Es sind stürmische Zeiten im Politikbetrieb, besonders für die Bundesregierung: Landwirte demonstrierten wochenlang gegen die Ampel-Koalition, und es gab eine Menge Kritik am Heizungsgesetz, einem Herzensprojekt von Bündnis 90/Die Grünen. Grünen-Bashing scheint irgendwie "in" zu sein, sogar Schmähungen und Hass waren zu erleben.
Warum wollen ausgerechnet jetzt junge Menschen einen Kreisverband der Grünen Jugend gründen, dazu noch auf dem Land, in einer Kleinstadt wie Gerolzhofen? Sich also politisch organisieren und einbringen? Was treibt sie an?
Negative Erfahrungen im Landtagswahlkampf
Der Gerolzhöfer Justus Zink ist zwar erst 17 Jahre jung, aber seit drei Jahren Mitglied bei den Grünen und einer der Initiatoren. Der Schüler ist ebenso wie Paul Winkelmann (19) schon länger politisch interessiert – und musste bereits negative Erfahrungen in Bezug auf seine politische Einstellung machen.
Beim Mithelfen an einem Wahlstand zur Landtagswahl im Herbst erlebte er unschöne Begegnungen, etwa dass die Grünen für einen Teil der Bevölkerung derzeit das "große Feindbild" sind. "Einmal hat uns eine Frau angeschrien: Die Grünen müssen weg!", berichtet Zink im Gespräch mit der Redaktion, an dem auch Nele Wirth teilnimmt.
Die 20-jährige Berufsschülerin muss sich regelmäßig mit rechtsextremen Ansichten auseinandersetzen. Manche, meint sie, hätten ganz verschobene Wahrnehmungen. "Ich fühle mich dann teilweise sprachlos, wenn Leute sagen: Man kann nur noch AfD wählen."
Viele Jugendliche mit rechtsextremen Ansichten
Es war für Wirth und einige der künftigen Grünen Jugend auch ein Grund, sich im Februar an der Kundgebung gegen Rechtsextremismus auf dem Marktplatz zu beteiligen. Richtig stark fand es Paul Winkelmann, dass alle demokratischen Parteien hier zusammenstanden.
Erfahrungen mit offensichtlich unwahren Behauptungen hat ebenfalls die 16-jährige Sarah Förster gemacht. Sie hat sich per Videokonferenz zum Gespräch zugeschaltet, zusammen mit Winkelmann, der in Erlangen studiert. Es schockiere sie, wie viele junge Menschen sich in rechtsextremen Tendenzen verfangen. Besonders in den Sozialen Netzwerken, und hier gerade auf der bei Jugendlichen beliebten Plattform TikTok, sei die AfD ganz stark vertreten, sagt Paul Winkelmann.
Über die Grüne Jugend möchte der Student dem politischen Gegenwind und pauschalen Vorwürfen entgegenwirken – vor allem mit einer Versachlichung. Wichtig ist ihm trotz allem, mit den Menschen zu reden, auch wenn sie eine andere Meinung haben.
Kein Platz für Diskriminierungen und "fakenews"
Im Kreisverband soll zudem die Bildung in den Fokus rücken. Vorstellbar sind Filmabende mit Dokumentationen zu Themen, "die uns interessieren", zum Beispiel Klimawandel, Nahrungsmittel oder Massentierhaltung. Informieren wollen sie sich aus zuverlässigen Quellen, um auch bei "fakenews"(falsche Nachrichten) besser argumentieren zu können.
Für die Jugendlichen ist ein offener Austausch wichtig, also mit Respekt, selbst wenn es kontrovers zugeht. Tabuthemen dürfe es nicht geben, so Winkelmann. "Wichtig ist, dass wir diskutieren. Aber jeder soll sich wohlfühlen."
Zugleich will die Grüne Jugend ein Bewusstsein für Minderheiten schaffen, auch bekannt unter dem Begriff "awareness" (Bewusstsein). Für Menschen etwa mit Migrationshintergrund oder jenen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, Stichwort LGBTQ+, öfters Anfeindungen ausgesetzt sind, möchten sich die Jugendlichen verstärkt einsetzen und ihnen eine Sicherheit, einen "safe space", bieten. Auch in einem Umfeld mit einer diskriminierungsfreien Sprache.
Die meisten dürfen am 9. Juni erstmals wählen
Sehr am Herzen liegt den jungen Menschen der Klimawandel. "Das steht ganz oben bei mir", betont Nele Wirth. Sie habe Angst, weil es das eigene Leben und später auch das der Kinder betreffe. Justus Zink ist überzeugt, dass andere Parteien zwar viele Versprechen dazu machten, aber wenig gegen die Ursachen täten.
Groß ist die Freude deshalb, weil viele von ihnen am 9. Juni bei der Europawahl erstmals wählen dürfen, nachdem das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt wurde. Im Vorfeld wollen sie, als eine ihrer ersten Aktionen, einen Wahlstand organisieren und besonders junge Menschen zum Wählen bewegen.
Viele ihrer Altersgenossen seien eher unpolitisch. Deshalb sehen sie die Zeit gekommen, sich in den politischen Prozess einzubringen. Nachdem der ehemalige und lange inaktive Schweinfurter Kreisverband aufgelöst wurde, entstand vor einiger Zeit die Idee, diesen wiederzubeleben.
Gründungsversammlung muss verschoben werden
Weil die Initiative von zehn jungen Menschen aus Gerolzhofen ausgeht, stand für sie gleich fest: "Wir machen etwas, das sich auf den ganzen Landkreis erstreckt, aber beim Namen stellen wir Gerolzhofen vor Schweinfurt", erklärt Justus Zink selbstbewusst. Der neu zu gründende Kreisverband wird somit Gerolzhofen-Schweinfurt heißen. Gleichwohl ist der Verband offen für alle Interessierten bis 28 Jahre aus dem gesamten Kreis. Ein Account auf Instagram existiert bereits, zu finden unter "gj_gerolzhofenschweinfurt".
Zink und Wirth wollen künftig die Grüne Jugend im Vorstand anführen und bewerben sich um die beiden Vorsitz-Posten, die wie bei den großen Grünen paritätisch mit einer männlichen und weiblichen Person besetzt werden sollen. Auch Paul Winkelmann, Marie Thaler und Klara Döpfner werden bei den Wahlen zum Vorstandsteam im Rahmen der Gründungsversammlung antreten.
Noch aber müssen sich die jungen Grünen damit etwas gedulden. Die für Ende April vorgesehene Veranstaltung musste kurzfristig abgesagt werden. Der Grund: Die Frist für Einladungen konnte aufgrund eines Formfehlers nicht eingehalten werden.
Auf diese Weise haben die Jugendlichen gleich zu Beginn die harte Realität im politischen Betrieb kennenlernen müssen. Doch davon wollen sie sich nicht entmutigen lassen. Ein neuer Termin für die Gründungsversammlung des Kreisverbandes steht bereits fest: Am 13. Juli soll es nun so weit sein. Aufgeschoben, das gilt auch in diesem Fall, ist nicht aufgehoben.