
Was ist los bei der Lebenshilfe Schweinfurt? Vier von sieben Vorstandsmitgliedern haben hingeschmissen. Zuerst ist der Vorsitzende Stefan Menz nach nur dreimonatiger Amtszeit am 3. Januar zurückgetreten. Drei Monate später legten auch Denise Saal, Philipp Grau und Werner Kraus ihr Mandat nieder. Seit 7. April agiert nur noch ein dreiköpfiger Rumpfvorstand mit dem stellvertretenden Vorsitzenden Konrad Schneider an der Spitze, der aber nicht mehr beschlussfähig ist. Der Verein Lebenshilfe Schweinfurt ist seit fast vier Monaten handlungsunfähig.
Ein Hilferuf aus den Reihen des Personals ist im Juni an alle Mitglieder des Vorstands und der beratenden Leitungskonferenz gegangen, zu der die Leiter der Einrichtungen und die Belegschaftsvertretung gehören. In einem offenen Brief, der der Redaktion vorliegt und den acht Personen unterzeichnet haben, wurde die Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung mit Nachwahlen beziehungsweise Neuwahlen gefordert, um wieder einen legitimierten Vorstand zu installieren.
In der Belegschaft gebe es eine "noch nie dagewesene Verunsicherung", heißt es in dem Schreiben. Die Beschäftigten seien demotiviert. Es gebe sogar Überlegungen, die Lebenshilfe zu verlassen, "weil sie nicht mehr als attraktiver und sicherheitsgebender Arbeitgeber erlebt wird".
"Ich habe Angst, dass die Diskussion der Lebenshilfe um Zukunftsthemen wie Inklusion und Teilhabe auf der Strecke bleibt", sagt der zurückgetretene Vorsitzende Stefan Menz im Redaktionsgespräch. Einige Projekte liegen jetzt auf Eis. Zum Beispiel die Werkstatt für psychisch beeinträchtigte Menschen, die in Bad Neustadt gebaut werden soll. Oder die Erweiterung der Lebenshilfe-Kita in der Schweinfurter Gartenstadt. Auch drei Schulsanierungen stehen an.
"Wo Beschlüsse da sind und Rechtssicherheit besteht, geben wir die Aufträge raus", sagt der noch im Vorstand verbliebene stellvertretende Vorsitzende Konrad Schneider im Gespräch mit der Redaktion. Er beurteilt die Lage der Lebenshilfe nicht so pessimistisch: "In 80 Prozent der Einrichtungen läuft der Laden perfekt." Auch, weil sich seiner Aussage nach der Großteil der Einrichtungsleiter von dem offenen Brief distanziert habe.
Das Unternehmen Lebenshilfe wird als gemeinnütziger Verein von einem ehrenamtlichen Vorstand geführt, der sich zum großen Teil aus Eltern und Angehörigen von Menschen mit Behinderung zusammensetzt. Derzeit besteht der Vorstand nur noch aus dem stellvertretenden Vorsitzenden Konrad Schneider, der Beisitzerin Heike Breitenbach und dem Delegierten Stefan Seufert vom angeschlossenen Lebenshilfe-Verein Hammelburg, der als einziger im Gremium nicht gewählt werden muss. Als nicht stimmberechtigte Mitglieder gehören dem Gremium Geschäftsführer Martin Groove und vier Vertreter aus den Einrichtungen an.
Vorwürfe gegen den Delegierten aus Hammelburg
Es brodelt gleichwohl schon lange bei der Lebenshilfe Schweinfurt. Nach Aussage von zurückgetretenen Vorstandsmitgliedern in Hintergrundgesprächen mit der Redaktion ab dem Zeitpunkt, als der Hammelburger Lebenshilfe-Verein vor zwei Jahren seinen neuen Vorsitzenden Stefan Seufert als Delegierten nach Schweinfurt entsandt hat. Die Rede ist von fehlendem demokratischen Verständnis, von Demütigungen, von Beleidigungen, von aggressivem Auftreten und Einmischung in das operative Geschäft. Vorstandssitzungen seien abgebrochen worden, konstruktives Arbeiten nicht mehr möglich gewesen.

Bei den turnusgemäßen Neuwahlen in der Mitgliederversammlung am 21. September 2023 traten erfahrene Mitglieder dann erst gar nicht mehr an. Auch der langjährige und geschätzte Vorsitzende Dr. Horst Golueke stellte sich nicht mehr zur Verfügung. In Stefan Menz fand man einen Nachfolger. Der 52-Jährige aus Heidenfeld ist seit vielen Jahren eng mit der Lebenshilfe verbunden.
Heute sagt er: "Ich habe mich von mehreren Seiten zur Kandidatur zum 1. Vorsitzenden drängen lassen. Eigentlich war ich dafür gar nicht vorgesehen." Das Amt des Vorsitzenden erfordere viel Zeit und Präsenz. Er habe geglaubt, mit der Unterstützung aller Vorstandsmitglieder Beruf, Familie und seine vielen Ehrenämter unter einen Hut zu kriegen. Nach drei Monaten allerdings gab er auf, "weil die zwischenmenschliche Zusammenarbeit im Vorstand nicht funktioniert hat".
