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Eine närrische Familie
Jonas Paul: Der 20-jährige Bergrheinfelder hat sein Faschingstalent geerbt: Der Opa war in der Bütt, der Onkel ist Sitzungspräsident, der Vater steht auf der Bühne und die Mutter war auch schon bei „Fastnacht in Franken“ im Fernsehen. Ein Besuch.
Jung, frech, frisch: Jonas Paul bei seinem Auftritt in Schweinfurt, am 21. Februar gibt er sein Debüt bei „Fastnacht in Franken“. Im Hintergrund im hellen Jackett: Onkel und Sitzungspräsident Ludwig Paul.
Foto: Herbert Götz | Jung, frech, frisch: Jonas Paul bei seinem Auftritt in Schweinfurt, am 21. Februar gibt er sein Debüt bei „Fastnacht in Franken“. Im Hintergrund im hellen Jackett: Onkel und Sitzungspräsident Ludwig Paul.
Achim Muth
 |  aktualisiert: 08.02.2024 21:59 Uhr

Die Narren sind müde. Das Licht in der Schweinfurter Stadthalle ist längst gedimmt. Die Premiere der „Schwarzen Elf“ in der Fastnachtssession 2014 ist vorbei. Ein einsamer Luftballon wippt im Mittelgang träge hin und her. Es ist Viertel nach zwei in der Früh, und wer etwas erfahren will über das Innenleben der traditionsreichen Gesellschaft, für den bietet der Kehraus treffliche Antworten. Die Bühne, die Show, der Glanz – das ist oft genug nur der Schein, die wahren Geschichten spielen sich dahinter ab.

Einer der Letzten im Saal ist Georg Hümpfer. Früher war er Ingenieur, jetzt hebt der Rentner Stühle auf die Tische. Hümpfer ist keiner der Ordner, er müsste das nicht tun. Hümpfer ist der Gesellschaftspräsident, er sagt: „Ich kann doch von den Leuten nix verlangen, was ich nicht selber mache.“ Dann fügt er etwas an, das oft zu hören ist an diesem Abend. Eigentlich hat die Antwort nahezu wortgleich jeder gesagt auf die Frage, was die Stärke der „Schwarzen Elf“ sei, das Geheimnis: „Dieser unheimliche Zusammenhalt. Oft sieht man die Mitglieder das ganze Jahr nicht, aber am 11.11. sind alle wieder da, und jeder weiß, wo anzupacken ist.“ Georg Hümpfer muss keine Sekunde lang überlegen.

In diesem Jahr feiert die Faschingsgesellschaft, eine Abteilung der Schweinfurter Kolpingfamilie, ihr 60-jähriges Bestehen. Höhepunkte der Session waren die Prunksitzungen in der Stadthalle, neun an der Zahl, allesamt ausverkauft: Insgesamt sahen somit 5400 Gäste das Jubiläumsprogramm unter dem Motto „'s wird immer schönner!“

