Die Hölle war im ruhigen Schweinfurter Nordwesten nie willkommen. Der Gartenstädter neigte im letzten Jahrhundert selten zu Krawall und Randale. Einmal jedoch gab es eine Ausnahme, 1932: „Hitler soll mit Eiern beworfen worden sein“, erinnert sich der einstige Oberbürgermeister Kurz Petzold, einer der Zeitzeugen, die anlässlich „100 Jahre Bauverein“ auf das frühere Leben in der Gartenstadt zurückblicken. „Und mit Steinen!“, ruft jemand im großen Saal von Maria Hilf dazwischen.
Die Bambule ereignete sich wohl am Obertor, nicht in der Siedlung an der Maibacher Höhe, gab aber ganz gut die dortige Stimmung wieder: „Die Gartenstadt war rot bis zum Schluss“, sagt Ehrenbürger Petzold (81), mit einem gewissen Stolz: auch wenn die Nazis schlau mit sozialen Wohltaten gelockt hätten. Hitler habe Schweinfurt keinen weiteren Besuch abgestattet.
Geschichten aus der Gartenstadt – ganz persönlich
Die zweite Begleitveranstaltung zur Ausstellung „Wohnen im Wandel“, im Museum Georg Groha-Straße 25 ist mit über hundert Zuhörern gut besucht. Klaus Krug begrüßt als Geschäftsführer des Bauvereins zu „Geschichten aus der Gartenstadt“, Ralf Hofmann von der Blues Agency führt als Moderator, Pianist Jörg Schöner musikalisch durch den Abend, die Talkrunden werden aufgelockert durch Kurzfilme.
Der europaweiten „Gartenstadtbewegung“ ging es um mehr als nur Stadtgrün: Petzold erinnert an den Begründer, den britischen Sozialreformer Sir Ebenezer Howard, der schon vor über 100 Jahren ringförmig grüne, luftige Zukunftsstädte um die Zentren legen wollte. Mit Ställen und Gärten sollten sich die Bewohner selbst versorgen, die Finanzierung genossenschaftlich erfolgen, ohne Spekulation und Mietwucher. Eine ähnliche Idee stand hinter der Gründung des Bauvereins, am 31. Juli 1917, im Elend des Ersten Weltkriegs.
Raus aus den überfüllten Arbeiterquartieren
Auch die Arbeiterquartiere in der Schweinfurter Innenstadt waren überfüllt, dunkel, ungesund: die Betten wurden außer mit der Großfamilie oft noch mit „Schlafgängern“ geteilt, gegen Entgelt. Die Luft roch nach Krankheit und Umsturz, als besorgte Honoratioren wie die Unternehmer Engelbert Fries und Ernst Sachs oder Gewerkschaftssekretär Fritz Soldmann den Aufsichtsrat bildeten. 200 Mark Beteiligung wurde von den Baugenossen verlangt, viel Geld bei 60 Pfennig Stundenlohn, allerdings in Raten und ohne Haftung. Architekt Theodor Fischer plante 1919 den neuen Musterstadtteil, ursprünglich noch mit zentralem „Theatro“. In den kargen Jahren nach dem verlorenen Krieg blieb es in der Gartenstadt-, Josef Säckler-, Fritz Soldmann- und Georg Groha-Straße dann zunächst bei 36 Einfamilien-Häuschen, die – Modell „Yorktown Village“ – an Mitglieder verlost worden sind.
Wie ein Eldorado kam ihr Anwesen manchen vor
Zu den Glücklichen der ersten Stunde zählte Stadtteilbürgermeister Ludwig Werberich, eine „Zentralfigur“ des Vereinslebens. Enkel Günther, Jahrgang 1940, sitzt zusammen mit Bruder Horst und Schwester Elisabeth Virnekäs in der Runde : „Wie ein Eldorado“ sei ihnen das Anwesen vorgekommen. Im heutigen Museumshaus haben damals neun Menschen gewohnt, von den Großeltern bis zu den Geschwistern. Dennoch gab es Platz für Wohnküche, Stube, Waschküche, Speisekammer, Abort, vier Schlafzimmer im Obergeschoss, Keller und Dachboden. Dazu gesellten sich zwölf Hühner („an Eiern hat es nie gefehlt“) und sechs Hasen: „Ich musste für das Hasenfutter sorgen“, erinnert sich Günther Werberich, die ständige Mahnung noch im Ohr: „Kein Gras, sondern gestochene Ringelbüschel.“ „Als Kind war dieses Haus groß, als Erwachsener kam es einem klein vor“, erinnert sich Elisabeth Virnekäs: „Die Tünche an der Wand, das Muster, ist mir noch in Erinnerung.“
Sonstige Infrastruktur war kaum vorhanden, der Fußweg in die Schillerschule normal. Dafür standen jede Menge gleichaltrige Kinder bereit für „Aktionen in der Säcklerstraße“. Im Garten von „Obba Ludwig“ gab es Obstbäume, auch am Kleinflürleinsweg. Aus der Ernte wurde mit dem Persil-Wäscheschlegel die Maische gerührt, der Postbote hat geschnüffelt und wurde am Endprodukt beteiligt, in Form einer Literflasche.
