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SCHWEINFURT
Wenn nach der Diagnose Krebs nichts mehr so ist, wie es war
Stefan Menz ist am Leopoldina-Krankenhaus für die Psychoonkologie zuständig.
Foto: Anand Anders | Stefan Menz ist am Leopoldina-Krankenhaus für die Psychoonkologie zuständig.
Susanne Wiedemann
 |  aktualisiert: 19.10.2020 09:32 Uhr

Worum es geht bei der Psychoonkologie? Stefan Menz muss da nicht lange überlegen. „Es geht um Lebensqualität.“ Menz, Diplom-Theologe, ist seit Januar im Leopoldina dafür da, Krebspatienten zu helfen, mit der Diagnose fertig zu werden. Er hilft auch Menschen, die unheilbar erkrankt sind, einen Weg zu finden, die verbleibende Zeit zu nutzen.

Er hilft aber auch, zu verstehen. Die Diagnose, die Therapie zum Beispiel. Bei der Visite sind die Leute oft aufgeregt, vergessen, was sie fragen wollten. Menz nimmt da auch gerne Kontakt mit den Ärzten auf und erklärt. Einzelgespräche führt er selten. Partner oder Kinder sind meistens mit dabei. „Kinder wollen oft genau wissen, was die Mama hat.“

Denn die Diagnose Krebs stürzt jeden Menschen und sein familiäres Umfeld aus heiterem Himmel in eine existenzielle Krise, so Menz. Partner, Familie, sind genauso verunsichert nach der Diagnose, fallen in ein emotionales Loch, wie Menz oft erlebt hat.

Erst Schock, dann Verzweiflung

Selbst beschreibt er seine Erfahrungen so: „Von einem auf den anderen Tag ist nichts mehr so, wie es war. In der ersten Zeit nach der Diagnose befinden sich die Betroffenen meist in einem Schockzustand, dann kommen Verzweiflung, Wut und Ablehnung. Schließlich beginnt im Idealfall ein langer Prozess der Bewältigung und der Akzeptanz, in dem sich die Krebserkrankung mehr und mehr zur gelebten Realität entwickelt. Dieser Weg der Krankheitsbewältigung ist ein ganz individueller Weg. Manche Menschen schaffen es aus eigener Kraft, in dieser traumatischen Situation eine neue Lebensperspektive entstehen zu lassen. Der Glaube kann dabei helfen oder auch der Wille, sich nicht unterkriegen zu lassen. Menschen haben unterschiedliche Ressourcen, auf die sie zurückgreifen können. Nicht selten sind sie selbst überrascht, welche Kraft in ihnen steckt. Viele Krebspatienten begreifen ihre Erkrankung mit einem gewissen Abstand als Chance, das eigene Leben zu entrümpeln und sich auf das zu konzentrieren, was ihnen wirklich wichtig ist. Darum arbeite ich ressourcenorientiert, richte meinen Fokus auf das, was der Patient an Kraft und Resilienz bereits mitbringt. Das tue ich hauptsächlich in Gesprächen mit dem Patienten selber, aber auch mit den Partnern, der ganzen Familie, die ebenso nach der Diagnose verunsichert sind oder in ein emotionales Loch fallen.“

Stichwort Umfeld Familie, was sollte man nicht zu einem Krebskranken sagen? „Viele ärgern Aufforderungen, wie Du musst kämpfen! Wenn jemand noch zwei Monate zu leben hat, was soll ich da kämpfen? Da kann gut gemeinter Zuspruch eher Verzweiflung auslösen.

Körper und Seele gehören zusammen. Eigentlich nichts Neues. Menz begrüßt es aber, dass dieser Aspekt auch in der modernen Medizin stärker in den Blickwinkel rückt. Eine psychoonkologische Beratung und Begleitung durch professionelle Helfer werde heute in den meisten onkologischen Akut- und Nachsorgekliniken angeboten.

Begleitung bis in den Tod

Jeder Krebspatient am Leopoldina hat die Möglichkeit, mit Menz zu sprechen. Er muss es nur dem Arzt mitteilen, wenn er das Angebot der psychoonkologischen Begleitung annehmen möchte. Der Arzt kann Menz dann umgehend intern anfordern, der eine konstante Begleitung anbietet, solange sie gewünscht ist. Bei schwersterkrankten Patienten bleibt er, wenn es der Patient oder die Angehörigen wünschen, auch während des Sterbens dabei und begleitet die Menschen bis in den Tod. „Da schaue ich nicht auf die Uhr und bleibe dann auch schon mal bis spätnachts am Patientenbett, auch am Samstag oder Sonntag.“

Was kann eine psychoonkologische Beratung leisten? Menz' Erkenntnis: „Eine psychoonkologische Beratung kann Krebskranken helfen, vorhandene Ressourcen zu mobilisieren und eine neue Orientierung zu finden.“

Ausgleich ist wichtig

Was macht diese Arbeit mit einem? „Man erlebt schon menschliche Tragödien“, sagt Menz. Gerade, wenn man jemanden begleitet hat, der einige Wochen nach der Diagnose stirbt, eine Beziehung entstanden ist. Manchmal hadert auch der Theologe und ehemalige Priester mit Gott, wenn er erlebt, dass ein Kind stirbt. „Wie kann er so etwas zulassen?“. Es ist wichtig, für Ausgleich zu sorgen, sagt er. In der Natur ist er gerne, seine Leidenschaft für Geschichte lebt er als Kreisheimatpfleger und Gästeführer aus.

Dankbar für das Vertrauen

Menz fühlt sich trotzdem durch seinen Dienst als Psychoonkologe reich beschenkt. „Ich bin sehr dankbar für das Vertrauen der Patienten und Menschen, denen ich tagtäglich begegne. Die Gespräche erlebe ich sehr existenziell, gerade wenn der Tod unausweichlich scheint und feststeht, dass das Leben bald endet. Viele Patienten haben auch selbst ein Gespür dafür. Dann geht es oft um Dinge, die der Patient unbedingt noch erledigen will, eine Aussöhnung, einen Brief für nahestehende Menschen oder einfach auch nur um das Loswerden von Erlebnissen, die schon jahrelang, manchmal auch jahrzehntelange, das eigene Gewissen belastet haben.“

Jeder Tag, jede Sekunde des Lebens ist kostbar, das ist auch eine Erfahrung, die Menz aus seiner Arbeit zieht. Ruhiger, bedürfnisloser ist er geworden, sagt er.

„Jeder Mensch ist einmalig“

Was ihm die Arbeit auch deutlich gemacht hat: „Jeder Mensch ist einmalig, ein Original. Jeder Mensch muss in seiner Individualität begleitet werden. Ich muss mich immer wieder neu auf den Patienten einstellen und einen eigenen Weg mit ihm beginnen, auf dem er seine Erkrankung akzeptiert.“

Patienten bleiben auch nach dem Klinikaufenthalt mit ihm in Kontakt, erzählt Menz. Viele haben Angst vor der Nachuntersuchung, vor einem Rückfall. Oder sie haben einfach das Bedürfnis, zu reden. Denn Freunde ziehen sich oft zurück, wenn jemand eine Krebsdiagnose bekommen hat. „Die Leute haben Angst, wollen sich mit dem Thema nicht beschäftigen.“

 
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