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Schweinfurt/Würzburg
Sie brennt fürs saubere Wasser: Würzburger Bauingenieurin macht die Schweinfurter Kläranlage zum Vorzeigebetrieb
In Schweinfurt wird Abwasser so gut gereinigt, dass es fast trinkbar ist. Die umtriebige Betriebsleiterin Nadine Scheyer zeigt, wie sich so Umweltprobleme lösen lassen.
Unser Abwasser ist Teil der Lösung für viele Umweltprobleme: Die Betriebsleiterin der Stadtentwässerung Schweinfurt, Dr. Nadine Scheyer, ist davon überzeugt.
Foto: Anand Anders | Unser Abwasser ist Teil der Lösung für viele Umweltprobleme: Die Betriebsleiterin der Stadtentwässerung Schweinfurt, Dr. Nadine Scheyer, ist davon überzeugt.
Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 09.01.2025 02:34 Uhr

Ein Schluck gereinigtes Abwasser aus der Kläranlage gefällig? Für Nadine Scheyer kein Tabu: "Wir produzieren hier kein Trinkwasser, aber das Wasser ist nach der vierten Reinigungsstufe so sauber, dass man es trinken könnte", sagt die stellvertretende Werkleiterin der Stadtentwässerung Schweinfurt. Sie nimmt einen Schluck und lächelt: "Mein Herz schlägt für die Abwasserreinigung."

Wenn andere beim Thema Schmutzwasser die Nase rümpfen, zuckt die promovierte Bauingenieurin nur mit den Schultern. Und erklärt dann ausführlich, wie sich mit Abwasser in vielen Bereichen die verschiedensten Probleme lösen lassen - bei Wasser, Energie, Umwelt, Klima oder Gesundheit. Die Leidenschaft der 41-Jährigen: praktische Lösungen für ihre "Heimatregion" Würzburg-Schweinfurt zu finden. 

Kein Trinkwasser, aber so sauber, dass man es ohne Gefahr trinken könnte, ist das Wasser nach der vierten Reinigungsstufe in der Schweinfurter Kläranlage. Nadine Scheyer probiert es.
Foto: Anand Anders | Kein Trinkwasser, aber so sauber, dass man es ohne Gefahr trinken könnte, ist das Wasser nach der vierten Reinigungsstufe in der Schweinfurter Kläranlage. Nadine Scheyer probiert es.

Seit 2019 verantwortet die Würzburgerin die Bereiche Abwasserreinigung, Planung, Kanalnetz und Umweltlabor bei der Stadtentwässerung Schweinfurt. Das Klärwerk reinigt das Abwasser von 55.000 Menschen im Schweinfurter Stadtgebiet, 30.000 Menschen aus den Umlandgemeinden Schonungen, Sennfeld, Dittelbrunn, Gochsheim und Üchtelhausen sowie zahlreichen Industriebetrieben in und um Schweinfurt.

Ein Zukunftsprojekt nach dem anderen stößt Nadine Scheyer seither an und macht so die Schweinfurter Kläranlage auf ihren 13 Hektar Fläche - das entspricht rund 20 Fußballfeldern - zu einem Vorzeigebetrieb in Bayern.

"Mein Herz schlägt für die Abwasserreinigung."
Nadine Scheyer, stellvertretende Werkleiterin der Stadtentwässerung Schweinfurt

Stadtbäume in Hitzesommern vor dem Vertrocknen retten, die Menschen rechtzeitig vor potenziell tödlichen Viren warnen, klimaschädliche Emissionen reduzieren, Sonnenenergie nutzen, die Wasserqualität für Fische und Pflanzen im Main verbessern - alles Ziele der umtriebigen Betriebsleiterin. Sie sei "leider ein Workaholic", meint die 41-Jährige. 50 bis 60 Arbeitsstunden pro Woche seien für sie "obligatorisch", doch ihr Job sei "überaus erfüllend". 

Nadine Scheyer spricht von "Teamleistung": In den vergangenen sechs Jahren hätten die 58 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Stadtentwässerung nachhaltiger ausgerichtet. Sechs Projekte nennt sie als Beispiele:

1. Sonnenenergie nutzen ohne Flächenfraß

Ein neues Solarfaltdach beschattet im Sommer Wasserbecken in der Schweinfurter Kläranlage.
Foto: Anand Anders | Ein neues Solarfaltdach beschattet im Sommer Wasserbecken in der Schweinfurter Kläranlage.

