Nie waren Schweinfurter Sportler auf breiter Front so erfolgreich wie in den Goldenen 60er Jahren: Allen voran Eisschnellläufer Günter Traub, der mit zwei Weltrekorden im Großen Vierkampf weltweit Aufsehen erregte und mit Bruder Jürgen Traub an zwei Olympiaden teilnahm. Mit den DJK-Volleyballern gab es den ersten Bundesligisten, die Radamateure von RV 89 und RMC 50 waren traditionell stark im Nationalkader auch bei Weltmeisterschaften vertreten, im Fußball waren die „Schnüdel“ mit den Großklubs aus Stuttgart, Frankfurt, München und Nürnberg noch auf Augenhöhe und mobilisierten die Massen. Auch die Ruderer gehörten zur nationalen Elite. Knapp an der Olympiateilnahme scheiterten auch Boxer Otto Schröck und Schwimmer Norbert Rumpel.
Schweinfurt ging es gut
Schweinfurt ging es gut, in jeder Hinsicht. Der Wirtschaftsaufschwung der Nachkriegszeit erreichte in der ersten Hälfte der 60er Jahre seinen Höhepunkt. Die Produktion in den Industriehallen brummte; allein in den drei Großkonzernen gab es über 30 000 Arbeitsplätze.
Hochbetrieb herrschte auch auf den Sportanlagen und in der Stadthalle, wo das sportfreudige Volk mit Spitzensport verwöhnt wurde. Enthusiasmus, vorgelebt von einem sportbegeisterten OB Georg Wichtermann, Organisationskunst und herzliche Gastfreundschaft, all das sprach sich in den Verbänden und bei den Aktiven schnell herum.
An Großereignissen herrschte deshalb kein Mangel. Es gab Massen-Veranstaltungen wie 1961 das einwöchige Bayerische Landesturnfest mit 7000 Teilnehmern, eine logistische Meisterleistung. Ganz Schweinfurt war auf den Beinen beim großen Schlussakt mit Festzug, mit 600 Spielleuten und spektakulären Massen-Choreografien auf dem Stadion-Rasen. Ein voller Erfolg wurde auch die „Schweinfurter Inszenierung“ des Bundesjugendtreffens 1967 mit 3000 Nachwuchsathleten, die in 40 Sportarten ihre Besten ermittelten. Auch der oberste Sportfunktionär Willi Daume war begeistert von der modernen Stadtverwaltung und der Herkules-Arbeit der Organisatoren: Schweinfurt erlebte die kleinen, München 1972 die großen Spiele.
Dabei waren die Wettkampfstätten noch recht bescheiden: Moderne Dreifach-Hallen waren Zukunftsmusik, einfache Schulturnhallen mussten reichen, große Zelte ersetzten beim Landesturnfest die fehlenden Hallen. Allein die Stadthalle genügte höheren Ansprüchen. Der 1950 errichtete Mehrzweckbau war bis zur Fertigstellung des neuen Theaters 1966 in erster Linie Musentempel, erlebte großes Welttheater mit Schauspiel-Legenden wie Will Quadflieg oder Maria Becker. Es floss aber auch echtes Blut – auf der zum Boxring umfunktionierten Bühne. Die SC-1900-Staffel, damals in allen Gewichtsklassen stark besetzt, bot gegen namhafte Vereinsstaffeln mitreißende Kampfabende und hatte in Leichtgewichtler Otto Schröck einen der besten deutschen Faustkämpfer. Große Resonanz fanden in der Stadthalle auch die Auftritte der Turngemeinde-Riege um Otto Haßmann, dem unübertroffenen Turnkünstler dieser Jahre.
Stammgäste in Schweinfurts „Sportpalast“ waren auch die Bundesliga-Volleyballer der DJK um Harald Vollbach und Joachim Haas. Lange bevor der Volleyball-Boom mit den Münchner Spielen 72 über die Bundesrepublik hereinbrach, war das neue, rassige Spiel (erst seit 1964 olympisch) bei den innovativen Schweinfurtern bereits der Renner. Humboldt-Studienrat Winfried Baumann leistete in den Gymnasien und Vereinen ganze Pionierarbeit, die er mit dem 69er Einzug in die zweigleisige Eliteliga, der man zwei Spielzeiten angehörte, krönte. Turniere mit den besten europäischen Teams heizten die Volleyball-Euphorie zusätzlich an. Aus Baumanns Talentschuppen kam auch Celtis-Abiturient Toni Rimrod, der nach dem Aufstieg aber nach München wechselte und in den 70er Jahren zum Rekord-Nationalspieler (148 Länderspiele) avancierte.
Olympiasieger und Medaillengewinner in der Leichtathletik waren im Sachs-Stadion zu bestaunen. Vor allem die deutschen Zehnkämpfer, zwischen 1960 und 1964 auf dem Weg zur absoluten Weltspitze, fühlten sich auf den wunderschönen Wettkampfanlagen wohl und ließen sich von der stimmungsvollen Atmosphäre bei Deutschen Meisterschaften oder beim Länderkampf gegen die UdSSR beflügeln. 5000 Zuschauer erlebten 1960 im Zehnkampf und auf der Langstrecke die dramatische West-Ost-Olympiaausscheidung, die durch umstrittene taktische Manöver der DDR-Athleten noch tagelang heftige sportpolitische Wellen schlug.
Große Turniere
Faustballer, Radballer, Leichtathleten warteten mit großen Turnieren und Sportfesten auf, es gab die vom Humboldt-Gymnasium initiierten Hochfeste des Schulsports mit 1500 Teilnehmern, auf dem Rollschnelllauf-Ring duellierten sich die Weltbesten aus Italien, Spanien, England mit den weltmeisterlichen Traubs, Hockey-Olympiasieger Pakistan demonstrierte perfekte Spielkunst, auf der Rollschuhbahn präsentierten sich die Kunstlauf-Europameister, auf dem Main gab sich die internationale Ruderelite ein Stelldichein, die beiden Eintages-Rad-Klassiker waren hochkarätig besetzt, und die beliebten Rundstreckenrennen erfreuten sich bei Tausenden Radfans großer Beliebtheit. Im neuerbauten Sommerbad traf sich die halbe Nationalmannschaft bei den Süd-Meisterschaften. Und weil die Winter damals noch richtig streng und schneesicher waren, gab es am Kreuz- und Arnsberg alljährlich ein halbes Dutzend alpiner Wettkämpfe, auch die Stadtmeisterschaften, die von den TG-Alpinen dominiert wurden.
Nie war Schweinfurts Sportszene ereignisreicher und vielseitiger als in den 60er Jahren. Was sicher auch an der fehlenden Konkurrenz Fernsehen lag, das damals Sport außerhalb des Fußballs allenfalls am Sonntag in kleinen Portionen bot. Das richtige Erlebnis gab's vor 45 Jahren nur live in den Stadien und Hallen.