Im Raum Schweinfurt und im nördlichen Unterfranken fehlt es massiv an Kinderärzten, Tausende Kinder sind unversorgt. Die Folge: Die kinder- und jugendärztliche Bereitschaftspraxis am Schweinfurter Leopoldina-Krankenhaus wird immer häufiger überrannt. 23 Ärztinnen und Ärzte leisten dort im Wechsel Dienst, häufig können sie den Ansturm kaum bewältigen. Drei von ihnen erklären, wo es hakt, warum es so nicht weitergehen kann – und welchen Appell sie an die Eltern haben.
1. Dr. Arman Behdjati-Lindner, Leiter des MVZ für Kinder- und Jugendmedizin Haßberge: "Wir sind nur für Notfälle da"
"Es gibt immer mehr Tage, an denen wir in der Bereitschaftspraxis überrannt werden. Bei einem Samstagsdienst Mitte Mai kamen zum Beispiel weit über 90 Patienten in neun Stunden. Das hat mir den Atem geraubt. Da weiß man erst einmal nicht, wie man das bewerkstelligen soll. Ich hatte das Gefühl, es entgleist alles.
An solchen Tagen warten plötzlich 20 Familien gleichzeitig und die Gefahr steigt, dass die medizinische Fachangestellte in dem Trubel einen schweren Notfall übersieht. Gott sei Dank ist das nicht passiert. Aber sicher zehn bis 15 der Patienten hatten an diesem Samstag nichts in einer Notfallpraxis zu suchen. Und genau das ist das Problem. Oft kommen Eltern mit Kindern in den Bereitschaftsdienst, die zwar krank sind – aber keine Notfälle.
Ein typisches Beispiel: Ein Kind hat seit einer halben Woche Schnupfen, die Familie will in Urlaub fahren und die Eltern meinen, es soll noch schnell ein Arzt helfen. Das braucht es nicht. Gleiches gilt für Anfragen, ob wir Vorsorgeuntersuchungen oder Impfungen übernehmen können.
Der Name Bereitschaftspraxis ist vielleicht irreführend. Wir sind nur für Notfälle da. Für Fälle, die keinen Aufschub bis zur nächsten Öffnung der normalen kinder- und jugendärztlichen Praxen erlauben. So ein Notfall ist, wenn ein Kind stark ausgetrocknet ist, anhaltend hohes Fieber oder Atemnot hat. Ansonsten ist es oftmals die Kombination aus zwei oder mehr schweren Symptomen, die ein Warnzeichen sind.
Insgesamt merken wir, dass die Zahl der Patienten seit Corona deutlich steigt. Vor der Pandemie zählten wir in einem schlimmen Dienst zwischen 70 und 80 Patienten – jetzt ist das die Regel. Und es zeigt, dass Eltern verunsichert sind. Das eigene Empfinden, wann ein Kind schwer krank ist, fehlt. Da hat sich in der Gesellschaft etwas verändert und aus meiner Sicht haben wir ein Stück weit die medizinische Bildung vernachlässigt."
2. Dr. Anja Hauth, Obbfrau der Kinderärzte der Region Main-Rhön: "Eltern trauen sich häufig selbst nichts mehr zu"
"Ich glaube, ein großer Teil unserer Misere besteht nicht nur darin, dass wir zu wenig Kinderärzte haben. Sondern auch darin, dass die Inanspruchnahme der medizinischen Betreuung immer höher wird. Eltern trauen sich häufig selbst nichts mehr zu. Sie haben das Einschätzungsvermögen verloren, wann ein Kind vom Arzt gesehen werden muss. Das liegt zum Teil an fehlender Eigenkompetenz, aber auch am Druck von außen, an Ängsten, die zum Beispiel im Kindergarten, in der Schule oder von anderen Eltern geschürt werden.
Im Bereitschaftsdienst habe auch ich die Erfahrung gemacht, dass von 90 Patienten teils nur fünf wirklich schwer krank waren. Der Rest hätte nicht in den Notdienst kommen müssen, weil der Zustand des Kindes am nächsten Tag sowieso besser gewesen wäre oder es hätte gereicht, am Montag zum Arzt zu gehen.
Das heißt: In der Mehrheit der Fälle leisten wir Beratung und Beruhigung der Eltern. In Zukunft brauchen wir deshalb dringend mehr medizinische Bildung, mehr Aufklärung in der Bevölkerung. Menschen müssen die Kriterien kennen, worauf sie achten müssen und wie sie einen Notfall erkennen.
Aus meiner Sicht sind Notfälle nicht beherrschbare Schmerzen, drohende Austrocknung, Atemnot oder blutende, offene Wunden. Bei kleinen Kindern unter einem Jahr kann auch Fieber sehr bedrohlich sein, das hängt vom Allgemeinzustand ab. Und genau das ist entscheidend: Man muss den Allgemeinzustand des Kindes beurteilen.
