
An diesem Dienstag kommen die neu gewählten Abgeordneten zur konstituierenden Sitzung des 20. Deutschen Bundestags zusammen. Mit dabei unter den 736 Volksvertreterinnen und Volksvertretern sind 13 Frauen und Männer aus Unterfranken. Die Redaktion hat den Ältesten, den Linken-Vertreter Klaus Ernst, der am 1. November 67 Jahre alt wird, und den Jüngsten, den Grünen-Newcomer Niklas Wagener, der mit 23 Jahren der zweitjüngste Abgeordnete überhaupt im Deutschen Bundestag ist, online zu einem Doppel-Interview getroffen. Ein unterhaltsames Gespräch über politische Unabhängigkeit, langweilige Debatten, Schimpfworte und Freundschaften in der Politik.
Niklas Wagener: Sehr aufregend. Da sind zum einen die Sondierungs- und Koalitionsgespräche, wo wir Grüne ja involviert sind. Den größten Teil meiner Zeit aber nimmt das Organisatorische ein, das Zurechtfinden im Bundestag. Vorerst sitze ich beim Kollegen Dieter Janecek mit im Büro, ab November soll ich dann einen eigenen Raum bekommen. Noch ist da viel Durcheinander, einfach eine neue Welt für mich.
Klaus Ernst: Ja, das lief ähnlich. Mir hat damals beim Büroaufbau ein Mitarbeiter aus Schweinfurt geholfen, weil ich dazu gar nicht die Zeit hatte. Ich war ja parallel noch Bevollmächtigter der IG Metall. Am Anfang heißt es warten, bis dann mal ein Telefon kommt, bis die EDV funktioniert. Aber das wird schon.
Ernst: Ein Fehler ist zu glauben, man weiß schon alles, dabei weiß man am Anfang gar nichts. Wir von der WASG waren damals komplett neu im Bundestag, da gab es nicht mal Vorbilder. Mich hat dann zum Glück, als es das erste Mal in den Ausschuss ging, eine Kollegin von den Grünen angesprochen, die mich aus den Medien kannte: Herr Ernst, kommen Sie mir nach, ich weiß, wo wir hinmüssen.

Ernst: Das war Elisabeth Scharfenberg. Sie hat mir damals spontan geholfen.
Ernst: Die Fraktionsführung macht anhand von Abfragen unter den Abgeordneten Vorschläge, am Ende stimmt die Fraktion ab.
Ernst: Nein, zuerst war ich im Gesundheitsausschuss, dann bei Arbeit und Soziales. Später als Parteivorsitzender habe ich keinem Ausschuss angehört, dann kam ich zurück in den Sozialausschuss und seit acht Jahren mache ich Wirtschaft, zuletzt als Ausschussvorsitzender.
Wagener: Ich möchte gerne meinen forstlichen Hintergrund einbringen und hoffe, dass ich in den Ausschuss komme, der für das Thema Wald zuständig ist. Aktuell ist das der Landwirtschaftsausschuss. Mal sehen, ob das so bleibt. Das hängt vom Zuschnitt der Ministerien ab.
Wagener: Als ich angefangen habe bei den Grünen, fand ich Hans-Christian Ströbele immer total faszinierend. Er kam immer sehr gerade und nur seinem Gewissen verpflichtet herüber. Mittlerweile sehe ich aber, dass sehr viele Abgeordnete genauso gewissenhaft arbeiten, ohne dass sie so in den Medien hervorstechen. Ich glaube, Verantwortung in einer Koalition zu übernehmen, führt am Ende auch dazu, dass man manchmal etwas mittragen muss, was einen nicht bis ins letzte Detail überzeugt. Damit eine Regierung funktioniert, braucht es eben Kompromisse. Ich bin sehr gespannt, wie es mir damit geht.
Ernst: Im Zweifel kann ich nur jedem empfehlen, sich ans Grundgesetz zu halten: Jeder Abgeordnete ist nur seinem Gewissen verpflichtet. Das letzte Mal, dass ich gegen meine Fraktion gestimmt habe, ist noch nicht lange her. Die Fraktion hatte entschieden, dass wir uns bei der Abstimmung über die Rückholaktion der Bundeswehr von Ortskräften und deutschen Bürgern aus Afghanistan enthalten. Ich aber habe zugestimmt. Wir Linke waren immer gegen diesen Militäreinsatz. Trotzdem war es richtig, die Menschen jetzt am Ende aus Kabul herauszubringen. Der Fraktionszwang hat Grenzen. Überhaupt, die interessantesten Debatten im Bundestag, die ich erlebt habe, waren solche, in denen die Fraktionen die Abstimmung freigegen hatten.
