts. Die Summe aus allen Teilabschnitten wird am Ende dann wieder durch die Gesamtlänge der Strecke dividiert. Das Ergebnis sind die "Reisendenkilometer".
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Die privat beauftragte Machbarkeitsstudie von Konrad Schliephake zur möglichen Auslastung der Steigerwaldbahn hat für die Strecke Großlangheim-Gerolzhofen im schlechtesten Fall nur 786 "Reisendenkilometer" ergeben. Für die Teilstrecke Gerolzhofen-Schweinfurt hingegen wurde ein Wert von knapp 1600 "Reisendenkilometern (Rkm)" errechnet. Der Wert von 1600 Rkm entspricht einer tatsächlichen Zahl von rund 2500 Fahrgästen, die jeden Werktag die Eisenbahn nutzen könnten, sagte Schliephake in einem Interview mit dem privaten Fernsehsender TV Mainfranken. Der vom Freistaat Bayern geforderte Mindestwert von 1000 "Reisendenkilometern" entspricht also, wenn man das Ergebnis der Schliephake-Studie zugrunde legt, laut einer Dreisatzrechnung einer werktäglichen Fahrgastzahl von ungefähr 1560 Personen.
Suche nach Betreiber-Unternehmen
Wenn im Gutachten der BEG tatsächlich die 1000 "Reisendenkilometer" erreicht werden sollten, kommt der nächste Schritt: Es wird ein Eisenbahn-Infrastrukturunternehmen gesucht, das sich für die Strecke interessiert. Dabei gilt Voraussetzung Nummer zwei: Die Strecke wird von dem Infrastrukturunternehmen in einen Zustand versetzt, der einen attraktiven Zugverkehr ermöglicht. Und drittens: Dieses Unternehmen ist auch bereit, die Strecke und die Haltestationen dauerhaft zu betreiben und berechnet hierfür Infrastrukturkosten, die das Niveau vergleichbarer Infrastruktur der Deutschen Bahn nicht übersteigen dürfen.
Alleine für die Strecken Schweinfurt-Gerolzhofen gehen Gutachter von einem Investitionsbedarf von bis zu 25 Millionen Euro aus. Wie kann da ein Infrastrukturunternehmen seine Investition amortisieren oder vielleicht irgendwann sogar Gewinn erzielen? Das Finanzierungsmodell ist recht komplex. Man muss dabei wieder unterscheiden zwischen dem Eisenbahn-Infrastrukturunternehmen (das die Strecke unterhält und zur Verfügung stellt) und dem Eisenbahn-Verkehrsunternehmen (das auf der Strecke für den Fahrbetrieb sorgt).
Gebühren in Rechnung
Das Infrastrukturunternehmen stellt für die Benutzung der Strecke dem Verkehrsunternehmen zweierlei Gebühren in Rechnung: die Trassengebühren (sie liegen derzeit bei rund fünf Euro pro gefahrenen Kilometer) und die Stationsgebühren (sie betragen 1,50 Euro pro Halt). Das Verkehrsunternehmen bekommt die Trassengebühren, die Stationsgebühren sowie zusätzlich einen pauschalen Leistungspreis (sieben Euro pro Kilometer) von der BEG ersetzt, abzüglich des Erlöses aus den Fahrkartenverkäufen. Diese staatliche Finanzierung nennt man Bestellerentgelt.
Konkret für die Strecke Schweinfurt-Gerolzhofen rechnet man mit einem erheblichen Defizit im laufenden Betrieb: Das Bestellerentgelt des Freistaats an ein Verkehrsunternehmen dürfte laut Kobra-Gutachten, das der Landkreis Schweinfurt in Auftrag gegeben hat, bei rund vier Millionen Euro jährlich liegen.
Garantie über zwölf Jahre
Mit den erhobenen Nutzungsgebühren finanziert auf der anderen Seite das Infrastrukturunternehmen sowohl die erstmalige Instandsetzung der Trasse und den Bau von Haltestellen als auch später die laufende Instandhaltung der Strecke. Die BEG erteilt dafür eine "Bestellgarantie für Verkehre" für eine Dauer von mindestens zwölf Jahren, mit der Möglichkeit einer Verlängerung. Damit tritt sie gegenüber dem Infrastrukturunternehmen als eine Art "Bürge" auf. Dies dient auch dazu, dass das Unternehmen gewisse Sicherheiten bei Bankkrediten vorweisen kann.
Laut BEG braucht es erfahrungsgemäß 16 Jahre, bis das Infrastrukturunternehmen seine Investitionen refinanziert hat. In der Garantiezeit von zwölf Jahren hingegen kann das Unternehmen zwar die laufenden Kosten, aber nur rund 75 Prozent der Instandsetzungskosten erwirtschaften. Die fehlenden 25 Prozent werden dann üblicherweise abgedeckt durch eine Bürgschaft des oder der Landkreise, die mit Tilgung des Gesamtkredits erlischt. Konkret: Bei einem Investitionsvolumen von 25 Millionen Euro alleine für Schweinfurt-Gerolzhofen würde die Bürgschaft des Landkreises (oder der Landkreise) etwa 6,25 Millionen Euro betragen.
Kommt die Thüringer Eisenbahn?
"Für die Suche eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens ist die Region verantwortlich. Dazu hat sie sich mit Anerkennung der Reaktivierungskriterien verpflichtet", schreibt Corinna Korn vom Verkehrsministerium. Doch welches Infrastrukturunternehmen könnte nun Interesse haben, die alte, halb verfallene Trasse der Steigerwaldbahn zu übernehmen und sie instandzusetzen? Angeblich soll die Thüringer Eisenbahn GmbH Interesse haben, dies zu tun. Dieser Umstand ist einem Schreiben vom 10. Dezember 2019 zu entnehmen, das die "Projektgemeinschaft Citybahn" aus Heidelberg (Verkehrsplaner Robert Wittek-Brix) an Landrat Florian Töpper geschickt hat.