Wenn ein Kind zum Beispiel Fieber hat, aber in einem guten Allgemeinzustand ist, gut trinkt, gut isst, dann können Eltern abwarten. Fieber ist schlicht eine Reaktion des Körpers auf einen Eindringling. Aber das Aushalten oder das Positive an einem Infekt bei Kindern zu sehen, das ist völlig abhandengekommen. Stattdessen müssen wir nach so manchem völlig überlaufenen Dienstwochenende sogar mit Beschwerde-Mails oder schlechten Google Bewertungen rechnen."
3. Dr. Markus Helmreich, Vorsitzender der Bereitschaftspraxis Main-Rhön: "Die Bereitschaftspraxis ist kein Ersatz für den fehlenden Kinderarzt nebenan"
"Das Problem ist: Manche Eltern sind auf die Bereitschaftspraxis angewiesen, damit ihr krankes Kind überhaupt angeschaut wird – weil sie keinen eigenen Kinderarzt mehr haben und Hausärzte nicht einspringen können. Auch ich muss in meiner eigenen Praxis fast täglich Eltern am Telefon abweisen, weil wir keine Kapazitäten mehr haben.
Das ist fast deutschlandweit so, überall fehlen Kinderärzte. Ältere Kollegen finden keinen Nachfolger, obwohl immer mehr Kinderärzte ausgebildet werden. Die wenigsten jungen Mediziner landen aber in der Niederlassung. Viele wollen nur in Teilzeit arbeiten, außerdem werden die Bedingungen, etwa die Gehälter, immer unattraktiver.
Wir können diesen Mangel nicht in der Bereitschaftspraxis auffangen. Die Praxis ist die nichtchirurgische Notfallpraxis – und kein Ersatz für den fehlenden Kinderarzt nebenan. Hier geht es nur um Notfälle. Im Alltag aber kommen viele Eltern aus Unsicherheit. 'Das Kind hustet und wir wollen sicher sein, dass es keine Lungenentzündung ist' – solche Sätze hören wir regelmäßig. Und oft sind solche Patienten dann unzufrieden, weil sie stundenlang im Wartezimmer sitzen, obwohl sie 'nur schnell etwas abklären' wollten.
Manche Eltern wünschen sich schlicht eine Art Wohlfühl-Medizin, für die eine Bereitschaftspraxis nicht da ist. Diese fehlende Selbsteinschätzung verknappt die Ressourcen. Denn wenn genau diese Patienten nicht kämen, wären die echten Notfälle schneller dran und es bliebe mehr Zeit zu deren Behandlung.
Grundsätzlich gilt: Wir können Kinder im Bereitschaftsdienst abhören, anschauen, abtasten. Wir können Patienten in die Klinik einweisen. Aber wir können keine Kunststücke vollbringen. Wenn ein Kind seit vier Tagen Bauchweh hat und am Sonntagabend kommen die Eltern und meinen, wir müssen die Schmerzen wegzaubern – das können wir nicht leisten und dafür ist die Einrichtung nicht da."
1.meine „Kinder“ sind fast groß
2. wir hatten und haben mit unserem Kinderarzt unsagbares Glück! Menschlich und fachlich top!
wenn es immer weniger Ärzte gibt und dafür immer mehr Anspruchsdenken bzw. immer mehr Menschen, die sich von ihrem Alltag überfordert fühlen...
"Eltern haben das Einschätzungsvermögen verloren, wann ein Kind vom Arzt gesehen werden muss."
„Manche Eltern wünschen sich schlicht eine Art Wohlfühl-Medizin, für die eine Bereitschaftspraxis nicht da ist. Diese fehlende Selbsteinschätzung verknappt die Ressourcen.“
Die Erwartungshaltung in unseres sog. Wohlstandsgesellschaft ist überall sehr groß; nicht nur bei der medizinischen Versorgung.
Aber von den Politikern wird der Bevölkerung ja schon seit mehreren Jahrzehnten kontinuierlich versprochen, dass alles immer besser wird und es immer weiter aufwärts geht in Deutschland.
Politiker, die bei der nächsten Wahl wiedergewählt werden wollen und die trotzdem den Menschen die Wahrheit sagen, z.B. dass der sog. Wohlstand nicht immer noch größer werden kann oder dass es auch Zeiten gibt, in denen der Gürtel enger geschnallt werden muss, gibt es leider nicht.
erstens treffen Sie mit so einer Maßnahme die Leute, die das Geld eigentlich nicht haben und möglicherweise nicht kommen, obwohl es besser wäre (bzw. deren Kinder ...)/ dem Rest sind die paar Euro vmtl. so wurscht wie ein Falschparkerticket, und zweitens kann ich mir echt eine schönere Samstags-Beschäftigung vorstellen als (mit - nörgelndem - Kind) in der Bereitschaftspraxis unter lauter anderen eher weniger froh gestimmten Menschen (bzw. deren - nörgelnden - Kindern).
Aber die Hochachtung vor den Ärzt/innen teile ich mit Ihnen.