
Schwerer sexueller Missbrauch: Wegen dieses Vorwurfs sind im Januar vor Gericht zwei Männer zu Haftstrafen verurteilt worden, die einst im Erich Kästner Kinderdorf in Oberschwarzach im Landkreis Schweinfurt beschäftigt gewesen waren. Drei Jahre ohne beziehungsweise ein Jahr und sechs Monate auf Bewährung lautet das Urteil. Es ist noch nicht rechtskräftig.
Was sagt das Leitungsteam des Kinderdorfs zu den heftigen Anschuldigungen? Und was weiß es überhaupt von den Vorwürfen der beiden früheren Heimkinder, die im Prozess am Amtsgericht Schweinfurt als Nebenkläger auftraten?
Geschäftsführerin und Vorstand des Kinderdorf-Vereins nicht im Prozess
Geschäftsführerin Eva-Maria Hoffart und Gerald Möhrlein, Vorsitzender des eingetragenen Vereins, waren bei den Verhandlungen am Amtsgericht Schweinfurt nicht anwesend. Aber beide sagen, die Anschuldigungen seien "unvorstellbar".
"Ich bin aus allen Wolken gekippt", beschreibt Möhrlein seine erste Reaktion, als er von den Missbrauchsvorwürfen hörte. Hoffart und er hätten entschieden, nicht zum Prozess zu kommen - "wir wollten zunächst abwarten". Die Angeklagten würden sie "auch aus ihrem aktiven Angestelltenverhältnis" kennen. Aber von den konkreten Missbrauchsvorwürfen "wussten wir nichts".
Hätten die beiden Leitenden den zwei Männern die vorgeworfenen Taten zugetraut? Möhrlein und Hoffart schütteln den Kopf und beschreiben die früheren Mitarbeiter als "hilfsbereit" und "unterstützend". Es habe keine Anzeichen gegeben, dass sie Kinder und Jugendliche missbrauchen. "Sonst wären wir aktiv geworden."
Die Übergriffe haben sich laut Anklage ab 1998 ereignet. Für die Staatsanwaltschaft Schweinfurt und für die Vertreter der Nebenklage gab es "keinerlei Zweifel, dass die Taten so stattfanden", wie in der Anklageschrift formuliert. Vor Gericht kamen auch länger zurückliegende Vorwürfe über körperliche Gewalt zur Sprache sowie Anschuldigungen gegen weitere Personen im Bereich des Kinderdorfs.
Stellungnahme nach dem Urteil: "Sind sehr betroffen"
All das hätten sie "aus der Presse" entnommen, sagen Gerald Möhrlein und Eva-Maria Hoffart. Das hatten beide nach dem Urteil auf Anfrage dieser Redaktion in einer Stellungnahme schriftlich mitgeteilt. "Wir sind sehr betroffen über die Schilderungen", schreiben sie dort, "und sprechen den Betroffenen unser Mitgefühl aus".
Was diese Redaktion über den Prozess berichtete, ist nur ein Bruchteil dessen, was die Zeugen vor Gericht ausgesagt haben. Aus presserechtlichen Gründen kann nicht über jedes Detail berichtet werden.
So wurde unter anderem auch die frühere Leiterin von Zeugen fragwürdiger Erziehungsmethoden sowie der Mitwisserschaft beschuldigt. Auf Nachfrage der Redaktion heißt es: Sie könne aus gesundheitlichen Gründen keine Stellungnahme dazu geben.
Gründerin und frühere Leiterin arbeitet noch im Kinderdorf mit
Eva-Maria Hoffart, die das Oberschwarzacher Kinderdorf 1996 während eines Praktikums kennenlernte, berichtet nur Positives über ihre Vorgängerin. Sie und Möhrlein sprechen von ihrem "Blick für Erneuerungen", ihren Impulsen. Noch immer arbeite die Gründerin und frühere Leiterin mit und gebe "hilfreiche Hinweise".
Gerald Möhrlein, seit 2003 im Kinderdorf tätig, sagt über die Kinderdorf-Gründerin: "Sie hat einen großartigen Blick auf die Kinder. Wir können uns nicht vorstellen, dass sie irgendwas getan oder gewusst haben könnte." Gesprochen hätten sie mit ihr jedoch noch nicht.

Hoffart bestätigt indes Vorwürfe gegen sie selbst, die vor etwa einem Jahr in Google-Rezensionen zum Kinderdorf gegen sie erhoben wurden. "In einer werde ich auch als Täterin genannt. Aber ich weiß ja, was ich getan habe und was nicht. Ich habe niemanden misshandelt", sagt sie.
Möhrlein sagt, er hätte die Regierung von Unterfranken als Heimaufsicht über die Anschuldigungen informiert. Man könne sich dagegen kaum wehren. Er wolle "das jetzt nicht bagatellisieren", meint der Vorsitzende. "Aber das ist eine Sache, die einem in diesem Beruf passieren kann."
Was aktuell im Kinderheim passiert: Wichtig sei, die rund 40 dort lebenden Kinder zu schützen und zu stabilisieren. "Sie brauchen Sicherheit", sagt Hoffart. Ebenso die Mitarbeitenden.
"Wir haben interne und externe Schutzbeauftragte, die involviert werden, wenn es um Vorwürfe gegen Mitarbeitende gehen sollte", sagen die beiden Leitenden.
Zudem gebe es "seit Jahren" eine Handlungsanleitung bei Kindeswohlgefährdung mit einer klaren Meldekette, falls Vorfälle beobachtet oder berichtet werden. Und: "Wir haben ein Beschwerde- und Partizipationskonzept, damit jungen Menschen Möglichkeiten haben, Ungerechtigkeiten oder Grenzverletzungen zu melden."
Kinderdorf-Leitung: Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung geplant
In Vorbereitung sei nun eine externe, unabhängige Aufarbeitungskommission. Ihre Aufgabe ist laut Möhrlein: "Herauszufinden, was wirklich war. Nichts soll unter den Teppich gekehrt werden." Es beschäftige ihn sehr, "nicht zu wissen, was da noch ans Licht kommen könnte."
Für Geschäftsführerin Hoffart ist wichtig: "Zunächst einmal muss man schauen, was an diesen Vorwürfen, Anschuldigungen oder Wahrnehmungen dran ist." Wann die Kommission ihre Arbeit aufnehme, "wissen wir noch nicht".
Zeugen, die vor Gericht ausgesagt hatten, erwarten jetzt "eine umfängliche Entschuldigung für das, was uns angetan wurde". Nicht nur die beiden Angeklagten, auch die frühere Leitung sowie Mitarbeitende, die bereits seit über 25 Jahren im Kinderdorf tätig sind, hätten sich schuldig gemacht. Sie sollten von Kindern ferngehalten werden, sagen die Zeugen gegenüber dieser Redaktion.
Eva-Maria Hoffart betont: "Wenn ich etwas bemerkt hätte, wäre ich nicht mehr im Kinderdorf. Ich glaube nach wie vor an das Konzept unserer Einrichtung."
Die meisten Vorwürfe, die von Zeugen vor Gericht vorgetragen worden waren, sind verjährt. Lediglich die Anschuldigungen von zwei ehemaligen Heimkindern gegen die Angeklagten konnten im Prozes noch verhandelt werden.