Wer durch das Quartier in der Gartenstadt läuft, bekommt das Gefühl, dass die Zeit irgendwie stehen geblieben ist. Irgendwo zwischen dem Noch-dort-Wohnen und dem Aufgeben. Viele Häuser sind leer. Zerschlissene Vorhänge, blinde Fensterscheiben, von den Fensterläden bröselt der Lack, wenn sie überhaupt noch hängen.
An der Fritz-Soldmann-Straße beginnt das Quartier mit einer offenen Fläche. Wo sich heute Fahrspuren durch dunkle Erde ziehen, standen früher noch Häuser, wie vier Straßen weiter – in der Josef-Säckler, der Georg-Groha- und der Gartenstadtstraße. Die Häuser sind abgebrochen. Das Quartier soll sich wandeln.
Der Bauverein will es umbauen – von der alten Gartenstadt, die vor 100 Jahren für Mitarbeitende der Industrie entwickelt worden ist, mit den typischen Reihenhäuschen, deren Charme eigentlich dahinter, in den Gartenstreifen liegt, hin zu einer "modernen Gartenstadt". So nennt es der Bauverein als Projektverantwortlicher und Antragsteller für einen "vorhabenbezogenen Bebauungsplan. Für letzteren hat der Bauausschuss des Stadtrats in seiner jüngsten Sitzung grünes Licht gegeben. Ob der Stadtrat dem folgt, wird sich am 28. März zeigen.
Was ist geplant? Nach der Projektplanung, die aus dem Jahr 2021 stammt, sollen die alten Häuser, die im Besitz des Bauvereins sind, abgerissen und durch verschiedene Wohnformen ersetzt werden: dreigeschossige Häuser mit bis zu sechs Wohneinheiten, seniorengerecht, barrierefrei; zweigeschossige Doppelhäuser und Reihenhäuser; die beiden letzteren mit privaten Gartenzonen. Versorgt werden soll das Quartier mit Fernwärme.
Früher Gärten zur Selbstversorgung, heute Urban Gardening in der Gartenstadt
Die vielen kleinen Gärten werden verschwinden; dafür gibt es grüne Gemeinschaftsflächen, auf denen auch Urban Gardening möglich sein soll. Gärtnern wie die Arbeiterfamilien vor 100 Jahren, die man aus viel zu kleinen Stadtwohnungen in die Reihenhäuser mit ihren Gärten zur Selbstversorgung holte. Statt Satteldächer werden Flachdächer das Bild bestimmen. Auch das eine Abkehr vom alten Bild.
Man wolle dem Bedarf nach verschiedenen Wohnformen gerecht werden, heißt es in einer Begründung des Bauvereins. Die alten Häuser seien nicht zu sanieren, sollen den Weg frei machen für eine moderne, dichtere Bebauung. Unterm Strich heißt das zwar kaum mehr bebaute Fläche – sie liegt bei den neuen Plänen bei 4263 Quadratmetern und damit nur 0,7 Prozent höher. Den Unterschied machen aber die unterschiedlichen Wohnformen, darunter Mehrfamilienhäuser, die dafür sorgen, dass es nach den neuen Plänen statt heute 50 irgendwann 74 Wohneinheiten in dem Quartier gibt.
Umgesetzt werden sollen die Pläne in mehreren Bauabschnitten. Den Anfang macht die Fritz-Soldmann-Straße. Die Josef-Säckler-Straße soll komplett verschwinden; dort entstehen nach den Plänen Grünflächen. Auch Satteldächer wird es in dem Gebiet nicht mehr geben. Geplant sind für alle Häuserformen Flachdächer.
Die Meinung im Bauausschuss: Neue Pläne greifen die alte Struktur auf
Die Reaktion im Bauausschuss? Verständnis. Dafür, dass die alten Häuser angesichts ihres Zustands abgerissen werden müssen, so nicht mehr bewohnbar wären, wie es Johannes Petersen (SPD) formulierte. Das viele Grün greife den Charakter der Gartenstadt auf, "da kann sich etwas sehr, sehr schönes entwickeln", so Petersen. Ähnlich die Argumentation von Theresa Schefbeck (CSU): Auch wenn es schade sei, dass man die alten Häuser abreißen müsse – die neuen Pläne greifen nach Ansicht Schefbecks die alte Struktur im Grundsatz auf. Nun müssten diese Pläne so auch umgesetzt werden. In anderen Bereichen der Gartenstadt sei das nicht passiert.
Lob gab es auch von Oliver Schulte (CSU): Man habe in Schweinfurt "zwei Wohnungsbaugesellschaften, die ihrer Verantwortung gerecht werden". Auf seine Frage allerdings, wie viel sozialer Wohnungsbau dort geplant sei, gab es eine deutliche Antwort: keiner.
Oberbürgermeister Remelé: Damit geht ein Stück Schweinfurt verloren
Einzig zwei Stimmen gab es, die das Aus für die alte Gartenstadt tiefer bedauerten und sonst nicht unbedingt auf gleicher Wellenlänge liegen: Ulrike Schneider (Zukunft./ödp) und vor allem Oberbürgermeister Sebastian Remelé. Für Schneider ist allein schon mit dreistöckigen Gebäuden "der Charakter der Gartenstadt ziemlich ausradiert", für den OB geht damit ein Stück Schweinfurt verloren.