Die Thüringer Eisenbahn GmbH ist eine – laut Wikipedia – 1999 gegründete private Eisenbahngesellschaft, die als Eisenbahninfrastrukturunternehmen Strecken von der Deutschen Bahn AG übernommen hat, um sie auf einen modernen technischen Stand zu bringen und langfristig zu betreiben. Momentan unterhält die Firma vier Strecken in Thüringen. Eine bei Geschäftsführer Hartmut Sander gestellte Anfrage der Redaktion wurde am Mittwoch bis Redaktionsschluss noch nicht beantwortet.
Bestätigtes Interesse der Erfurter Bahn
Und wie sieht es mit der Suche nach einem Verkehrsunternehmen aus? "Der Freistaat übernimmt die Suche eines Eisenbahnverkehrsunternehmens. Die BEG startet hierfür wie gewohnt ein Ausschreibungsverfahren. Der Anbieter mit dem wirtschaftlichsten Angebot erhält den Zuschlag", heißt es dazu aus dem Ministerium. Die Erfurter Bahn GmbH hat Interesse, als Verkehrsunternehmen auf der Trasse der Steigerwaldbahn zu fahren. "Wir werden uns am Ausschreibungsverfahren beteiligen", bestätigt Hella Tänzer, Leiterin der Kommunikation der Erfurter Bahn, auf Anfrage. Das Unternehmen bietet schon heute Verbindungen an von Schweinfurt über Bad Neustadt und Mellrichstadt nach Meiningen und von Schweinfurt über Bad Kissingen und Hammelburg bis Gemünden ("Kissinger Stern").
Und schließlich die vierte Voraussetzung einer Reaktivierung: Die ÖPNV-Aufgabenträger, das sind die Landkreise Schweinfurt und Kitzingen, müssen sich vertraglich verpflichten, ein mit dem Freistaat Bayern abgestimmtes Buskonzept im Bereich der Steigerwaldbahn umzusetzen. Insbesondere darf es keinen Parallelverkehr von Zug und Bus geben. Konkret hieße dies, dass die Buslinie 8160 von Gerolzhofen in die Schweinfurter Innenstadt (sie fährt sowohl als Schnellbus direkt über die B 286 als auch als "Bummel-Bus" über die Dörfer) eingestellt werden muss. Und der Landkreis Schweinfurt muss dafür sorgen, dass es Zubringer-Verbindungen von den Dörfern zu den Bahnhöfen gibt. Das Landratsamt arbeitet derzeit an einem neuen ÖPNV-Konzept, bei dem auch die Eisenbahn Berücksichtigung finden kann.
Sie könnten dann auch Frankfurt und Nürnberg mit ihren Flughäfen per Bahn gut erreichen. In Frankfurt hält der ICE direkt am Flughafen und in Nürnberg fährt eine Ubahn Linie zum Flughafen.
Sehr interessante Aussage.
Was da wohl Greta dazu sagt?
Gruß
das ist paradox.
Die Bahn reaktivieren weil klimafreundlich und dann umweltschädlich in den Urlaub hin und zurück fliegen!
Klimawandel spielt dann auf einmal keine Rolle mehr.
Gruß
Da hier der "Mover" in den Raum geworfen wurde, werfe ich als Schienenalternative das "Monocab aus Lippe" dazu.
(Projekt "Smart Railway OWL" welches den Deutschen Mobilitätspreis 2018 gewonnen hat)
Mittelfristig hoffe ich, dass der Vertrag mit der Erfurter Bahn für die nächsten 15 Jahre zustande kommt, da die vorgeschlagenen Alternativen einfach zu abstrus sind.
Da müsste eine neue Trasse her - zwischen fröhstockheim und Hoheim - um dann bei Sickershausen auf die Hauptstrecke einzuschwenken!
erspart (wenn man denn will) das Wenden in Kitzingen - hätte den Vorteil, dass dann die "Ringbahn" realisiert werden könnte, die ich immer noch für sinnvoll halte:
Schweinfurt - Geo - Kitzingen - Würzburg - Gemünden - Arnstein - Schweinfurt!
Ließe sich auch gut mit dem Konzept der Straßenbahn von Herrn Wittek-Brix verbinden!
Aber da bräuchte es halt Mut zu Investitionen, zu Innovationen - wie sie Deutschland im ausgehenden 19. Jahrhundert groß gemacht haben, die man heute aber vielerorts vergeblich sucht!
Hopp, hopp, hopp, Steigerwaldbahn aber flott!!!
Beim Straßenbau wird auch nicht lange gefragt,
Warum wird beim der Bahn plötzlich anders argumentiert? Und: angedacht wäre bei einer Reaktivierung ein Verkehr mit e i n e m Zug je Stunde und Richtung. Was soll daran so schlimm sein?
Der Straßenverkehr wird sinnigerweise klaglos hingenommen. Da rollt's rund um die Uhr, Stunde für Stunde, Tag für Tag.
warum sind eigentlich diejenigen, die den größten Nutzen der Bahn haben, nämlich die Städte Kitzingen und Schweinfurt, bei dieser Diskussion so still?
Die Städte sind mit einzubeziehen und die Kosten, die nicht vom Bund und vom Freistaat getragen werden, sind gleichermaßen auf die Landkreise und die Städte zu verteilen.
Gruß