Stellen Sie sich mal vor, die Autobahn würde mit einer Photovoltaik-Anlage überdacht, Kugellager kämen aus dem 3D-Drucker, Ernteabfälle würden zu wertvollem Humus, Waren könnten in Vakuum-Röhren quer durch Deutschland transportiert werden und intelligentes Energie-Management wäre in allen Köpfen. Diese Visionen haben Nachwuchswissenschaftler aus der Region zum Schutz des Weltklimas entwickelt und sich damit für die Endrunde um den Zukunftspreis der Stadt Schweinfurt qualifiziert.
Dieser stand in diesem Jahr unter dem Motto "Netto-Null-Emission – Klimaneutrale Produktion" und wurde am Montagabend beim Zukunftsforum der Stadt Schweinfurt im Konferenzzentrum auf der Maininsel vergeben. Welche Zukunftsidee die beste ist, entschieden die Teilnehmer des Forums und des Livestreams, in dem es übertragen wurde. Und sie kürten das Schaeffler-Team um Denice Brodt und Christoph Reuß mit dem 3D-Druck zum Gewinner des mit 1500 Euro dotierten ersten Preises.
"Nur noch kurz die Welt retten" haben die jungen Forscher ihre visionäre Idee betitelt, mit der sie die Fertigungstechnik für Lager und Komponenten revolutionieren wollen. Dabei geht es um die Optimierung des Stahlverbrauchs durch metallischen 3D-Druck. Schmieden, Härten, Drehen und Fräsen wird damit überflüssig, was den Rohstoffverbrauch mindert, den Maschinenpark reduziert, die Herstellung beschleunigt und die Produktion variabler macht.
"Sie werden damit an Grenzen stoßen, aber sie werden sie meistern", würdigte Laudator Stefan Gladeck von der SKF GmbH das ambitionierte Projekt.
Schaeffler war mit drei Teams im Finale
Schaeffler war gleich mit drei Teams im Finale vertreten. Dual Studierende hatten sich einen Tag lang Gedanken zum Thema "Netto-Null-Emission" am Schaeffler-Standort Schweinfurt gemacht und kreative Lösungen entwickelt. Die Gruppe Energiemanagement um Jan Friedrich und das Logistik-Team von Moritz Geißendörfer schafften es mit ihren Vorschlägen auf Platz vier. Ihre Visionen reichen von wasserlosen Urinals und papierlosen Büros bis hin zum energiesparenden Smart Home.
Platz drei sicherte sich Ingenieur Gerhard Niebergall aus Volkershausen. Er hat eine Anlage entwickelt, die aus Ernterückständen Humus macht und dadurch Kohlendioxid (CO2) bindet. Bezogen auf die Getreideanbaufläche lässt sich nach seiner Rechnung damit die Gesamtemission an CO2 in Deutschland zu 5,3 Prozent, in Europa zu elf Prozent und weltweit zu 14,8 Prozent binden.
Innovative Lösungen auch bei ZF
Revolutionär auch die auf Platz zwei gewählte Zukunftsidee von Martin Meiß. Der ZF-Mitarbeiter will das Schweinfurter ZF-Werk Süd mit regenerativ erzeugtem "Autobahnstrom" versorgen und dazu die A70 ab dem Kreuz Werneck auf 25 Kilometer Länge mit einer Photovoltaikanlage überdachen. Das hätte sogar den Nebeneffekt, dass die Fahrbahn im Winter schnee- und eisfrei und im Sommer der Straßenbelag kühl bliebe. Die Kosten hat er exakt durchgerechnet. Sein Fazit: "Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit sind gegeben."
"Sehr ermutigend" fand Laudator Stefan Gladeck alle fünf Zukunftsideen. Schweinfurt trage bei der Entwicklung von innovativen Lösungen zum Schutz des Weltklimas eine besondere Verantwortung. Denn die Industrie brauche Energie, jetzt und in der Zukunft.
Für Oberbürgermeister Sebastian Remelé ist der Zukunftspreis denn auch der wichtigste Impuls des Zukunftsforums, das Stadt und Landkreis Schweinfurt in diesem Jahr zum dritten Mal veranstalten. Er animiere junge Menschen dazu, sich Gedanken um die Zukunft zu machen und kreative Ideen zu entwickeln. "Wir stehen vor einem Epochen-Wandel", verwies Remelé auf die Stimme der Wissenschaft, zur Existenzsicherung unserer Zivilisation die Weichen in Richtung Klimaneutralität zu stellen. "Wir bekennen uns alle zu Photovoltaik, Windkraft und Wasserkraft." Doch wenn solche Projekte vor der eigenen Haustür entstehen sollen, sei es schnell vorbei mit der Akzeptanz. Die große Herausforderung sei es daher, das Wissen in die Tat umzusetzen.
Netto-Null-Emission ist angesichts der Hitzewelle in Indien, der Zerstörung des Regenwaldes oder zunehmenden Unwetterereignissen in der Region auch für Landrat Florian Töpper das Zukunftsthema. Wichtig dabei sei aber, dass Schweinfurt als Produktionsstandort erhalten bleibe. "Es muss weitergehen und wird weitergehen", setzt Töpper seine Hoffnungen bei der Umsetzung der Klimaziele in den kreativen Nachwuchs.
"Wir müssen handeln, individuell und politisch", fordert Dr. Max Franks vom Potsdam-Institut für Klimaforschung. Die Stärke des Treibhauseffekts vergleicht er mit einer CO2-gefüllten Badewanne. Dreht man den Emissionshahn nicht zu, läuft sie über. "Handeln kann jeder", sagt Franks. Effektiv aber könnten Emissionen nur mit einer CO2-Bepreisung reduziert werden. Aufgabe der Politik sei es, diese sozial gerecht zu gestalten.
Weichen für eine nachhaltige Wertschöpfungskette stellen
Für Professor Dr. Ulrich Müller-Steinfahrt, Leiter des Instituts für angewandte Logistik an der FHWS, beginnt die klimaneutrale Produktion schon mit dem Produktdesign. Denn hier werden die Weichen für eine nachhaltige Wertschöpfungskette gestellt. "Hier müssen wir mehr Gas geben, um unsere Klimaziele zu erreichen."
Wärme und Wasserstoff sind für Professor Dr. Uwe Riedel vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt die Schlüsseltechnologien für die Dekarbonisierung der Industrie. Nötig seien dazu intelligente technische Lösungen, gesellschaftliche Akzeptanz und ein gutes Geschäftsmodell.
Live aus England zugeschaltet war Peter Cochrane, einer der weltweit angesehensten Zukunftsdenker. Er referierte über die Mobilfunktechnologie, den allgemeinen Wandel und seine Auswirkungen auf die Zukunft von Unternehmen und Gesellschaft.
Zum Abschluss gab es mit einer Live-Schaltung ins Ahrtal noch ein musikalisches Highlight. Die Blaskapelle hatte im virtuellen Schweinfurter Zukunftsforum ihren ersten großen Auftritt nach der Hochwasserkatastrophe und krönte das kleine Konzerts mit dem extra einstudierten Frankenlied. Moderiert wurde die über sechs Stunden dauernde Veranstaltung von André Kessler.