Um die Schweinfurter Kläranlage mit erneuerbarer Energie zu versorgen, wurde im Sommer 2024 ein Solarfaltdach mit einer Leistung von 372 Kilowatt Peak in Betrieb genommen. Damit der Photovoltaikanlage keine Grünflächen zum Opfer fallen, wurden Klärbecken auf einer Fläche von 2500 Quadratmetern überdacht - mit Seilbahntechnik aus der Schweiz. 

2. Klimaschädliche Emissionen der Kläranlage senken

Die orange-farbigen Hauben auf den Belebungsbecken für die biologische Abwasserreinigung messen jetzt klimaschädliche Emissionen.
Foto: Anand Anders | Die orange-farbigen Hauben auf den Belebungsbecken für die biologische Abwasserreinigung messen jetzt klimaschädliche Emissionen.

Auch Kläranlagen verursachen Treibhausgas-Emissionen. Doch wie viel, wisse niemand genau, sagt Scheyer. Für Kläranlagen gebe es keine Grenzwerte, beispielsweise für Lachgas, das 300 Mal klimaschädlicher sei als CO2. "Wir können die Emissionen aber erst reduzieren, wenn wir die Daten kennen." Seit 2023 lässt die Abwasserexpertin deshalb die Gas-Menge mittels "Ablufthauben" messen. Ziel sei, die Emissionen langfristig um ein Drittel zu reduzieren.

3. Mit Abwasser-Monitoring vor gefährlichen Viren warnen

Überblick über die Kläranlage: Aus dem Abwasser-Monitoring, das in Schweinfurt stattfindet, lassen sich frühzeitig Virusinfektionen ablesen.
Foto: Anand Anders | Überblick über die Kläranlage: Aus dem Abwasser-Monitoring, das in Schweinfurt stattfindet, lassen sich frühzeitig Virusinfektionen ablesen.

Dass Viren im Darm schon vor dem Ausbruch einer Krankheit ausgeschieden und im Abwasser nachgewiesen werden können, macht sich die Stadtentwässerung Schweinfurt gemeinsam mit der TU München seit Beginn der Corona-Pandemie zunutze. Mit dem Abwasser-Monitoring, einer Art Frühwarnsystem im Gesundheitsbereich, lassen sich auch Grippewellen vorhersagen.

4. Abwasser so gut reinigen, dass man Obst bewässern könnte

Auf einer Versuchsfläche werden Pflanzen mit gereinigtem Abwasser - 'Nutzwasser' - bewässert.
Foto: Anand Anders | Auf einer Versuchsfläche werden Pflanzen mit gereinigtem Abwasser - "Nutzwasser" - bewässert.

Besonders stolz ist die Werkleiterin auf das "Nutzwasserprojekt", gefördert vom Bundesbildungsministerium. "Abwasser ist immer ausreichend vorhanden, auch im Sommer", sagt Nadine Scheyer. Die Idee ist daher simpel: Abwasser so sauber zu bekommen, dass man es für die Bewässerung von Grünanlagen und sogar für Obst und Gemüse, das roh gegessen wird, verwenden kann. Ihrem Team ist das gelungen, wie die Überprüfung durch Experten der TU München, des Technologiezentrums Wasser in Karlsruhe und des Umweltlabors der Stadtentwässerung selbst zeigt.

Keine Rückstände von Antibiotika mehr, keine Spuren der Korrosionsschutzmittel aus der metallverarbeitenden Schweinfurter Industrie: Selbst die am schwierigsten zu entfernenden Stoffe seien am Ende raus aus dem Wasser, sagt Scheyer. "Schon heute wird Gemüse, das bei uns im Supermarkt landet, in südlichen Ländern Europas mit Nutzwasser nach EU-Norm bewässert." Das allerdings sei längst nicht so sauber wie das Schweinfurter Nutzwasser.

5. Eine vierte Reinigungsstufe bauen und Grünflächen in Schweinfurt bewässern

Das Modell zeigt die Größe des Abwasserhauptsammlers unter der Erde. Am Rohrscheitel befestigt ist die Druckleitung (schwarz-rot), die künftig gereinigtes Abwasser zurück ins Stadtgebiet bringen soll.
Foto: Anand Anders | Das Modell zeigt die Größe des Abwasserhauptsammlers unter der Erde. Am Rohrscheitel befestigt ist die Druckleitung (schwarz-rot), die künftig gereinigtes Abwasser zurück ins Stadtgebiet bringen soll.