Dessen müsse man sich bewusst sein, so Remelé. Er habe für das Vorgehen des Bauvereins großes Verständnis, wundere sich aber schon, wie schnell man nach der langen Diskussion um die neuen Pläne für das ehemalige Postgelände so schnell den "Weg frei mache für die Entfernung eines Stücks Schweinfurt", die für eine "sozialpolitisch ganz entscheidende Epoche der Gartenstadtbewegung" stehe. Da hätte er sich "doch einige bedauernde Worte" gewünscht. "Am Ende", so Remelé, "wird man so vorgehen müssen, aber das ist natürlich schon sehr traurig, wie wir mit diesem Stück Baugeschichte umgehen müssen."
Einerseits wird hier ein Stück Schweinfurter Bau-, Stadt- und Sozialgeschichte komplett plattgemacht. Man hätte eine Lösung finden können, in der einige der Altbauten erhalten und saniert werden. Aber dieses historische Gespür scheint dem Bauverein völlig abzugehen. Hinzu kommt, dass Abriss von Bestandsbauten und Neubau in Zeiten von Klimawandel, Rohstoffmangel und CO2-Reduktion schlicht wahnsinnig und unverantwortlich sind. Gerade eine Genossenschaft sollte hier nachhaltiger agieren. Leider entsteht solches Vorgehen (erstmal alles platt machen) meist aus Ideenlosigkeit der engagierten Architekten und Unwissenheit der Verantwortlichen. Sanierung der Altbauten mit Aufstockungen und Anbauten, idealerweise in Holz, wäre der Königsweg gewesen.
Mit Haustüren und Flügelfenstern aus Holz, Erhalt der Fensterläden, Kalkputz und Naturfarben bleiben die Häuser diffusionsoffen - kein Schimmel.
Das wären preiswerte Wohnungen & Häuschen mit kleinen Gärten, für die sich bestimmt Liebhaber fänden.
Yorktown Village kann man damit natürlich nicht Vergleichen - ABER es genügte weder den deutschen Bauvorschriften noch den deutschen Vorstellungen von Häusern. Statt Totalsanierung verkaufte man sie im Originalzustand - das Ergebnis ist bekannt.
Nach obigen Vorschlag gäbe es für die 4 rechten Reihenhäuschen vielleicht 100 Bewerber, wieder Verlosungen und bundesweite Berichterstattung.
Die Zeiten haben sich allerdings geändert, manche Teile der Gartenstadt in Schweinfurt sind so einfach nicht mehr zeitgemäß (klein, zusammengebaut, alt, einfach).
Daher macht ein Neubau Sinn, auch wenn darin einige "Industriebarracken" oder den "Charme eines Schuhkartons" erkennen wollen. Jede Zeit hat ihren Baustil und vielleicht jammert in 100 Jahren jemand wenn die jetzt zu bauenden Häuser eines Tages abgerissen werden sollten.
Nachverdichtung ist gut und eine Stadt besteht nun einmal nicht zu 90% aus Einfamilienhäusern mit 1000m² Grundstück.
VG
Ralf
Was danach kommt, wird vermutlich den Charme eines Regals Schuhkartons im Schuhhandel haben. Eckig, uniform, dicht gepackt.
Über den Charme von Neubauten, die den energetischen Standards entsprechen müssen und gleichzeitig bezahlbaren, günstigen Wohnraum bieten sollen, kann man sicher geteilter Meinung sein. Aber aus Profitgier handelt beim Bauverein garantiert niemand und ich hoffe, dass nehmen Sie mir ab, auch wenn ich natürlich befangen bin.
Ralf Hofmann
Aufsichtsratsvorsitzender Bauverein Schweinfurt eG
Das beginnt schon mit den Versammlungen selber: da ohnehin nur ein kleiner Teil der Mitglieder erscheint und auch meistens immer nur dieselben, kann man schon ganz gut vorhersehen, wie die so ticken und sie entsprechend lenken.
Aber wo Sie schon mal da sind, habe ich da eine andere Frage an sie: wohnen eigentlich dann nach dem Neubau wieder die alten Bewohner dort, oder neue? Für mich klingt das schon sehr stark hier nach Gentrifizierung.
In den nun betroffenen Häusern wohnten immer weniger Menschen, weil sie nicht mehr den Standards entsprechen und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht sanierungsfähig sind. Sie mögen es glauben oder nicht: im Bauverein gibt es sehr viele Traditionalisten, die eine solche Veränderung im Baustil sehr kritisch sehen. Aber den Fakten kann man sich letztendlich nicht widersetzen. Wenn die Gebäude den gesetzlichen energetischen Standards entsprechen UND gleichzeitig bezahlbarer Wohnraum erhalten bleiben soll, sind das die Lösungen.
Und zu Ihrer Frage: Änderungen bei den Mietern können sich fast bei jeder Sanierung/Neubau ergeben. Das hat mit Gentrifizierung nichts zu tun.
Wenn man Mitglied einer Genossenschaft wird, muss man Anteile kaufen, richtig. Diese Anteile variieren auch nach Größe der Wohnung. Sie sind dann vergleibar mit einer Kaution. Und wie bei einer Kaution erhält man diese Anteil bei Austritt aus der Genossenschaft zurück.
Die Höhe der Genossenschaftsanteile hat nichts damit der Vermittlungsgeschwindigkeit einer Wohnung zu tun. Auch in der Halbanonymität dieses Forums sollte man nicht leichtfertig Dinge behaupten, die anderen zu unrecht in Misskredit bringen können.
Ralf Hofmann
Aufsichtsratsvorsitzender Bauverein Schweinfurt eG