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Schweinfurt
Nach Bombenfund am Schweinfurter Hauptbahnhof: Wie viele Blindgänger liegen noch im Untergrund verborgen?
Tausende Bomben wurden im Zweiten Weltkrieg über Schweinfurt abgeworfen. Nicht alle sind damals explodiert. Warum die Suche so schwer ist und wie Daten dabei helfen.
Für Stadtarchivar Gregor Metzig ist die digitale Aufbereitung von Daten eine Herzensangelegenheit. Der 40-Jährige leitet seit Juli 2022 das Stadtarchiv und die Stadtbibliothek Schweinfurt. Zuvor arbeitete er im Militärarchiv des Bundesarchivs in Freiburg
Foto: René Ruprecht | Für Stadtarchivar Gregor Metzig ist die digitale Aufbereitung von Daten eine Herzensangelegenheit. Der 40-Jährige leitet seit Juli 2022 das Stadtarchiv und die Stadtbibliothek Schweinfurt.
Marcel Dinkel
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:36 Uhr

Der Fund einer 500 Kilogramm schweren Fliegerbombe löste Ende April einen Großeinsatz am Schweinfurter Hauptbahnhof aus. Ein Arbeiter stieß dort bei Asphaltarbeiten auf dem Gelände eines Logistikunternehmens in der Ernst-Sachs-Straße auf einen Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg. Weil die Bombe außergewöhnlich nahe an der Oberfläche lag, war der äußere Stahlmantel bei Arbeiten an der Asphaltdecke von der Fräse erfasst worden. Die Menschen im Umkreis waren nur knapp einer Katastrophe entgangen.

Gut 1500 Menschen hatten in einem Bereich von 500 Metern um den Fundort der Bombe herum ihre Wohnungen verlassen müssen. Ansässige Schichtbetriebe wie ZF und SKF unterbrachen zur Sicherheit den laufenden Betrieb in einzelnen Werkshallen und evakuierten einen Teil der Belegschaft. Der Hauptbahnhof war für längere Zeit gesperrt. 

Bei dem Blindgänger handelte es sich um ein historisches Erbe Schweinfurts aus dem Zweiten Weltkrieg. Als wichtiger Industriestandort war die Kugellagerstadt zwischen den Kriegsjahren 1943 und 1945 Ziel von insgesamt 22 größeren Luftangriffen durch die Alliierten, bilanziert der Schweinfurter Stadtarchivar Gregor Metzig. Tagebucheinträge von Flakhelfern belegen noch weitere Angriffe.

Die große Unbekannte: Wie viele Bomben liegen noch im Untergrund?

Alleine am 14. Oktober 1943, dem sogenannten Black Thursday, warfen die 291 Kampfflugzeuge der achten US-Luftflotte laut Daten des Stadtarchivs rund 1200 Sprengbomben, 1500 Flüssigkeitsbrandbomben und 304 Phosphorbomben über dem Industriegebiet und dem heutigen Stadtteil Oberndorf ab. Bombenfunde, wie der Ende April, werfen in diesem Zusammenhang immer wieder die Frage auf, wie viele Blindgänger noch im Schweinfurter Untergrund verborgen liegen. Eine Frage, die sich aus Sicht von Expertinnen und Experten jedoch nicht so einfach beantworten lässt.

"Wie viele Blindgänger noch im Erdreich liegen, ist unbekannt und schwer einzuschätzen", erklärt Stadtsprecherin Kristina Dietz auf Anfrage der Redaktion. Aufgrund der intensiven Bombardements im Zweiten Weltkrieg stünden weite Teile des Schweinfurter Stadtgebiets unter generellem Kampfmittelverdacht.

Im Verhältnis zur Einwohnerzahl hat Schweinfurt laut amtlicher Statistik in Bayern nach Würzburg und Nürnberg die zweitgrößten Verluste erlitten. Während des Krieges kamen bei den Luftangriffen 1079 Personen ums Leben. Die gesamten Kriegsverluste der Schweinfurter Bevölkerung betragen einschließlich der Vermissten etwa 3500 Personen. 6402 Wohnungen wurden in den Bombenhageln total zerstört und 965 schwer beschädigt. Daher müsse grundsätzlich mit einer Vielzahl von Blindgängern gerechnet werden. "Eine Konzentration dürfte sich im erweiterten Innenstadtbereich und im Bereich rund um die großen Industriebetriebe finden", so Dietz.

