
Wenn Mikavla Romero ehrlich ist, interessieren sie die Wahlplakate zur Bundestagswahl am Straßenrand nur wenig. Warum auch? "Es sind meistens alte Männer darauf." Sie selbst jedenfalls fühle sich davon nicht repräsentiert. Was die junge Schülerin so schonungslos formuliert, beschreibt die politische Realität vieler Schülerinnen und Schüler aktuell erschreckend passend. Selten drehte sich ein deutscher Wahlkampf so stark um Migration und Sicherheit. Selten spielten Jugendliche eine so geringe Rolle darin.
Und während Politikerinnen und Politiker vor allem über eine härtere Asylpolitik oder die vermeintlich nachlassende Leistungsbereitschaft junger Menschen debattieren, sitzen Mikavla Romero und ihre drei Mitschüler aus der zehnten Klasse neben der Wahlurne zur U18-Bundestagswahl in der Frieden-Mittelschule und erleben dort offenbar eine andere Realität.
Maurice Voigt etwa. Der 17-Jährige hat kürzlich seinen Führerschein abgeschlossen. Kosten: rund 4000 Euro. Zum Vergleich: 2017 kostete ein Führerschein Klasse B nur knapp 1800 Euro. Ein halbes Jahr arbeitete Maurice dafür jeden Samstag bei einem Schweinfurter Lieferdienst. Das Geld reichte trotzdem nicht. Ohne die Hilfe seiner Eltern hätte er sich die Fahrerlaubnis nicht leisten können, erzählt er.
Finanzielle Sicherheit spielt unter Schweinfurter Jugendlichen eine große Rolle
Auch Tim Tzokas dachte zuletzt viel über die gestiegenen Lebenshaltungskosten nach. Er persönlich bemerkt diese täglich an der Supermarktkasse oder der Bäckertheke. Die Lage der Schweinfurter Industrie bereitet dem 16-Jährigen ebenfalls Sorge – auch, weil sein Vater in einem großen Industriebetrieb arbeite.
Für Mitschülerin Mikavla Romero ist Geld ebenfalls ein Thema. Besonders die Kürzungsdebatte beim Bürgergeld, seitens der in Teilen rechtsextremen AfD und der CDU/CSU, würden sie beunruhigen. Dazu fehle es der 16-Jährigen an sicheren zentralen Plätzen in der Stadt, wo sie und ihre Freunde sich aufhalten könnten.
Die Zahlen geben der Wahrnehmung der Schüler übrigens recht. Laut dem Sozialbericht der Stadt lebten in Schweinfurt im vergangenen Jahr 17,4 Prozent der Kinder bis 15 Jahren im Bürgergeldbezug. In keiner anderen unterfränkischen Stadt sind Jugendliche so sehr von Armut betroffen, wie hier.
Generell begegnet den Schülern Politik im Alltag eher selten. Meistens zu Hause vor dem Fernseher, in den Sozialen Medien oder im Politikunterricht. Ähnlich sieht es auch Sophia Malzev. Besonders während der Corona-Pandemie, deren Maßnahmen vor allem junge Menschen trafen, sprach die 16-Jährige viel über die Regelungen und Ausgangsbeschränkungen. Alleine deshalb, würde sie gerne wählen gehen, meint sie. "Ich habe eine eigene politische Meinung, aber ich kann sie leider nicht abgeben."
Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit unter Jugendlichen
"Wir merken immer häufiger, dass Demokratie und Wahlen keine Selbstverständlichkeit mehr sind", sagt Klassenlehrerin Simone Hirt. Vor allem in Klassen, in denen Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen stammen, würden Schüler immer weniger damit konfrontiert. Unsicherheit und Unwissen über Wahlen und Demokratie würden zunehmen, beobachtet die Lehrerin. "Sie sind aber unsere zukünftigen Wähler." Umso wichtiger sei es deshalb, den Jugendlichen möglichst früh Berührungspunkte mit der Politik zu bieten. Und ihre Erfahrung zeigt: "Unsere Schülerinnen und Schüler haben Interesse an Politik und wollen das auch."