zurück
Schonungen
Corona-Atteste und fehlende Nachfolger: Warum Kinderärztinnen aus Schonungen Kinder auch mal ablehnen müssen
Die Kassenärztliche Vereinigung ist der Meinung, es gebe genug Kinderärzte im Raum Schweinfurt. Anja Hauth zeigt sich darüber erzürnt. Und schildert ihre Probleme.
Dr. Anja Hauth (links) und Dr. Monika Freiwald-Tries leiten gemeinsam eine Kinder- und Jugendarztpraxis in Schonungen.
Foto: Anand Anders | Dr. Anja Hauth (links) und Dr. Monika Freiwald-Tries leiten gemeinsam eine Kinder- und Jugendarztpraxis in Schonungen.
Lisa Marie Waschbusch
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:20 Uhr

Dr. Anja Hauth liebt ihren Job. Sie liebt, was sie tut, und sie sagt, sie könne sich auch vorstellen, das länger zu machen als sie muss. Die 47-Jährige ist Kinderärztin in Schonungen, führt gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Monika Freiwald-Tries eine Praxis, zwei weitere Ärztinnen, acht Helferinnen. Wenn Freiwald-Tries in einigen Jahren aufhört und es keinen Nachfolger, keine Nachfolgerin gibt, macht Anja Hauth alleine weiter. Sie sagt: "Ich will arbeiten, ich kann arbeiten, ich bin gesund und auch noch nicht so alt. Aber was ist, wenn ich mal nicht mehr so kann?"

Das Problem der Nachfolge. Das Problem, überhaupt Personal zu finden. Und dann ist da noch die Kassenärztliche Vereinigung, die behauptet, es gebe genug Kinderärztinnen und -ärzte im Raum Schweinfurt. Die sogar von einer Überversorgung spricht. Eine Aussage, die Anja Hauth wütend macht. Sie sagt: "Wenn es genug Kinderärztinnen und -ärzte gäbe, müsste keiner ein Problem haben, aufgenommen zu werden."

Feste Termine gibt es erst wieder ab Ende September

Es ist Montagmorgen. Anja Hauth hat eigentlich Urlaub. "Sonst hätte ich keine Zeit, Sie hier herumzuführen", sagt sie zu der Reporterin. Im Hintergrund klingelt das Telefon, Kinder schreien. "Der größte Trubel ist schon um", sagt Hauth. Um acht Uhr gehe der Anrufbeantworter aus, da stehe das Telefon nicht mehr still.

"Wir haben jeden Tag Akuttermine zu vergeben. Wenn um 10 Uhr jemand anruft, sind die schon längst alle weg." Dann müsse man schauen, am Telefon beraten, vielleicht geht es doch noch ohne Arzt – oder eben länger bleiben. Anja Hauth öffnet den Terminkalender, die Zeitblöcke sind bunt markiert. "Mit festen Terminen sind wir ausgebucht bis Ende September."

Als Monika Niklaus in der Praxis angefangen hat, konnte man sich den Kinderarzt noch aussuchen. Die 60-jährige Medizinische Fachangestellte ist seit 26 Jahren eine der Helferinnen und muss oft die teils verzweifelten Eltern am Telefon vertrösten. "Oft höre ich die Not der Eltern, dass sie einen Kinderarzt brauchen. Sie sagen, sie haben schon überall angerufen, doch niemand kann sie nehmen."

Die Situation ist schon jetzt extrem angespannt. Anja Hauth sagt: "Die Situation wird sich verschärfen, weil sehr viele der niedergelassenen Kinderärztinnen und -ärzte in Schweinfurt deutlich über 60 sind und zum Teil schon versuchen, ihre Praxen abzugeben, aber keinen Nachfolger finden."

Voraussetzungen für Aufnahme in der Praxis

Wer einen Termin in der Kinderarztpraxis in Schonungen bekommen möchte, muss einige Voraussetzungen erfüllen. Es sei immer das gleiche Gespräch, erläutert Anja Hauth: "Herzlichen Glückwunsch zur Geburt Ihres Babys. Haben Sie Geschwisterkinder bei uns?" – "Nein." – "Wo leben Sie?" – "in Schweinfurt" – "Waren Sie früher selbst Patient bei uns?" – "Nein." – "Tut mir leid, dann können wir Sie nicht nehmen." 

Eine junge Mutter aus Nürnberg hat für ihren kleinen Sohn einen Akuttermin ergattern. Dr. Jutta Oberndorfer untersucht ihn.
Foto: Anand Anders | Eine junge Mutter aus Nürnberg hat für ihren kleinen Sohn einen Akuttermin ergattern. Dr. Jutta Oberndorfer untersucht ihn.

Eine junge Mutter hat Glück an diesem Montag. Sie hat einen der wenigen Akuttermine für ihren anderthalbjährigen Sohn ergattert, "ein Infekt, Hand-Fuß-Mund, was gerade rumgeht", antwortet sie auf die Frage, was der Junge hat. Die Frau kommt eigentlich aus Nürnberg, ihre Eltern wohnen in Schonungen, sie ist mit ihrem Sohn zu Besuch. "Ich bin froh, dass ich heute spontan noch vorbeikommen konnte", sagt sie. "Ich habe schon von meiner Familie gehört, dass es hier schwer ist, einen Termin beim Kinderarzt zu bekommen." Anders als in Nürnberg, wie sie sagt. "Wir haben einen Kinderarzt bei uns um die Ecke, da habe ich nach der Geburt angerufen, das war kein Problem."

