
Im Gegensatz zu den Räumen Aschaffenburg und Würzburg ist die Region Schweinfurt stark vom verarbeitenden Gewerbe und der ansässigen Großindustrie geprägt. Doch im vergangenen Jahr zeigten sich mit den Ankündigungen einzelner Großbetriebe, Personal mittelfristig abbauen zu wollen, konjunkturelle Probleme. Egal ob ZF, Schaeffler oder SKF: alle großen Unternehmen sparen Personal und Kosten ein, um wieder auf Kurs zu kommen.
Dennoch: "Angesichts der vielen Herausforderungen im Jahr 2024, zeigte sich der Arbeitsmarkt erstaunlich robust", sagt Richard Paul, Leiter der Agentur für Arbeit in Schweinfurt, bei der Vorstellung des Jahresberichts 2024. Der gebürtige Saarländer hat zum ersten Januar 2025 die Leitung der Behörde übernommen und ist damit für den gesamten Arbeitsmarkt in Main-Rhön zuständig. Ein Blick in die Zahlen der Agentur verrät, wie die derzeitige Situation auf dem Arbeitsmarkt einzuschätzen ist und was das für Arbeitssuchende und Beschäftigte bedeutet.
Wie ist der Arbeitsmarkt in Main-Rhön strukturiert?
Mit 55.721 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten stellt das Verarbeitende Gewerbe laut Agentur für Arbeit die mit Abstand wichtigste Branche in der Region dar. Daraufhin folgen der Handel, das Gesundheits- und Sozialwesen und der öffentliche Sektor. Mit den großen Konzernen herrscht in der Stadt Schweinfurt aus wirtschaftlicher Sicht eine Monostruktur vor, was Bevölkerung und nachgelagerte Branchen abhängig von der Situation der Betriebe macht.
Wie hat sich die Zahl der Arbeitslosen in 2024 entwickelt?
Insgesamt hat die Beschäftigung abgenommen, erklärt Paul. Insbesondere Industrie und Gewerbe haben im vergangenen Jahr mit 1400 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten die meisten Arbeitsplätze verloren. Auch das Baugewerbe hat 296 Beschäftigte verloren. In 2024 waren durchschnittlich 8720 Menschen in der Region als arbeitssuchend gemeldet. Verglichen mit dem Vorjahr entspricht das einer Steigerung von rund acht Prozent.
"Das ist einiges, aber im bayernweiten Vergleich ist der Anstieg unterdurchschnittlich", sagt Paul. Die Arbeitslosenquote liegt insgesamt bei 3,5 Prozent in der Region und damit fast bei Vollbeschäftigung. Deutschlandweit liegt die Arbeitslosenquote bei sechs Prozent. Die steigende Zahl der Arbeitslosen ist daher einerseits auf konjunkturelle Faktoren, andererseits auf die Zahl ukrainischer Geflüchteten zurückzuführen.
Wie viele offene Stellen gibt es?
Nach Rekordmarken in den vorherigen Jahren kühlte die Nachfrage nach Arbeitskräften in 2024 merklich ab. Insgesamt meldeten die Unternehmen knapp 1300 Stellen weniger als noch in 2023. Und dennoch sind mit aktuell 5547 offenen Stellen mehr Arbeitsplätze als Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt vorhanden. "Nach wie vor suchen die Unternehmen händeringend nach passenden Fachkräften", verdeutlicht Paul.
Ließen sich die offenen Stellen mit Bürgergeldempfängern füllen?
Nein. Laut Zahlen der Agentur für Arbeit kommen auf 100 Fachkraft-Stellen aktuell nur 85 Arbeitssuchende mit geeigneter Qualifikation. Gleichzeitig gibt es für einfache Hilfsjobs zu viele Bewerberinnen und Bewerber. So kommen auf 100 offene Stellen 420 Bewerber. Den 5547 offenen Stellen stehen 8720 Arbeitslose gegenüber. Die große Mehrheit der sogenannten Bürgergeldempfänger ist laut Agentur für Arbeit zudem gesundheitlich eingeschränkt oder aufgrund zu geringer Qualifikationen nicht arbeitsfähig.
In welchen Branchen sind die Jobchancen besonders hoch?
Trotz der Situation mancher Unternehmen gibt es auch Branchen, die insgesamt wachsen. Im Bereich Immobilien und technische Dienstleistungen, wie Ingenieur- und Architekturleistungen, sind 2024 fast 650 neue Stellen dazugekommen. Auch der Öffentliche Dienst verzeichnete einen Zuwachs von 277 Stellen und sucht händeringend nach Fachkräften. Im Bereich Erziehung und Bildung lag die Beschäftigtenzahl mit 277 zusätzlichen Arbeitsplätzen ebenfalls hoch.
Welche Rolle spielt Migration im Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt?
Ohne Menschen mit Migrationshintergrund, wozu auch Geflüchtete zählen, würde der Arbeitsmarkt einbrechen. Trotz des Gesamtrückgangs der Erwerbstätigen stieg die Zahl der Beschäftigten mit Migrationshintergrund um weitere 720 auf nun 18.137 Personen. Hatten vor zehn Jahren nur 3,7 Prozent aller Beschäftigten einen ausländischen Pass, so sind es mittlerweile bereits über zehn Prozent.
"Immer mehr zeigt sich die Beschäftigung von ausländischen Menschen als Stabilisator in der Region und Kompensator der demografischen Entwicklung", stellt Paul klar. Um Migrantinnen und Migranten besser zu integrieren, ist es laut den Expertinnen und Experten entscheidend, diese direkt nach dem Erlernen der Sprache, in Arbeit oder Ausbildung zu vermitteln und dort zu begleiten.
Wie hat sich die Kurzarbeit entwickelt?
Kurzarbeit hat im Vergleich zum Vorjahr spürbar zugenommen, sagt Paul. Waren im Zeitraum Januar bis August 2024 rund 10.500 Personen von Kurzarbeit betroffen, waren es 2023, im gleichen Zeitraum, mit 5700 Personen deutlich weniger. Um Produktionsschwankungen auszugleichen, erweist sich vorübergehende Kurzarbeit als vorteilhaft. Unternehmen, die sie nutzen, erwarten eine bessere Auftragslage, erklärt Paul. Allerdings müssen sich Firmen sie auch leisten können und wollen.
Wie ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu bewerten?
"Wir haben nach wie vor eine sehr gute Situation. Viele Regionen in Deutschland und Europa wären froh, diese Wirtschaftskraft und diese geringe Arbeitslosigkeit zu haben", sagt Paul. Insbesondere Maßnahmen, wie die Kurzarbeit, würden dazu beitragen, Kündigungen zu verhindern. "Der Zusammenhalt in der Region Main-Rhön ist ein wesentlicher Stabilitätsfaktor", lobt Paul. Die Instrumente der Arbeitsagentur und das verantwortungsvolle Handeln von Unternehmen, Gewerkschaften, Betriebsräten sowie politischen Akteuren hätten größere Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt bisher verhindert.
Was bedeutet das für das Jahr 2025?
"Wir gehen auch für das kommende Jahr davon aus, dass sich die konjunkturelle Entwicklung nicht maßgeblich verbessern wird", sagt Paul. Durch den Strukturwandel, die Digitalisierung und die ökologische Transformation könnten weitere Arbeitsplätze wegfallen. Gleichzeitig steigt der Fachkräftebedarf in einigen Branchen aufgrund des demografischen Wandels. Paul meint, der wirtschaftliche Erfolg der Industrie hänge davon ab, ob sie genug qualifizierte Arbeitskräfte gewinnt. Für Beschäftigte kann Weiterbildung der Schlüssel dazu sein, die Jobperspektive dauerhaft zu verbessern. "Wenn keine weiteren Hiobsbotschaften auftauchen, wird sich die Arbeitslosigkeit leicht negativ entwickeln", so Paul.