
Zwei Männer sitzen im Amtsgericht Schweinfurt auf der Anklagebank. Ihnen wird schwerer sexueller Missbrauch von Kindern ab Ende der 1990er Jahre vorgeworfen. Nebenkläger ist ein Mann, der als Kind in einer bekannten Betreuungseinrichtung in der Region untergebracht war: im Erich Kästner Kinderdorf in Oberschwarzach im Landkreis Schweinfurt.
Der Angeklagte A (anonymisiert) war laut Anklageschrift in der Einrichtung für verschiedene Tätigkeiten eingesetzt. Der Angeklagte B (anonymisiert) war dort auch pädagogisch tätig.
Zwei Verhandlungstermine gab es bislang: Mitte und Ende November. Einblicke in einen Prozess mit einem langen Vorlauf.
Nebenkläger ist "emotional zusammengeklappt"
Die Aussage des Nebenklägers findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Vorkehrungen sind getroffen: Es wird eine Leinwand aufgestellt, dahinter werden die beiden Angeklagten platziert, ohne Sichtkontakt zum Zeugen. Auf seinen Wunsch hin begleitet ihn eine Mitarbeiterin des Weißen Ring Schweinfurt, der Beratungsstelle für Kriminalitätsopfer. Nach seiner gut einstündigen Befragung stürmt der Mann mit seiner Prozessbegleiterin und einer Justizbeamtin aus dem Sitzungssaal, sichtlich aufgeregt und aufgelöst.
Im Gespräch mit dieser Redaktion sagt der 38-Jährige, er sei nach seiner Aussage "emotional zusammengeklappt" und psychisch am Ende gewesen. Er habe gehofft, die Angeklagten würden aussagen, damit er nicht vor Gericht erscheinen muss.
Etwa zehn Jahre habe er im Erich Kästner Kinderdorf gelebt. Er sei öfter weggelaufen, "immer wenn es unerträglich wurde", und immer wieder zurückgebracht worden. Als Zehnjähriger sei er bei der Polizei in Gerolzhofen gewesen. Seine Anzeige "sei im Sande verlaufen".
"Keinem Kind soll so etwas passieren, wenn es in ein Heim kommt. Kinder gehören geschützt", sagt der Nebenkläger.
Mehrere Zeugen bestätigen an beiden Verhandlungstagen, was die Staatsanwaltschaft Schweinfurt den Angeschuldigten zur Last legt, vor allem die Vorwürfe gegen A. Sie berichten von sexuellen Handlungen, die A an ihnen vornahm, von "Fummeleien" und Geschlechtsverkehr.
Immer wieder ist von Versprechungen und Belohnungen die Rede, von Cola und Schokolade, mit denen A die Heimkinder gelockt habe.
Es gibt auch einige wenige Aussagen von Zeugen, die von keinerlei sexuellen Übergriffen wussten oder keinerlei Übergriffe erlebt haben. Ein Mann sagt, er sei nicht betroffen, aber er habe vor zwei Jahren von seinem Bruder erfahren, dass er von A missbraucht worden sei. Dieser Bruder wird für die zweite Verhandlung geladen. Er bezeichnet die Zeit in der Einrichtung als "die schlimmsten drei Jahren meines Lebens".
Die Zeugen schildern auch angebliche Erfahrungen, für die sich die Anklage – wie der Vorsitzende Richter immer betont - in diesem Prozess nur am Rande interessiert: Demütigungen, Schläge und andere – laut Richter - "fragwürdige Erziehungsmethoden".
Anklageschrift stammt aus dem Jahr 2020
Verwunderlich ist: Die Anklageschrift wurde im Juli 2020 verfasst. Warum kam es jahrelang zu keiner Eröffnung des Prozesses?
Dazu informiert der Gerichtssprecher: "Das Amtsgericht Schweinfurt hatte die Eröffnung des Hauptverfahrens zunächst abgelehnt." Auf eine Beschwerde des Nebenklägers habe dann das Landgericht Schweinfurt mit Beschluss vom 22. September 2023 das Hauptverfahren eröffnet. "Anschließend mussten Termine mit den Verfahrensbeteiligten und insbesondere dem Sachverständigen abgestimmt werden."
Diese Abstimmung hat somit über ein Jahr gedauert - bis zum November 2024. Die Vorgeschichte beginnt allerdings bereits vor acht Jahren.