Viele Ärztinnen und Ärzte wollen angestellt arbeiten

Woran liegt es, dass Kinderärztinnen und -ärzte in der Region fehlen? Anja Hauth hat einen Erklärungsversuch: "Einerseits absorbieren die Kinderkliniken viele Ärzte. Andererseits wollen viele Ärzte heute nicht mehr eigenverantwortlich, sondern angestellt arbeiten." Und fügt hinzu: "Wenn ich die Wahl habe, die Praxis abzulösen für 150.000 Euro, oder mich anstellen zu lassen, dann ist anstellen lassen für viele die risikoärmere und entspanntere Lösung", sagt Anja Hauth.

Am Empfang der Praxis: Die Helferinnen Monika Niklaus (links) und Diane Müller.
Foto: Anand Anders | Am Empfang der Praxis: Die Helferinnen Monika Niklaus (links) und Diane Müller.

Anja Hauth hat selbst 16 Jahre lang in der Klinik gearbeitet. Sie kennt die Vorteile – aber auch die Nachteile. "Ich wollte aus der Klinik raus, weil ich die Dauerbereitschaft nicht mehr wollte", sagt sie. Aber auch, weil sie wissen wolle, was aus ihren Patienten werde. In der Klinik habe man die Patienten nicht lange, kenne sie nur in einer Extremsituation. "Wenn alles in Ordnung ist, wird das Kind entlassen und man hört nie mehr was von ihm", berichtet die Kinderärztin. "In der Praxis baut man eine Beziehung zu den Kindern auf, man betreut sie von Geburt an, vielleicht bis sie 18 sind. Und vielleicht darüber hinaus, wenn sie mal eigene Kinder bekommen." 

Hauth: Weniger Bürokratie würde den Ärztinnen und Ärzten helfen

Hauth ist sich sicher, dass man ihr und anderen Kinderärztinnen und -ärzten das Leben erleichtern könnte. Und zwar mit etwas weniger Bürokratie. "Es ist erstaunlich, was wir mittlerweile alles machen", sagt sie. Das fange bei Schulattesten an. "Warum braucht ein Kind nach drei Tagen, wenn es nicht in die Schule kann, ein Attest vom Arzt? Warum traut man den Müttern nicht zu, eine Entschuldigung zu schreiben?", fragt sie. 

Noch bizarrer wird es beim Thema Corona. Selbst wenn ein Kind positiv getestet sei, brauche es ein Attest vom Arzt, beschreibt Hauth. "Soll jetzt – meistens hat es dann ja die ganze Familie – die Corona-positive Mutter mit dem Corona-positiven Kind, das nicht mal vom Arzt angeschaut werden muss, weil es einen grippalen Infekt hat und der auch so vorbeigeht, in die Praxis fahren, damit ich es sehe und ein Attest ausstelle? Das verstehe ich nicht." Jeder wisse, dass man bei einem positiven Test einige Tage zu Hause bleiben müsse. Das alles benötige Zeit, die für die Versorgung von kranken Kindern und Jugendlichen verloren gehe.

Nach der Behandlung gibt es eine Belohnung von Anja Hauth.
Foto: Anand Anders | Nach der Behandlung gibt es eine Belohnung von Anja Hauth.

Die Pandemie habe die Situation in der Praxis insofern verschärft, als die Kinder im Sommer viel mehr krank seien. "Wahrscheinlich auch dadurch, dass viele Kinder es nicht mehr gewohnt sind, sich mit Mikroorganismen auseinander zu setzen, die Immunsysteme schlafen oder damals noch zu klein waren, als das mit Corona losging", sagt Hauth. Zudem habe auch die Gelassenheit der Eltern, etwas einfach mal ausheilen zu lassen, nachgelassen. "Die Eltern haben immer Sorge, dass es etwas Schlimmes ist."

Weiterbildungsverbund soll den Praxen helfen

Was den Praxen vor Ort helfen soll, ist ein Weiterbildungsverbund, wie es ihn für den Bereich Allgemeinmedizin schon gibt. Im Prinzip geht es darum, Nachwuchs für die Arztpraxen zu gewinnen, Studierenden Praxiserfahrung und Weiterbildungsmöglichkeiten anzubieten. In der Schonunger Kinder- und Jugendarztpraxis waren bisher drei Weiterbildungsassistenten für mindestens sechs Monate beschäftigt, die eigentlich Allgemeinmediziner werden. Sie wollten sich darauf vorbereiten, auch Kinder behandeln zu können.

Eine Entlastung für die Praxen? Anja Hauth stimmt zu, sagt aber: "Die ersten zwei Monate können die erstmal gar nicht alleine arbeiten. Wir können auch nicht voll arbeiten, weil wir uns um sie kümmern."

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Schonungen
Lisa Marie Waschbusch
Allgemeinmediziner
Arztpraxen
Kinderkliniken
Kinderärzte
Mütter
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • m. w.
    Die Krankenkasse dirigiert von ihrem Bürostuhl aus wo und wieviele Praxen in welchen Orten angesiedelt sein dürfen.
    Eine Bäckerinnung darf auch nicht darüber bestimmen wieviele Bäckereien es in welchem Ort es geben darf?
    Ein Kultusministerium darf auch nicht mitbestimmen wieviele Schulen in welchem Ort es geben darf?
    Dass die KK hier bestimmen können, sollte von der Politik mal überdacht werden.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • C. D.
    Es ist die Kassenärztliche Vereinigung und n i c h t die Krankenkasse.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • m. w.
    Das ist richtig, danke für den Hinweis!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten