"Und wie gehe ich da jetzt ab?" Annabelle Ziegler hat gleich mehrere gute Gründe, sich darüber Gedanken zu machen: Schließlich balanciert die junge Turnerin gerade auf den Schultern von Fabian Schneider - und der steht wiederum auf einem mit Mauersteindekor versehenen Turnkasten. Der Mund, der diese Frage eben gestellt hat, befindet sich also gerade mehr als vier Meter über dem Bühnenboden, und die Discokugel unter der Decke der Schweinfurter Stadthalle ist ihr deutlich näher als der Fußboden. Ein kurzes Federn in den Knien, schon springt sie ab, landet sanft auf dem Bühnenboden. Abgang geschafft.
Sondertraining für "Fastnacht in Franken"
Annabelle und Fabian gehören zur Turnergruppe der Fastnachtsgesellschaft Schwarzen Elfaus Schweinfurt. Und die muss zur Zeit neben den regulären Auftritten bei den neun Prunksitzungen noch so manches Sondertraining einschieben, denn die in Schweinfurt bestens bekannte Turner- und Akrobatentruppe, die ursprünglich aus der rein männlichen Gruppe der SKF-Turner hervorgegangen ist, wurde erstmals eingeladen, bei der bayerischen Kult-Faschingssendung "Fastnacht in Franken" am 22. Februar mitzumachen.
Ihre Show "Auf dem Bau" aus dem vergangenen Jahr, die nicht nur bei den Sitzungen der Schwarzen Elf, sondern auch beim Hoffest der Handwerkskammer zu sehen war, hat offenbar Eindruck gemacht bei den Verantwortlichen des Fastnachtsverbandes. "Es hat sich angedeutet, das da etwas kommen könnte. Die endgültige Einladung kam dann nach Weihnachten", sagt Martina Roth, ein Teil des Duos, das die 18 Turnerinnen und Turner ohne Höhenangst trainiert. Gemeinsam mit Michael Huth, der gerade das Aufwärmen überwacht, steht sie heuer vor der Herausforderung, dass ihre Turner heuer sozusagen zwei Shows beherrschen müssen.
Während die jungen Damen und Herren für ihre aktuelle Nummer in Pyjamas über die Bühne fegen, wird für "Fastnacht in Franken" wunschgemäß das Bauarbeiter-Szenario reaktiviert. Freilich wird die Nummer nicht so einfach aus der Klamottenkiste geholt, sondern sie muss von ursprünglich 15 auf TV-kompatible vier Minuten zusammengekürzt werden. Und dann soll sie ja auch noch ein paar neue Überraschungen enthalten.
Doch Aufgaben sind dazu da, dass man sie meistert. Der Meinung sind auch Michael Kitz, besser bekannt als "Kitzi", und seine Frau Katharina, die lange Jahre die Turner der Schwarzen Elf trainiert haben und die auch einmal wieder als "Trainingsbeobachter" gekommen sind und herzlich begrüßt werden.
Herausforderungen kennen die Aktiven, denn bei allen Akteuren handelt es sich um ehemalige oder noch aktive Geräteturner, die in zahlreichen Wettkämpfen und immer von Kindesbeinen an ihr Handwerk gelernt haben. Das erklärt das hohe sportliche Niveau der Turner. "Geräteturner aus dem gesamten Landkreis machen bei uns mit", sagt Michael Kitz, der selbst eben diesen Wege gegangen ist.
Die Region Schweinfurt und das Turnen können ja sowieso gut miteinander. 1961 richtete die Kugellagerstadt schon einmal das Landesturnfest aus, heuer, vom 30. Mai bis zum 2. Juni, ist man erneut Gastgeber dieses sportlichen Großereignisses, zu dem 8000 Teilnehmer erwartet werden.
Die gemeinsame Liebe zum Turnen bringt alle zusammen
Es ist aber nicht nur der Sport, der alle hier begeistert, es ist auch die Gemeinschaft. "Geräteturner, die früher bei Wettbewerben gegeneinander angetreten sind, turnen hier bei uns jetzt gemeinsam", sagt Katharina Kitz, und natürlich seien die Turner auch ein enormer Motivationsschub für Mädchen und Buben, die ganz am Anfang ihrer sportlichen Karriere stehen. Während alle die Liebe zum Turnsport und zur Akrobatik eint, könnten die Berufe der jungen Leute, denen sie nachgehen, wenn sie nicht gerade turnen, kaum unterschiedlicher sein. Trainerin Martina Roth ist Sozialpädagogin bei der Stadt Schweinfurt, ihr Trainerkollege Huth verdient seine Brötchen bei einem Schweinfurter Großbetrieb. Turner Florian Schulz ist Pilot, und er hat auch in der Freizeit keine Angst vorm Fliegen, sieht das Turnen als hervorragenden Ausgleich zum Beruf.
Auf der Bühne ist die Aufwärmphase inzwischen abgeschlossen, unter den Anweisungen von Martina Roth werden Schubkarren, Bierkästen, große schwarze Mörtelkübel und eine Leiter auf die Bühne gebracht. Die einzelnen Bausteine, die sich zu den Szenen der flotten Bauarbeiter-Akrobatik zusammensetzen, werden Stück für Stück geprobt und kurz besprochen. "Waage", "Fischstäbchen" oder "Rückwärtsflieger" nennen sich die Probenteile. Es braucht nur so ein Szene-Schlüsselwort von Martina Roth und schon kommt Bewegung in die Turner und Schwung auf die Bühne.