Ernst: Ich erinnere mich an die Debatte zur Präimplantationsdiagnostik. Da haben sich Kolleginnen und Kollegen zu Wort gemeldet, die mir sonst nie aufgefallen sind, die aber sehr schlüssig argumentiert haben. Da hat man, unabhängig von der inhaltlichen Position, einfach gerne zugehört. Bei den meisten Sitzungen weiß man doch schon vorher, was der Kollege oder die Kollegin sagt, wenn er oder sie ans Rednerpult tritt. Deren Text kann man fast mitsprechen. Da wird die Debatte schnell langweilig. Ich kann nur empfehlen, trauen Sie sich auch mal innerhalb der eigenen Fraktion zu sagen, da bin ich anderer Meinung, da mache ich jetzt nicht mit.
Wagener: Da stimme ich Ihnen zu. Wir sollten in der neuen Legislaturperiode auch davon wegkommen, dass alles, was die Regierungsparteien vorschlagen, von der Opposition abgelehnt wird, und alles, was aus der Opposition kommt, keine Zustimmung der Koalitionsfraktionen findet. Ich würde mir wünschen, dass man sich die Vorschläge auch der Gegenseite anschaut und öfter mal fragt, wie bekommen wir das gemeinsam hin. Das ist, glaube ich, auch eine Erwartung der Bevölkerung an uns Abgeordnete.
Ernst: Aber selbstverständlich. Ich kann ihnen auch sagen, warum.
Ernst (lacht): Weil einem die Kolleginnen und Kollegen in anderen Parteien weniger gefährlich für die Karriere werden können als die eigenen Parteifreunde.
Ernst: Ich kann Namen nennen, quer durch die Parteien. Nur mit Rechtsextremen gibt es für mich keine Freundschaft. Aber, Sie werden sich wundern, ich fühle mich freundschaftlich verbunden mit dem Peter Ramsauer von der CSU.
Ernst: Ja. Wir beide haben immer viel Spaß miteinander. Er war mein Vorgänger als Vorsitzender im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Da gab es auch fachlich einiges auszutauschen. Auch bei der SPD habe ich Freunde, Bernd Westphal zum Beispiel, den wirtschaftspolitischen Sprecher. Von den Grünen würde ich noch einmal Elisabeth Scharfenberg nennen. Und auch bei der FDP gibt es Leute, mit denen man sich mal auf ein Bier trifft.
Wagener: Ich kann mir so einen Austausch auf Dauer gut vorstellen. Aber noch ist das zu früh. Ich habe gut zu tun, erst einmal alle 118 Leute in der Grünen- Fraktion kennenzulernen.
Ernst: Mir fällt noch einer ein. Professor Matthias Zimmer von der CDU. Wir waren gemeinsam im Sozialausschuss, unter anderem auf einer Reise in Holland. Dort haben wir zum Abschluss einen Coffeeshop besucht. Und der Hammer war: Ich wusste gar nicht, was das ist, aber er. Ich bedauere sehr, dass Zimmer von seiner Partei zuletzt nicht mehr aufgestellt worden ist.
Ernst: Ich bin jetzt keiner, der sagt, Du Arsch – höchstens mal ganz leise als Zwischenruf nach Rechtsaußen. Ich mag es eher witzig. Als Wirtschaftsminister Peter Altmaier mal wieder behauptet hat, hohe Löhne seien die Ursache, wenn Firmen Leute entlassen, habe ich ihm gesagt: Das Pferd wäre auch dann vom Traktor ersetzt worden, wenn es versprochen hätte, weniger zu fressen und zu saufen.
Ernst: Der Max Straubinger von der CSU, mit dem ich mittlerweile auch befreundet bin, hat mich gleich am Anfang im Bundestag mal als "Herr Ernst von der SED" angesprochen. Da habe ich ihm die Zwischenfrage gestellt, ob er mir sagen könne, wo denn in Bayern das SED-Büro ist. Das Gelächter war groß.
Wagener (lacht): Also, so wollte ich meine erste Rede im Bundestag eigentlich nicht beginnen. Aber ich finde schon: Ein gewisser Witz tut der Politik gut, er bringt Leben ins Plenum. Ich bin da durchaus offen, mich auch mit Zwischenrufen in Debatten einzumischen.
Ernst: Das war eigentlich harmlos. Aber man muss schon aufpassen, was man sagt und was man nicht sagt. Nicht hinter jedem freundlichen Auftreten von Journalisten steht auch Sympathie. Eine Geschichte ist mir in Erinnerung geblieben, die empfand ich als sehr unfair. Als ich Parteivorsitzender war, wollte mich das ZDF zum Sommerinterview treffen, in den Kitzbüheler Alpen, wo ich eine Alm gemietet hatte. Dort gab’s aber keinen Strom, deshalb sind wir zum Interview auf eine andere Alm in der Nachbarschaft. Der "Focus" hat dann geschrieben: "Ernst hat dem deutschen Publikum die falsche Alm präsentiert." Das war gelogen. Geärgert hat mich, dass das ZDF diese Behauptung nicht richtiggestellt hat.