"Dass es zu diesem Prozess gekommen ist, grenzt an ein Wunder", sagt der Wiesbadener Rechtsanwalt Oliver Peschkes. Er vertritt die Nebenklage. 2016 habe die Staatsanwaltschaft Schweinfurt das Ermittlungsverfahren eingestellt. Warum? Laut Peschkes hieß es: "Die Tatvorwürfe seien zu lange her, die missbrauchten Kinder seien nicht glaubwürdig."
Der Fall des Nebenklägers ist noch nicht verjährt
Die vorherige Anwältin des Nebenklägers, die 2016 im Auftrag ihres Mandanten Anzeige erstattet hatte, habe daraufhin zweimal Beschwerde eingelegt. Zuerst wegen der Einstellung der Ermittlungen. Dann wegen Nichteröffnung der Hauptverhandlung. "Erst nachdem das Landgericht Schweinfurt angeordnet hatte, dass die Anklage der Staatsanwaltschaft zuzulassen und das Verfahren gegen die Angeklagten zu eröffnen sei, kam es zu dem Prozess", sagt Peschkes.
Letztlich sei dies kurz vor knapp geschehen, so Peschkes. Der Fall des Nebenklägers sei noch nicht verjährt. Da inzwischen die Anwältin im Ruhestand sei, habe er die Nebenklage übernommen.
Sachverständige von 2016 konnte keine Schlussfolgerungen ziehen
Die damalige Sachverständige sitzt mit im Gerichtssaal. Sie hatte 2016 zwei ehemalige Heimkinder begutachtet: den jetzigen Nebenkläger und einen Zeugen. Vor Gericht sagt die Fachpsychologin für Rechtspsychologie, sie habe bei ihrer Untersuchung des Nebenklägers nicht genügend Material gehabt und deshalb keine Schlussfolgerungen ziehen können beziehungsweise keinen Nachweis erbringen können, dass die Schilderungen erlebnisbasiert seien.
Die Sachverständige bemerkte, auch wenn aus aussagepsychologischer Sicht 2016 kein Nachweis zu führen gewesen sei, bedeute dies nicht, dass die fraglichen Vorfälle nicht erfolgt seien. Es bedeute lediglich, dass zum damaligen Zeitpunkt eine aussagepsychologische Beweisführung nicht möglich gewesen sei.
Die aktuelle Sachverständige kommt zu dem Urteil: Die Schilderungen des Nebenklägers seien erlebnisbasiert, also glaubhaft. Dies hat die Psychiaterin ausführlich und differenziert dem Richter und den beiden Schöffen vorgetragen.
Auch 2012 stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein
Nicht nur 2016, bereits 2012 habe die Staatsanwaltschaft Schweinfurt Ermittlungen in einem anderen Verfahren eingestellt, in dem bereits A beschuldigt wurde, informiert Anwalt Peschkes. Damals habe es auch Vorwürfe gegen eine Leitungsperson der Betreuungseinrichtung gegeben. Da es nicht zum Prozess kam, seien diese jedoch verjährt, so Peschkes.

Die Vorwürfe hatte 2012 ein Mann erhoben, der nun ebenfalls als Zeuge geladen ist. Er spricht langsam, stockend, erzählt, dass sein Kopf in die Badewanne gedrückt worden sei, aber auch von sexuellen Übergriffen.
Auch er wollte nur mit einer Prozessbegleiterin vor Gericht erscheinen. Wiltrud Werner vom Weißen Ring sagt, sie sei seit 2011 mit dem Mann in Kontakt. Er sei froh, dass er endlich als Zeuge aussagen konnte, und hofft, dass ihm dieses Mal geglaubt werde.
Zeuge bezeichnet Zeit im Heim als "reinste Hölle"
In der Anklageschrift von 2020 wird noch ein weiterer Mann als Zeuge genannt. Er ist zur ersten Verhandlung Mitte November nicht erschienen. In der zweiten Verhandlung fällt es ihm schwer, über das Erlebte zu sprechen. Er beschreibt seine Zeit in der Einrichtung als "reinste Hölle". Nie werde er darüber hinwegkommen. Eigentlich wollte er mit der Vergangenheit nicht mehr konfrontiert werden.
Gegen den Angeklagten B gibt es vom Nebenkläger laut Anklageschrift einen schweren Vorwurf: Er soll im Badezimmer des sogenannten Jugendgebäudes auf dem Gelände des Erich Kästner Kinderdorfes mit dem damals 12 Jahre alten Nebenkläger Geschlechtsverkehr gehabt haben. Ein anderer Zeuge wirft ebenfalls B und auch dem Bruder von B Übergriffe und sexuelle Handlungen vor.
Die Verteidiger von B haben weitere Zeugen beantragt. Der Prozess wird im Dezember und Januar fortgesetzt.