Weil das Pilotprojekt im Kleinen so erfolgreich war, soll es ab 2027 im Großen realisiert werden: Dann sollen bis zu 85 Prozent des Schweinfurter Abwassers durch eine neue, vierte Reinigungsstufe geschickt werden. Geschätzte Investitionskosten: 22 Millionen Euro. Bis zu 60 Prozent will der Freistaat Bayern übernehmen.

Die vierte Reinigungsstufe entlaste nicht nur die Ökologie des Mains. Ein Teil des Wassers soll über ein "Rohr-in-Rohr-System" in einen zentralen Speicher zurück ins Stadtgebiet geleitet werden und zur Bewässerung von rund 30 Hektar städtischer Grünflächen dienen. "Unser Ziel ist, die Städte klimaresilienter zu machen, damit sie sich im Sommer nicht weiter aufheizen", sagt Scheyer.

6. Mit Künstlicher Intelligenz Wasser sparen und intelligenter verteilen

Wasserinfrastruktur der Zukunft im Blick: Bei der Stadtentwässerung Schweinfurt denkt man schon ein paar Schritte weiter.
Foto: Anand Anders | Wasserinfrastruktur der Zukunft im Blick: Bei der Stadtentwässerung Schweinfurt denkt man schon ein paar Schritte weiter.

Nadine Scheyers nächstes Projekt ist Zukunftsmusik: "Wasser-Resilienz". Die statische Wasserinfrastruktur in Schweinfurt soll dynamischer werden. Dadurch könne man besser auf künftige Klima-Extreme reagieren, sagt die Bauingenieurin: etwa bei Starkregen mittels künstlicher Intelligenz das Wasser im Kanalsystem intelligenter verteilen.

Ein integriertes Bedarfsmanagement und die Bewirtschaftung alternativer Wasserressourcen für Nicht-Trinkwasserzwecke sollen die Effizienz steigern und Trinkwasserressourcen in Stadt und Landkreis Schweinfurt schonen. Mit dabei: die Stadtwerke Schweinfurt, der Trinkwasserversorger "Hessenwasser" und federführend die TU München.

 
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  • Roland Rösch
    Könnte Frau Dr.Scheyer nicht mal für Würzburg tätig werden damit die Bürger nicht mehr das zu stark gechlorte Wasser seit Wochen trinken müssen das aus den Wasserhähnen riecht wie in einem Labor. Die Stadt Würzburg ( Abteilung Trinkwasser )scheint nicht in der Lage zu sein das Problem dauerhaft zu lösen.
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  • E. Böhrer
    Tolle Leistung von Frau Scheyer.
    Das Klärwerk Schweinfurt war schon in den 1980ern beachtenswert und hatte verschiedene biologische Klärstufen.
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  • Offensichtlich braucht SW keinen Grünen Bürgermeister der sich nur über sein freies Parken im Zentrum freut ...
    SW genügt fachliche Kompetenz und Umsetzungswillen.
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  • Georg Ries
    Frau Dr. Scheyer ist offensichtlich eine herausragende Persönlichkeit! Da kann Schweinfurt stolz sein. Hoffentlich bleibt sie der Stadt erhalten!!! Solche Fachleute sind überall begehrt!
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  • Christof Bretscher
    Ein bemerkenswerter und interessanter Beitrag. Die Darstellung ist verständlich, die Verbindungen z.B. zum GKS gut dargestellt. Es waren und sind wohl weiter hohe Investitionen notwendig. Besonders eindrucksvoll: Kompetenz trifft auf Engagement und ein Team unter Leitung von Frau Dr.Scheyer, Vernetzung, Weiterentwicklung, Partnersuche und Finanzierung inbegriffen. Auf der Homepage von Schweinfurt sind weitere interessante Details einsehbar.
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  • Manfred Englert
    Inovationswillen, den hatte vermutlich der immer so gescholtenen OB Remele.
    Er bekommt hierfür mal meinen Dank ausgesprochen!
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  • Frank Julke
    Beeindruckend welche breite Palette beim Abwasser neu angegangen und neu gedacht werden. Das braucht Fachwissen, aber auch Inovationswillen!
    Respekt dafür!
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