Wagener: Man ärgert sich mal über einen Artikel. Das ist auch in Ordnung.

Wagener: Weil ich der zweitjüngste Abgeordnete bin, habe ich viele Presseanfragen bekommen, vom "Spiegel", vom "Cicero", von der "Zeit", von "3Sat" und der ARD. Bei den ersten Interviews war ich noch sehr vorsichtig. Ich hatte ein bisschen Sorge, die Journalisten könnten versuchen, mich anzuzapfen, um interne Infos aus den Sondierungsgesprächen zu bekommen. Ich habe dann aber gemerkt, dass Ihre Kolleginnen und Kollegen sehr professionell unterwegs sind. Da wird man dann auch lockerer.
Ernst: Einen Tipp möchte ich Ihnen übrigens noch geben, Herr Wagener. Schauen Sie, dass Sie unabhängig bleiben, dass Sie ein berufliches Standbein neben der Politik behalten. Bis ich Parteivorsitzender wurde, war mir wichtig, mein Arbeitsverhältnis bei der IG Metall allenfalls ruhen zu lassen. Ich hätte jederzeit zurückgekonnt. Je mehr man von der Partei abhängig ist, weil man nichts anderes hat, desto mehr ist man Wachs in den Händen der Fraktions- oder Parteiführung.
Wagener: Mir ist es wichtig, mich auch beruflich weiterzubilden. Nachdem ich den Bachelor in Forstwirtschaft habe, will ich schauen, inwieweit ich von Berlin aus an der Hochschule in Eberswalde berufsbegleitend noch den Master machen kann. Um beim Thema Wald auf dem Laufenden zu bleiben, aber auch um dieser Abhängigkeit, von der Sie sprechen, zu begegnen. Und um im Zweifelfelsfall auch wieder den Bundestag verlassen zu können…
Wagener: Tatsächlich habe ich gemeinsam mit meiner Freundin, die in Berlin studiert, eine kleine Wohnung gefunden, von der aus wir weitersuchen wollen. Nur ein Hotelzimmer zu mieten, wie manche Kolleginnen und Kollegen, wäre nichts für mich. Ich will mich dort, wo ich arbeite, auch heimisch fühlen.
Ernst: Und schauen Sie, dass Sie auch abseits der Politik möglichst viel vom Leben mitbekommen. Berlin ist eine Blase, Berlin ist nicht Deutschland, und der Bundestag gleich dreimal nicht. Es macht mich ganz fertig, wenn sich Kolleginnen und Kollegen immer nur mit Mitstreitern aus der Politik umgeben, oft sogar nur mit welchen vom eigenen Parteiflügel. Darf ich noch was loswerden zum Schluss?
Ernst: Ich will Ihnen, lieber Herr Wagener, noch gratulieren zum Einzug in den Bundestag und Ihnen ganz viel Erfolg wünschen. Am meisten Erfolg bei den Punkten, wo Grüne und Linke eine gemeinsame Position haben. Und viel Spaß natürlich auch.
Wagener: Vielen Dank, Herr Ernst. Ich würde mich freuen, wenn wir uns demnächst mal im Reichstag auf einen Kaffee treffen und uns persönlich kennenlernen. Und vielleicht dabei besprechen, was wir gemeinsam für Unterfranken tun können.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Hans-Christian_Str%C3%B6bele
„Ab 1970 übernahm Ströbele die Verteidigung von RAF-Angehörigen, u. a. Andreas Baader.[7] 1975 wurde Ströbele wegen Missbrauchs der Anwaltsprivilegien noch vor Beginn des Stammheim-Prozesses von der Verteidigung ausgeschlossen. 1980 wurde Ströbele von der 2. Großen Strafkammer beim Landgericht Berlin wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 Strafgesetzbuch) zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten auf Bewährung verurteilt, da er am Aufbau der RAF nach der ersten Verhaftungswelle 1972 mitgearbeitet habe und in das illegale Informationssystem der RAF involviert gewesen sei.„
Wie kann eine derartige Person ein Vorbild sein? Das ist eines Abgeordneten nicht würdig!
Mir fehlen da die Worte um noch auf Herrn Ernst eingehen zu können, der außer im BR, in der MP und bei Streiks nicht und nirgends etwas für die Region gemacht hat!