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In Schwung gehalten werden die Turner übrigens während es ganzen Jahres, denn trainiert wird mindestens einmal die Woche, ab Herbst, wenn es auf die närrische Session zu geht, auch zweimal. "Wir wollen die Leute zum Staunen bringen und natürlich muss auch was Witziges dabei sein, schließlich ist Fasching", sagt Martina Roth, die gemeinsam mit Michael Huth die Choreographie entwickelt und für den Feinschliff sorgt.
Die Turner sind zwischen 17 und 37 Jahre alt
Und tatsächlich weiß das Auge des Betrachters fast gar nicht, wo es zuerst hinschauen soll, während auf der Bühne eine "Schubkarren" genannte Szene abläuft. Jede Bewegung sitzt, die jungen Damen und Herren zwischen 17 und 37 Jahren haben sich jetzt so richtig "warmgespielt", wirbeln um Leitern, schlagen Saltos mit Bierkästen und fegen sich förmlich – unter Einsatz eines imaginären Besens – über die Bühne. Nach der Szene wird gemeinsam besprochen, was gut lief, wo noch justiert werden muss, was man vielleicht anders machen kann. Wichtig sind die Publikumsperspektive und das Gefühl dafür, ob etwas tatsächlich funktioniert.
Nicht jeder, der Turner bei der Schwarzen Elf werden wollte, ist auch einer geworden. "Mancher kommt an seine Grenzen", wissen die ehemaligen Trainer. Aktiver sein bei den Turnern und Akrobaten der Schwarzen Elf, das ist etwas anderes als Männerballett oder Gardetanz. Es ist aber vor allem auch eine Geschichte der Freundschaft, ja einer eingeschworenen Gemeinschaft. Man trifft sich nicht nur zum Training und bei den Auftritten, man macht auch gemeinsame Ausflüge, dann aber bevorzugt und bequem mit dem Bus, wie die Turner schmunzelnd erzählen.
Einen Muskelkater hat keiner mehr
Und vielleicht gerade deshalb, weil sie so gut im Training sind, hat keiner von ihnen mehr Probleme mit dem Haustier namens "Muskelkater", das Hobbysportler sonst gerne bei sich zu Hause pflegen. "Normalerweise haben wir zwischen den Faschingssitzungen trainingsfrei, die Auftritte sind genug. Heuer kommen halt die Extra-Trainingseinheiten für den Auftritt in Veitshöchheim dazu", meint ein Turner. Lampenfieber? Nicht wirklich! Da sind sich die meisten einig. Man dürfe sich einfach nicht so sehr vorstellen, dass zu den paar hundert Gästen im Saal noch ein paar Millionen Fernsehzuschauer dazukommen. Aber auch vor einer größeren Kulisse wäre ihnen nicht bang. 2015, beim Kolping-Tag in Köln, traten die Schweinfurter Turner in der Lanxess Arena vor 10 000 Menschen auf - und auch das habe einfach nur Spaß gemacht.
Mit der größeren Bühne in Veitshöchheim habe man auch hinreichend Zeit, sich vertraut zu machen. Dienstag ist Probentag, Donnerstag die Generalprobe vor Gästen und am Freitag, 22. Februar, dann die Live-Sendung. Sicherheit gibt das Gefühl, dass jeder auf jeden bauen kann - und dies nicht nur, wenn das Motto auf der Bühne "Auf dem Bau" heißt.
Angst vor Unfällen und Blessuren? Auch das nicht. Einen blauen Fleck gibt es zwar immer mal wieder, aber Schlimmeres gab es in all den Jahren kaum. Michael Kitz erinnert sich an eine Faschingssitzung vor vielen Jahren, die seinerzeit von einem lokalen Fernsehsender live übertragen wurde. "Da ist uns tatsächlich einer aus der Pyramide gedotzt, auf den Boden gefallen und war kurzzeitig weg. Als wir ihn dann zur Sicherheit ins Krankenhaus gebracht haben, haben die dort schon auf ihn gewartet, weil sie die Sendung auch angeschaut haben."
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"Fastnacht in Franken" wird das Highlight
Eine atemberaubende Pyramide hat sich inzwischen auch auf der Probenbühne in der Schweinfurter Stadthalle gebildet. Eine Figur, die einen ersten Eindruck liefert vom Abschlussbild der Hochgeschwindigkeitsnummer. Und wieder könnten die Frauen auf dem Rücken ihrer Jungs, falls sie Putzlappen mitgebracht hätten, die "Discokugel" unter der Saaldecke polieren. Als "geliebtes und gelebtes Hobby" hat eine von ihnen das Turnen noch vor ein paar Minuten bezeichnet, ein Hobby mit dem man Pyramiden aus Menschen bauen kann und "das einen sogar ins Fernsehen bringt". Nach fast 20 Jahren bei den Turnern der Schwarzen Elf "wird der Auftritt in Veitshöchheim für mich ein echtes Highlight", sagt Turnerin Tina Ullmann, und alle anderen Aktiven nicken.