Im Mai 2020 kam der neu gewählte Stadtrat für die Wahlperiode bis 2026 zu seiner ersten Sitzung zusammen. Es ging um die Geschäftsordnung, und es kam zu einer kleinen Sensation: Mit einer Stimme Mehrheit ging ein Antrag durch, die Sitzungen des Stadtrats per Live-Stream ins Internet zu übertragen. Seit gut eineinhalb Jahren wird das nun auch gemacht. Jetzt scheiterte der Versuch von Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) und der Verwaltung, das Thema wieder zu begraben.
In der jüngsten Stadtratssitzung gab es eine längere, lebendige Debatte über den Vorschlag der Verwaltung, den Vertrag mit dem Streaming-Anbieter zum Jahresende zu kündigen und die Sitzungen nicht mehr zu übertragen. 28 von 43 Stadträtinnen und Stadträten lehnten das ab. Sprich: Die Stadtratssitzungen werden auch 2024 live im Internet zu sehen sein.
Diskutiert wurde das Ansinnen nur deswegen öffentlich, weil Stadträtin Ulrike Schneider (Zukunft./ödp) einen Antrag gestellt hatte, vermehrt in die Werbung für den Stream zu investieren, um ihn bekannter und damit vielleicht auch beliebter zu machen. Ursprünglich hatte die Verwaltung geplant, das Thema gar nicht öffentlich zu diskutieren. Der OB begründete dies damit, dass man auch Zahlen zur Leistung des Anbieters habe nennen wollen, die man aus vertragsrechtlichen Gründen aber nicht öffentlich kundtun dürfe.
Nutzerzahlen des Live-Streams lagen bei maximal 518
Zwischen 46 und 518 Bürgerinnen und Bürger hatten sich laut den städtischen Daten in den vergangenen Monaten in die Live-Streams der Stadtratssitzungen – meist wird am letzten Dienstag im Monat ab 14.30 Uhr getagt – eingewählt. Der Stream ist allerdings nur in dem Moment sichtbar, wenn die Sitzung stattfindet. Ein späteres Abspielen ist nicht möglich.
Die Sitzungen der verschiedenen Ausschüsse werden gleichwohl nicht übertragen, auch Bürgerversammlungen nicht. Wer mitbekommen will, was die städtischen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker diskutieren und beschließen, muss sie also entweder selbst nach den Sitzungen fragen oder diese im Rathaus im großen Sitzungssaal besuchen.
Ein Problem des Live-Streams ist es, dass sieben der 44 Stadträtinnen und Stadträte von ihrem Persönlichkeitsrecht Gebrauch machen und sich nicht live übertragen lassen. Auch ein Teil der Amtsleiterinnen und Amtsleiter handhabt das so. Wenn diese Personen zu Wort kommen, ist das zwar im Sitzungssaal erlebbar, im Internet aber erscheint ein Standbild, auf dem zu lesen ist, dass die Übertragung aus rechtlichen Gründen nicht stattfindet. Um einer Debatte zu folgen und alle Argumente abzuwägen, ist das natürlich für den Konsumenten am Computer schwierig.
Oberbürgermeister kann nachvollziehen, wenn man sich nicht filmen lassen möchte
Oberbürgermeister Sebastian Remelé (CSU) und alle seine vier Referenten lassen sich filmen, der OB hat aber auch Verständnis für die Personen, die das nicht wollen. Dabei handelt es sich um drei AfD-Stadträte und vier von der CSU. "Es ist eine freie Entscheidung und der Schutz vor einer Öffentlichkeit, die es heute in sozialen Medien nicht immer gut mit einem meint", so der OB.
Die Befürworter des Streamings sehen das anders. "Es ist die einzige Chance für Bürgerinnen und Bürger zu sehen, was los ist, wenn sie nicht kommen können. Wir müssen dafür sorgen, dass es bekannter wird", betonte Ulrike Schneider. Ein Kritikpunkt ist dabei vor allem die städtische Internetseite, auf der das Streamingangebot nur schwer zu finden ist. Darüber hinaus wird nicht offensiv dafür geworben von Seiten der Stadt.
Auch die Freien Wähler sind für das Streaming: "Es ist dringend erforderlich, die Transparenz aufrecht zu erhalten", betonte Adi Schön. Dass OB-Büroleiter Werner Duske vorgeschlagen hatte, den Vertrag mit dem Streaming-Anbieter aus Kostengründen zu kündigen, verwunderte Ralf Hofmann (SPD) nicht. "Man muss auf unserer Homepage ein Experte sein, um den Stream zu finden", spottete er. Natürlich sei es mühselig, stundenlang Sitzungen folgen zu müssen, äußerte er Verständnis für manchmal maue Zuschauerzahlen.
"Es ist aber der falsche Weg, es einfach abzustellen, denn es ist für die Transparenz wichtig", betonte Hofmann. Sein Vorschlag, schon einmal geäußert: ein Stadtrats-TV entwickeln, bei dem zu bestimmten Themen alle Gruppierungen in kurzen Video-Clips zu Wort kommen. Seine Forderung, eine Arbeitsgruppe einzurichten, sorgte dann ebenso für eine längere Debatte wie der Vorschlag von Holger Laschka (Grüne), einen deutlich günstigeren Weg der Live-Übertragung zu erwägen.
Schließlich wurde nicht nur das Streaming grundsätzlich verlängert, sondern auch eine Arbeitsgruppe gegründet, die das Angebot nutzerfreundlicher machen soll. Der OB kündigte an, dieser Gruppe aus Stadträten und Verwaltung nicht vorzusitzen, weil er denkt, sie käme zu keinem für alle akzeptablen Vorschlag: "Zwist ist vorgezeichnet", betonte er als "Anmerkung eines Praktikers."
Digitalisierung soll vereinfachen und Kosten sparen.... das sehe ich hier nicht wirklich
das wäre die Idealwelt.
Aber bei der mittlerweile sehr geringen Reichweite der Mainpost müssen Gremien wie der Stadtrat andere Beteiligungsmöglichkeiten schaffen.
Eine Verbesserung, im Artikel nicht erwähnt, wäre schon die on demand-Verfügbarkeit. Dann könnten die Bürgerinnen und Bürger den für sie wichtigen TOP dann anschauen, wenn sie Zeit haben.
Ein zweiter Aspekt: Die Übertragungen dokumentieren auch sehr gut, wer was arbeitet in dem Gremium. So wird ihnen vielleicht auffallen, dass von den vier gewählten AfD-Stadträten weder eine Wortmeldung erfolgt, noch Anträge oder Anfragen gestellt werden. Sie sitzen da, wenn sie überhaupt kommen, und kassieren ihre Aufwandspauschale. Diese Entlarvung ist ein weiterer wichtiger Aspekt, zumindest in meinen Augen.
Ralf Hofmann, Stadtrat
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