Ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit hat eine zivilgesellschaftliche Initiative für Gerolzhofen am Samstag gesetzt. Unterstützt von allen im Stadtrat vertretenen Parteien, hatte sie binnen fünf Tagen eine Kundgebung organisiert. Dem Aufruf folgten weit mehr, als die Initiatoren um Georg Löhrlein erwartet hatten.
Nach ihren Schätzungen kamen rund 600 Menschen am Nachmittag auf den Marktplatz. Die Polizeiinspektion Gerolzhofen sprach von 400 Demonstrierenden. Für Löhrlein und seine Mitstreiter war die Aktion auch aus diesem Grund ein Erfolg. "Wir sind sehr zufrieden mit dem Zulauf", sagte er am Ende der Veranstaltung, die nach Angaben der Polizei friedlich und ohne jegliche Vorfälle verlief.
Junge und ältere Menschen sowie Familien waren gekommen
Alle Altersschichten waren vertreten bei der Kundgebung, die unter dem Motto "Nie wieder ist jetzt! Gemeinsam gegen Rechtsextremismus" stand. Zu sehen waren junge und ältere Menschen sowie Familien mit Kindern. Viele schwenkten Regenbogenflaggen oder hatten Schilder dabei, auf denen Botschaften zu lesen waren wie "Rassismus ist keine Alternative", "Für Demokratie - Gegen Hass und Hetze" und "AfD wählen ist so 1933".
Während der einstündigen Veranstaltung sprachen mehrere Redner und Rednerinnen. Die Beiträge wurden immer wieder von langanhaltendem Beifall begleitet. Mehrfach waren spontane Sprechchöre zu vernehmen.
Zur Kundgebung gekommen waren auch Bürgermeister Thorsten Wozniak und viele Lokalpolitiker sowie Landrat Florian Töpper und seine Stellvertreter Thomas Vizl und Christine Bender. Die Bundestagsabgeordnete Anja Weisgerber und der Landtagsabgeordnete Paul Knoblach hatte sich ebenfalls auf den Weg nach Gerolzhofen gemacht.
Eindringlicher Appell: Nicht auf Populisten hereinfallen
Die Mitorganisatoren Georg Löhrlein und Herbert Kimmel bedankten sich bei den Demonstrierenden, dass sie ein Zeichen setzten. "Es ziehen wieder dunkle, braune Wolken auf", mahnte Löhrlein. Sein Vater, der den Zweiten Weltkrieg erleben musste, habe immer wieder gesagt: Setze dich dafür ein, dass so etwas nicht wieder passiert. Er appellierte an alle, nicht auf Populisten hereinzufallen und forderte von allen Zivilcourage sowie von allen demokratischen Parteien, Hetze und Lügen entschieden entgegenzutreten.
Kimmel zeigte sich überwältigt davon, dass so viele Flagge zeigten, für Demokratie und gegen das braune Gift des Rechtsextremismus. Im Hinblick auf Aussagen der AfD, dass bei den bisherigen Demos gegen Extremismus die breite Mitte gefehlt habe, sagte er: "Hier steht die breite Mitte!"
Bürgermeister Wozniak: Völkerverständigung statt völkisches Gedankengut
Bürgermeister Thorsten Wozniak positionierte sich deutlich gegen Hass, Hetze, Ausgrenzung und Intoleranz. Da Ausländerhass und Antisemitismus scheinbar in vielen Köpfen tief verankert sei und diese Stimmen zuletzt immer lauter wurden, seien "Zeichen wie diese heute in Gerolzhofen" oder zuletzt in anderen Städten umso wichtiger.
Die Menschen, die zurzeit auf die Straße gehen, zeigten laut Wozniak: "Wir sind mehr. Wir stehen gemeinsam für Toleranz, Menschlichkeit, Vielfalt, Freiheit und Demokratie." Es mache ihn fassungslos, wenn AfD-Funktionäre Massendeportation von Millionen Menschen planten. In Gerolzhofen lebten über 60 Nationen friedlich zusammen. Man wolle ein offenes Europa und "Völkerverständigung statt völkisches Gedankengut".
Landrat Töpper: Für eine "bunte Republik und ein buntes Gerolzhofen"
Den 75. Geburtstag des Grundgesetzes am diesjährigen 23. Mai sieht Landrat Florian Töpper auch als eine Verpflichtung an. Leidenschaft und Verstand für die Demokratie brauche es und Bürgerinnen und Bürger, die dafür aufstehen. "Und das tun Sie", lobte Töpper die Erschienenen und forderte sie auf, zusammenzustehen für eine "bunte Republik Deutschland und ein buntes Gerolzhofen."
Auch die Vertreter der großen Kirchengemeinden ließen es sich nicht nehmen, einige Worte an die Teilnehmenden zu richten. Der katholische Pfarrer Stefan Mai hat ein Problem damit, wenn jemand scheinbar leichte Antworten auf Fragen gibt, die nicht so leicht zu beantworten sind. "Dieses Schwarz-Weiß-Denken zerstört den Frieden in unserer Gesellschaft."
Pfarrer Stefan Mai: AfD-Mandat und Kirchengremium unvereinbar
Wer sich nicht zu Menschenrechten bekenne, so Mai weiter, habe in unseren Kirchengremien keinen Platz. Für ihn steht fest: Die Wählbarkeit hält er für Personen mit AfD-Mandat für unvereinbar. Mai spielte damit scheinbar auf den AfD-Funktionär Daniel Halemba an, der in einen Pfarrgemeinderat in Wertheim gewählt worden ist. Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn unter anderem wegen Volksverhetzung.
Rainer Apel, Pfarrer der evangelischen Erlöserkirche, stört sich an der aktuell harten Sprache in der Politik. Er nannte diese einen "geistigen Vorschlaghammer". Es dürfe nie wieder passieren, dass in Deutschland Deportationen von Menschen vorbereitet werden.
"Wir leben in einer Zeit der Relativierung der Geschichte", zitierte Evamaria Bräuer den früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis. Die Stadtführerin und Expertin für jüdisches Leben in Gerolzhofen verlas ein bewegendes Erlebnis einer früheren jüdischen Familie, die während der NS-Zeit in der Bahnhofsstraße lebte und bei jedem SA- und SS-Aufmarsch um ihr Leben fürchtete.
Stadtführerin Bräuer: Erinnerungen an NS-Verbrechen wachhalten
Bräuer mahnte eindringlich, die Erinnerungen an die NS-Verbrechen wachzuhalten und sich frühzeitig gegen Rassismus einzusetzen. Schriftsteller Erich Kästner hatte, so die Rednerin weiter, nach dem Krieg darauf hingewiesen, dass man den Nationalsozialismus spätestens 1928 hätte bekämpfen müssen. Man dürfe nicht warten, bis aus einem Schneeball eine Lawine werde.
Die Schülerinnen und Schüler Ayla Zietlow, Nele Wirth, Klara Döpfner und Justus Zink appellierten, gegen jede Form von Extremismus einzustehen. "Wir wollen nicht noch einmal 1933, sondern ein friedliches Land", so Nele Wirth.
Musikalisch gestaltet wurde die Veranstaltung vom Duo Sehnsucht. Silvia Kirchhof und Achim Hofmann präsentierten unter anderem Lieder von der "Insel der Glatzen" und "Sage nein". Mit Beethovens "Freude schöner Götterfunke", der Europahymne, klang die Kundgebung auf dem Marktplatz aus. Laut Herbert Kimmel ein Hinweis auf die bevorstehende Europawahl am 9. Juni.