Keine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen
Die Mitglieder wurden erst drei Monate später über den Rücktritt von Menz informiert. Da waren inzwischen drei weitere Vorstandsmitglieder abgetreten. Alle an einem Tag, was für den stellvertretenden Vorsitzenden Schneider unerwartet kam und er als "schockierend" empfand.

Statt eine Nachwahl zu organisieren, stellte der verbliebene Rumpfvorstand einen Antrag beim Registergericht Schweinfurt, einen Notvorstand zu bestellen, der dann rechtssicher eine Versammlung terminieren könnte. Als Mitglieder wurden der ehemalige Geschäftsführer der Diakonie Schweinfurt, Jochen Keßler-Rosa, und die CSU-Landtagsabgeordnete Martina Gießübel vorgeschlagen. Das Gericht lehnte den Antrag ab. Begründung: Der Verein müsse sich zuerst einmal selbst helfen und eine außerordentliche Mitgliederversammlung abhalten, um einen neuen Vorstand zu wählen. Die Notwendigkeit eines gerichtlich bestellten Notvorstands sei nicht ersichtlich.
Gegen die Entscheidung des Gerichts wollen die Antragsteller nun Beschwerde einlegen. Aus ihrer Sicht verbietet die Satzung diese Vorgehensweise, weil der verbliebene Vorstand nicht beschlussfähig ist und daher nicht einladen könne. "Wir haben ein Dilemma", sagt Seufert. Im Falle einer Einladung ohne rechtswirksamen Vorstandsbeschluss bestehe die Gefahr, dass alle Beschlüsse eines neu gewählten Vorstands ungültig wären. "Dieses Risiko ist mir zu groß", sagt Schneider mit Verweis auf seine alleinige Haftung.
Vorstandsmitglied sieht Missstände und Handlungsbedarf
Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Aus Sicht des stellvertretenden Vorsitzenden Schneider waren es "viele Kleinigkeiten, die sich hochgepuscht haben". Stefan Seufert sagt, er sei emotional geworden, als er Missstände in Schweinfurt angesprochen habe. Zum Beispiel die fehlende Finanzeinsicht. Nur der Vorsitzende habe den Rechnungsprüfungsbericht bekommen, die restlichen Vorstandsmitglieder nicht. "Ich habe bis heute keinen Überblick über die Finanzen", kritisiert Seufert. Auch die Satzung entspreche nicht mehr heutigen Anforderungen. Sie müsse aus seiner Sicht auf Vordermann gebracht werden.
Zudem haben die Mitglieder am 23. September 2023 dem bisherigen Vorstand keine Entlastung erteilt. Das wertet der bestehende Rumpfvorstand als "Prüfungsauftrag", wie Seufert formuliert.
Es geht auch um Strukturveränderungen. Der alte Vorstand hatte noch beschlossen, Teilbereiche der Lebenshilfe in eigenständige GmbHs auszugründen, aus Haftungsgründen bei einer Bilanzsumme von 90 Millionen Euro. Weil es bei der Umsetzung formale Fehler gab, müssen die GmbHs nun aber wieder rückabgewickelt werden. "Das hat wahnsinnig viel Unruhe in die Belegschaft gebracht", kritisiert Seufert. Man diskutiere jetzt mit den Einrichtungsleitern und einer Beraterfirma, wie die Lebenshilfe künftig strukturiert werden soll.
"Dieses Vorgehen ist nicht satzungskonform", sagen frühere Vorstandsmitglieder zu den jetzigen Plänen zur Rückabwicklung. Sie befürchten, dass der Rumpfvorstand ohne Legitimation der Mitglieder die bisherige Struktur zerschlagen und einen geschäftsführenden Vorstand mit unabhängig nebeneinander existierenden Geschäftsbereichen einführen will. Die Gefahr sei dann groß, dass defizitäre Einrichtungen geschlossen werden und damit wichtige Angebote für Menschen mit Behinderung wegfallen.
"Die aktuelle Situation der Lebenshilfe schreit nach einer Wende", sagt der zurückgetretene Vorsitzende Stefan Menz. "Weg von der Verunsicherung und vom Chaos zu Stabilität und einem wertschätzenden Miteinander im Vorstand. Sonst wird sich niemand mehr finden, der das Amt verantwortungsvoll übernehmen möchte."
Die Lebenshilfe gleicht einem Ozeandampfer auf Kurssuche. Allerdings ohne Kapitän. Vielleicht möchte der Hammelburger Delegierte das Ruder übernehmen? Seufert dementiert: "Ich habe keine Ambitionen, als 1. Vorsitzender zu kandidieren." Der Rumpfvorstand baut weiterhin darauf, dass das Registergericht doch den Notvorstand einsetzt.