Mithilfe von Trefferplänen über die Bombenangriffe der Alliierten lässt sich nachvollziehen, wo überall auf dem Stadtgebiet Schweinfurt Bomben herabfielen. Das Bild zeigt den Trefferplan des Angriffs am 14. Oktober 1943, der als 'Black Thursday' in die Geschichte der US-Luftwaffe einging.
Foto: Stadtarchiv Schweinfurt | Mithilfe von Trefferplänen über die Bombenangriffe der Alliierten lässt sich nachvollziehen, wo überall auf dem Stadtgebiet Schweinfurt Bomben herabfielen. Das Bild zeigt den Trefferplan des Angriffs am 14.

Wie der aktuelle Fund gezeigt hat, können Blindgänger zudem auch noch unter befestigten Flächen gefunden werden. Daten darüber, wie viele Sprengkörper in Schweinfurt seit dem Zweiten Weltkrieg gefunden wurden, gibt es laut Behörden nicht. Der letzte Bombenfund auf dem Stadtgebiet liegt laut Dietz mindestens 15 Jahre zurück. 

Keine bayernweite Kartierung der Bombardements

Eine bayernweite Kartierung der Bombardements und Verdachtsflächen existiert nach Angaben von Dietz nicht. Fachfirmen der Kampfmittelsondierung und Beseitigung müssten daher unter großem Aufwand Luftbilder und Karten aus Archiven auswerten, um sich einen Überblick über Bombenkrater zu verschaffen. Besteht deren Recherche nach dann ein Verdacht, müsse das entsprechende Gelände auf Bomben überprüft werden.

Verantwortlich für Bodenfunde, seien es Blindgänger oder Bodendenkmäler, ist nach geltendem Recht immer der Grundstückseigentümer oder die Eigentümerin, erklärt Dietz. Will man als Eigentümer also etwas bauen, muss die Fläche zuvor auf Bombenverdacht hin geprüft werden. Die Kosten der Sondierung trägt der Grundstückseigentümer. Existiert ein Bebauungsplan, kann die Stadt darin auf einen Verdacht hinweisen. Allerdings seien diese Pläne oft nicht vorhanden oder es fehle an flächendeckenden Luftbildern. Daher handele es sich bei den meisten Bombenfunden um Zufallsfunde, fügt Dietz hinzu.

Eine weitere wichtige Quelle, um Sprengkörper zu entdecken, bilden die sogenannten Trefferpläne der örtlichen Luftschutzleitungen, erklärt Stadtarchivar Metzig. "Anhand der Trefferpläne lasse sich nachzeichnen, wie viele Bomben überhaupt heruntergegangen sind." Archive stellen mit historischen Überlieferungen, Geländebegehungen oder naturwissenschaftlichen Bodenanalysen eine zentrale Informationsgrundlage für die Kampfmittelräumung bereit. Ein Großteil der Trefferpläne, Schadenskataster, amtlichen Akten und Luftbilder seien zudem digital verfügbar, bekräftigt Metzig.

Digitalisierung hilft Bomben ausfindig zu machen

Die digitale Aufbereitung von Daten trage beträchtlich dazu bei, dass Blindgänger aufgespürt werden können. Was sich aus den Daten allerdings nicht ableiten lässt, ist die Menge an Sprengkörpern, die bereits über die vergangenen 80 Jahre geräumt wurden. Bei den Räumungen in der Nachkriegszeit handelte es sich um groß angelegte Aktionen, bei denen teilweise sogar der Main abgelassen wurde, um Blindgänger ausfindig zu machen, sagt Metzig.

Über die genaue Anzahl an Weltkriegsbomben ließe sich am Ende nur spekulieren, meint auch Andreas Heil vom Kampfmittelbeseitigungsdienst Nürnberg. Bayernweit gehe er von tausenden noch vorhandenen Blindgängern im Boden aus. Und die Gefahr nehme weiter zu, da die Bomben Korrosion ausgesetzt sind und immer älter werden. Weitere Sprengkörper in der Größe, der Bombe Ende April seien nicht unüblich für Schweinfurt.

Audiowalk zu den Schauplätzen der Bombardierungen in Schweinfurt

Das Stadtarchiv Schweinfurt arbeitet derzeit an einer multimedialen Erinnerungs-App, die in Form eines kommentierten Audiowalks zu den Schauplätzen der Bombardierungen im Schweinfurter Stadtgebiet führen soll. Offiziell freigeschaltet werden soll die App am 14. Oktober 2023 im Rahmen einer Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag des Bombardements am "Black Thursday".
Quelle: Stadtarchiv Schweinfurt
 
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  • H. S.
    Wieso sollen deutsche Hauseigentümer heute noch für die verbrecherischen Bombenwerfer der USA und Englands auf die deutsche Zivilgesellschaft blechen? Das war ein bewusstes Morden.
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