Als jeder im Viertel noch den Gastwirt gab
Alle paar Wochen spielte im Viertel ein anderer den Gastwirt, erinnert sich Günther Werberich. Schwimmen hat er noch im Saumain gelernt, „mit robusten Methoden“. Auch wenn Günther lange in Oberbayern gelebt hat, Bruder Horst heute Schatzmeister im Bürgerverein Zürch ist und die Schwester Hochfelderin, sind alle immer „mental“ Gartenstädter geblieben.
Auch die Großeltern von Kurt Petzold, Franz und Anna Zurmann, mit österreichisch-bosnischem „Migrationshintergrund“, kamen nur durch Losglück in die Josef Säckler-Straße, wo sie mit fünf Kindern lebten: „Es war schon eng und knapp, aber im Vergleich dazu, wie die Menschen in der Innenstadt wohnten, in den Mietskasernen, war das sehr ausreichend“, sagt der Arbeiterenkel.
Mutter Lina Zurmann arbeitete im Konsumverein, dem Lebensmittelladen. Als Jungvermählter durfte sich Petzold glücklich schätzen, eine kleine Wohnung an der Galgenleite 51, später in der Fritz Soldmann-Straße zu bekommen. Die Nazizeit hatte den selbstständigen Bauverein ebenso wie die Stadt zertrümmert, nach 1945 war Wohnraum erneut knapp. Der erste Nachkriegs-Geschäftsführer, „der gestrenge Heinrich Jauchstetter“, ein resoluter Mann des Wiederaufbaus, sorgte für die Wohnungen, dafür wurde Mitgliedschaft nahegelegt.
Manche kamen auch der Liebe wegen
„Ich vermisse a weng die Originale, die Gartenstädter, da ist noch nichts nachgekommen“, sagt die ehemalige Stadträtin Traudl Steinmüller, die 1964 Gartenstädterin wurde, der Liebe wegen: „Viele haben keine Verbindung zu Schweinfurt, zur Gartenstadt mehr.“ Hoffentlich bleibe der Zusammenhalt erhalten. Auf andere Zeiten blickt auch Harald Grohganz, ehemaliger Stadtteilbürgermeister und Bürgervereins-Chef: „Früher hat der Bauverein um 12 Uhr geschlossen, und man ist zur Kirchweih gegangen. Ganz früher.“ Für die Zukunft ist er aber optimistisch, mit Blick auch auf zahlreiche Kinderwägen im Viertel.
Vor Bauvereins-Patriarch Jauchstetter hieß es allerdings strammstehen: Davon weiß das ehemalige Vorstandsmitglied, Edmund Wels, ein Lied zu singen. Der Stadtpolizist wurde 1956 als Neumieter vergattert, das Kehren von Hof und Straße waren heilige Pflicht: „Die Hausordnung wurde von oben bis unten vorgelesen: eindringlich!“ 1968 übernahm Sohn Helger Jauchstetter die Geschäfte, in einer schwierigen Zeit der Hochzinsphase, des Sprungs Richtung Deutschhof und der EDV-Einführung. Zusammen mit Heinrichs Enkel Dirk Jauchstetter und Horst Siebenlist, einem weiteren Vereinsurgestein, blickt Eddi Wels auf arbeitsreiche Jahre zurück.
Mit Gründung der Spareinrichtung gelang es dem Verein 1985, grundlegend Finanzierungslücken zu schließen.
3000 Mitglieder und 1800 Wohnungen
Heute verzeichnet der Bauverein stadtweit über 3000 Mitglieder und 1800 Wohnungen, mit neuem Schwerpunkt Sanierung: „Ein Segen für die ganze Stadt“, sagt Kurt Petzold.