Einige Stunden vor der Premiere sitzt Jonas Paul an einem der Besuchertische. Lässiges T-Shirt, die Haare sind frech nach vorne geföhnt. Jonas ist 20 Jahre alt und eine der jüngsten Entdeckungen in der fränkischen Fastnachtsszene. Am 21. Februar wird der Bergrheinfelder sein Debüt bei „Fastnacht in Franken“ geben, der Live-Prunksitzung des Bayerischen Fernsehens. Statt 600 Besucher wie hier in der Stadthalle wird ihm dann ein Millionenpublikum zuhören. Aufgeregt ist er, Angst hat er nicht: „Ich brauche das Lampenfieber.“ Das lässt ihn fokussieren, sagt er, und es sei ja weg, sobald er einen Fuß auf die Bühne setze. Früher hat Jonas Paul in Schweinfurt auch Eishockey gespielt, aber seine große Leidenschaft war auch da schon der Fasching. „Irgendwann musste ich mich entscheiden“, sagt er, „und ich glaube, ich habe die richtige Wahl getroffen. Mir macht es einfach tierischen Spaß, auf der Bühne zu stehen.“ Mit seiner Gitarre und seiner Stimme und seinem Aussehen könnte er locker auch bei Dieter Bohlen vorspielen, aber Jonas reizt die Mischung aus Wortwitz und Gesang, er braucht irgendwie den Geruch der Konfettikanone. „Ich kann es schlecht beschreiben, aber hier im Fasching herrscht eine Atmosphäre, von der ich immer mehr haben möchte. Die Gemeinschaft ist einmalig.“ In Chemnitz studiert Jonas Medienkommunikation, aber trotz des Prüfungsstress' lässt er keinen Termin aus. Fasching ist für ihn eine Herzensangelegenheit, keine Verpflichtung. „Ich könnte nicht mehr ohne“, sagt er. Dass ihm das Talent in die Wiege gelegt wurde, selten hat dieses Bild besser gepasst als bei ihm. Jonas' Mutter Doris Paul stand 1996 und 1997 selbst bei „Fastnacht in Franken“ in der Fernsehbütt. „Das war eine tolle Erfahrung“, erinnert sie sich, „auch wenn die Popularität der Sendung bei Weitem noch nicht so groß war wie heute.“ Für Doris Paul (46), die in dieser Session in Schweinfurt als Weihnachtsmarktbesucherin Witze reimt, ist der Fasching eine heilige Zeit. Das ist so, seit sie sich erinnern kann. „Jonas ist im November auf die Welt gekommen, und im Februar bin ich schon wieder aufgetreten, während er in einer Babytrage hinter der Bühne lag.“ Heute begleitet sie ihren Sohn bei seinen bis zu 30 Auftritten in der Session. Auch Jonas' Schwestern sind infiziert: Anna (16) und Lena (18) sind natürlich bei der Elf, gehören gemeinsam zu einer Turngruppe, die mit der genauso akrobatischen wie atemberaubenden Tanzshow „Unter dem Meer“ begeistert.

Der Saal füllt sich. Unter den Gästen ist auch Michael Glos. Im früheren Leben war er einmal Müller und Bundeswirtschaftsminister und auch Faschingsprinz in Gerolzhofen, der „Schwarzen Elf“ ist er seit langem verbunden. „Die Familie Paul ist großartig und ein Beispiel dafür, dass sich Talent vererbt“, sagt Glos. Er hat schon über Jonas‘ Opa Ludwig gelacht, der mit seinen 80 Jahren natürlich auch im Publikum sitzt. Glos mag diese Schweinfurter Faschingsgesellschaft, „weil sie Niveau hat und sich selbst nicht so wichtig nimmt, sondern das Publikum“. Die Stadthalle erreicht Betriebstemperatur. Jonas Paul absolviert seinen Auftritt souverän, ohne Hänger. Als Bufdi, also Absolvent des Bundesfreiwilligendienstes, erzählt und singt er über seine Erlebnisse. „Eigentlich sollte man ja vor dem Alter Ehrfurcht haben“, sagt er, „aber ich habe eher Furcht.“ Es ist der Auftritt, den er auch in Veitshöchheim auf die Bühne bringen wird – allerdings in gekürzter Version. Der Applaus beim Heimspiel ist groß, und wenig später, in der Pause, steht Vater Matthias Paul (49) im Foyer der Stadthalle. Das Wort würde dem Berufsschullehrer nicht über die Lippen kommen, aber es ist zu spüren, wenn er über seinen Sohn spricht: Stolz. Der Fasching ist für ihn, sagt er, ein wunderbarer Ausgleich. Er genießt die Wochen, in denen er aus seinem disziplinierten Berufsweltleben abtauchen kann in den Gegensatz. „Es ist schön, mal jemand anderes zu sein“, sagt er. Später wird er in einem Sketch als Kreuzfahrtschiffskapitän auf der Bühne stehen. Seine Autorität als Lehrer würde nicht leiden durch seine Faschingsaktivitäten. Im Gegenteil. „Manchmal fallen einem schwierige Eltern- oder Schülergespräche leichter, weil mein Auftritt die Türen geöffnet hat.“ Da ist einer, soll das wohl heißen, der ist gar nicht so bürokratisch. Weil jene Faschingsgesellschaften, die Akteure nach Veitshöchheim entsenden, einen Platz im Elferrat der Fernsehsitzung bekommen, wird der stellvertretende Gesellschaftspräsident der Schwarzen Elf, Matthias Paul, beim bislang größten Auftritt seines Sohnes live dabei sein – und mitfiebern.

