
Am Amtsgericht Schweinfurt ist an diesem Mittwoch der Prozess um Missbrauch im Kinderheim zu Ende gegangen. Zwei Männer, 54 und 44 Jahre alt, wurden wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen verurteilt - zu drei Jahren Freiheitsstrafe sowie zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monate auf Bewährung.
Während des Prozesses war die Öffentlichkeit zweimal ausgeschlossen worden. Gleich am ersten Verhandlungstag Mitte November mussten alle Besucher den Gerichtssaal verlassen, als der erste Hauptbelastungszeuge von seinen schrecklichen Erfahrungen im Erich Kästner Kinderdorf in Oberschwarzach (Lkr. Schweinfurt) berichtete.
Auch nach seinem Urteil an diesem Mittwoch schloss der Vorsitzende Richter Michael Roth erneut die Öffentlichkeit aus. Die Hauptverhandlung war zwar zu Ende. Doch das Gericht sollte noch über einen Antrag entscheiden: Staatsanwältin Lena Herbert hatte den Erlass des Untersuchungshaftbefehls gegen den älteren Angeklagten gefordert. Der 54-Jährige lebt laut Herbert im Ausland und war einst im Kinderdorf auch in der Betreuung der Kinder eingebunden.
Über solche Anträge, die nicht unmittelbar die Urteilsfindung betreffen, könne das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung entscheiden, teilte der Leitende Oberstaatsanwalt Axel Weihprecht mit. "Das Amtsgericht hat Haftbefehl wegen Fluchtgefahr erlassen." Der Angeklagte sei deshalb am Mittwoch in eine Justizvollzugsanstalt gebracht worden, so Weihprecht.
Schweigen bis zuletzt: Beide Angeklagte verzichten auf das "letzte Wort"
Der Prozess war nicht nur für die beiden Hauptbelastungszeugen eine Tortur, auch für alle Zeugen, die zwar aussagten, deren Vorwürfe aber bereits verjährt sind. Die beiden Beschuldigten hatten von Beginn an geschwiegen. Auch ihr Recht auf das "letzte Wort", das Angeklagten zusteht, nutzten sie nicht.
Deswegen mussten alle Zeugen aussagen und sich an schmerzhafte Erfahrungen - wenn möglich präzise und in allen Einzelheiten - erinnern. Die angeklagten Taten liegen gut 25 Jahre zurück. Im Zeugenstand mussten die früheren Heimkinder sich jetzt unangenehmen Nachfragen stellen und erleben, wie ihre Glaubhaftigkeit von den Verteidigern infrage gestellt wurde.
Einer der Angeklagten offenbart sich als Missbrauchsopfer
Der Verteidiger des jüngeren Angeklagten, der im Erich Kästner Kinderdorf auch pädagogisch tätig war und als Familienmitglied der damaligen Heimleitung eine Sonderstellung genoss, stellte am Mittwoch noch den Antrag, den Prozess auszusetzen. Sein Mandant habe ihm vor kurzem "erstmals offenbart", selbst ein Missbrauchsopfer geworden zu sein, sagte sein Anwalt Peter Auffermann. Der 44-Jährige solle deshalb vor dem Urteil erst psychiatrisch begutachtet werden.
Diesen Antrag lehnte das Gericht ab.

Während der Plädoyers, die viele Zeugen im Gerichtssaal verfolgten, flossen Tränen. Manche Zuhörer blickten zu Boden oder saßen mit versteinerten Gesichtern auf den Besucherstühlen. Aber sie wollten dabei sein und das Urteil hören.
Sind sie jetzt erleichtert? Ein Zeuge zuckt mit den Schultern. Ein anderer schüttelt leicht mit dem Kopf, noch nicht fähig, etwas zu sagen.
Mit Versprechungen und Schokolade an den Tatort gelockt
Die Schweinfurter Staatsanwältin Lena Herbert hatte in Richtung des älteren Angeklagten gesagt, er müsse damit klarkommen, dass er durch seine Taten Menschen fürs Leben geprägt habe. Sie wies auf die bis heute andauernden psychischen Belastungen der Geschädigten hin. Sie seien mit Versprechungen und Schokolade zu einem Tatort, einem Wohnwagen auf dem Heimgelände, gelockt worden. Auch eine Frage, die ein Zeuge einst dem Angeklagten gestellt haben will, wiederholte die Staatsanwältin am Mittwoch: Warum mache er das nicht mit Frauen? Seine Antwort sei damals sei gewesen: "Ihr seid billiger."
Die Anwälte der beiden Hauptbelastungszeugen und Nebenkläger, Oliver Peschkes und Maximilian Schüßler, ließen in ihren Plädoyers keinen Zweifel: Schwerste Straftaten seien hier verübt worden. Heimkinder hätten keine Lobby, so Peschkes. Auch die Heimleitung hätte sie nicht geschützt.
Peschkes sagte nach dem Prozess, dass die damalige Heimleiterin von ihrem Zeugenverweigerungsrecht Gebrauch gemacht habe. Sie war von der Verteidigung angefordert worden, aber nicht in den Zeugenstand getreten.
Es habe im Heim und an anderen Orten - etwa auf einer Almhütte in Österreich, wo die Kinder mit ihren Betreuern die Ferien verbrachten - nicht nur sexuellen Missbrauch gegeben, sagte Peschkes. Sondern auch Schläge und andere fragwürdige Bestrafungen. "Welches Menschenbild steht dahinter?", fragte der Anwalt und sprach von Foltermethoden. Die geschilderten Taten seien offenbar nur die Spitze des Eisbergs. Und aufgrund der Aussage einer Zeugin hätten sexuelle Übergriffe bis ins Jahr 2014 stattgefunden.
Anwalt Maximilian Schüßler führte aus, dass das Erich Kästner Kinderdorf, das Heimat für Kinder mit Entwicklungsstörungen sein sollte, für sie die "reinste Hölle" gewesen sei. Der Wohnwagen des einen Angeklagten sei damals zum "Tempel des Bösen" geworden.
Aktuell gibt es auf der Homepage des Erich Kästner Kinderdorfes keine ausführlichen Informationen zur Einrichtung zu lesen. Dort steht lediglich: "Unsere Seite wird überarbeitet".