Das Finale ist zu Ende. Das letzte Lied gesungen. Der letzte Schoppen gekippt. Während die Gäste hinausgehen in die Nacht, entlädt sich bei Ludwig „Ludi“ Paul die Anspannung. Paul? Richtig. Er ist der Onkel von Jonas, dem Jungen mit der Gitarre. Im normalen Leben ist Ludi Paul bei der Stadt Schweinfurt Sachgebietsleiter für Abfallwirtschaft, in seiner Freizeit entsorgt er für wenige Stunden die Sorgen der Besucher. Paul ist Sitzungspräsident der „Schwarzen Elf“, und wer ihn sieht und hört und erlebt, wie er den Kahn über fünf, sechs Stunden gänzlich uneitel aber schlagfertig durch Höhen und Tiefen steuert, der fühlt sich ein wenig erinnert an die beste Tradition der Mainzer Fastnachtspräsidenten a la Rolf Braun. Paul sagt dazu: „Wir wollen nicht verbohrt sein, wir sind keine Faschingsideologen, wir machen das alles doch für die Leut‘.“ Sein Verständnis von Gemeinschaft geht so: „Wenn es den anderen nicht gäbe, würde das Ganze nicht funktionieren.“ 1982 hat Ludi Paul seine erste Büttenrede geschrieben. „Jonas ist mein Patenkind“, sagt er und erinnert sich. „Ihn hat es schon immer auf die Bühne gedrängt. Er stand als Kind schon unter der Dusche und hat die Shampooflasche als Mikrofon benutzt.“ Ludi Paul hat die Entwicklung des Fastnachtstalents begleitet, Reden geschrieben, Tipps gegeben. „Manchmal muss man auf den richtigen Moment warten. Der Akteur muss sich in seiner Rolle wohlfühlen.“

Wohlfühlen. Einer, der es geschafft hat, sich eine Rolle auf den Leib zu schreiben und darin doch wandelbar zu bleiben, ist Peter Kuhn. Er wartet an einem Tisch am Ausgang. Der Oberwerrner hat den Ruf der „Schwarzen Elf“ in die Fastnachtswelt hinausgetragen durch seine geschliffenen und hintersinnigen Büttenreden. Für ihn ist der Reim noch Werkzeug und kein Gegner. Kuhn gehört zum Inventar der TV-Sendung „Fastnacht in Franken“. Inventar nicht im Sinne von verstaubt, sondern von unverzichtbar. Er ist ein Meister des Worts, aber wenn er über die „Schwarze Elf“ spricht, seine Elf, dann haspelt er leicht, weil er nach Begriffen sucht, die nicht arrogant klingen sollen, aber aussagekräftig. Er landet schließlich bei einem schlichten Wort: „Zusammenhalt“, sagt er, „der Zusammenhalt hier sucht einfach seinesgleichen.“ Kuhn mag den ursprünglichen Fasching und vieles im Fernsehfastnachtsbetrieb erscheint ihm zu professionell, zu glattgebügelt, zu kabarettistisch: „Mir fehlt manchmal der Kokolores.“

Dass er in Veitshöchheim in Jonas Paul nun Schweinfurter Verstärkung erhält, freut Kuhn: „Jung, frech, frisch, das tut der Sendung gut“, ist er sich sicher. Die Freude ist auch auf der Gegenseite vorhanden, Jonas nennt Peter Kuhn eines seiner Vorbilder, „den kenne ich ja, seit ich laufen kann“. Allerdings legt der junge Spaßmacher Wert darauf, nichts kopieren zu wollen: „Ich wollte immer mein eigenes Ding machen“, sagt er. Für viele wie Michl Müller, Pierre Ruby oder die Altneihauser Feierwehrkapell'n war „Fastnacht in Franken“ so etwas wie die Initialzündung für eine veritable Karriere. „Künstler als Beruf ist im Moment nicht mein Ziel. Aber wenn es sich ergibt, warum nicht?“ Jonas Paul hält sich an das Kaisermotto: Schaun mer mal. Welche Ratschläge er Jonas für die Fernsehsitzung geben könne? Peter Kuhn überlegt nicht lange: „Der Jonas hat so eine Bühnenpräsenz, dem brauche ich nicht viel mitgeben. Er ist ja der Einzige, der bislang in sämtlichen Formaten des BR aufgetreten ist, von der Jugendsitzung über die Närrische Weinprobe bis nun zur 'Fastnacht in Franken'.“ Kuhn ist sich sicher: „Der Junge bekommt das hin.“

 
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