
Deutschland braucht Pflegekräfte. Vor allem in der Altenpflege. Händeringend suchen die Einrichtungen Personal – in Konkurrenz zu vielen anderen. Die Hamburger Unternehmensgruppe Domicil, die in Schweinfurt zwei Senioreneinrichtungen betreibt, hat sich für einen ungewöhnlichen Weg entschieden. Sie lockt mit Kopfgeld Fachkräfte an.
Schon vor zwei Jahren ist Domicil in Schweinfurt mit einer aggressiven Personalakquise aufgefallen, als direkt vor dem AWO-Pflegeheim in Schwebheim ein mit Stellenanzeigen beklebtes Firmenauto von Domicil abgestellt worden war. Die Abwerbeaktion hatte damals für große Empörung gesorgt. Die Freien Wohlfahrtsverbände und auch andere private Betreiber von Senioreneinrichtungen distanzierten sich von solchen Maßnahmen.
Inzwischen schlägt man einen anderen Weg ein, um Fachkräfte zu rekrutieren. Am Domicil-Seniorenpflegeheim in der Hennebergstraße hängt ein riesiges Werbebanner mit einer verlockenden Antrittsprämie von 6000 Euro für neue Pflegefachkräfte. Die Summe wird mit 500 Euro pro Monat im ersten Anstellungsjahr ausgezahlt, informiert Domicil auf Nachfrage dieser Redaktion.
Caritas zahlt keine Antrittspauschalen
Können andere Einrichtungen da mithalten? "Solche Methoden lehnen wir grundsätzlich ab", sagt Georg Sperrle, Leiter der 13 Caritas-Pflegeeinrichtungen in Unterfranken. Der Wohlfahrtsverband wünsche sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht des Geldes wegen kommen, sondern die Caritas als attraktiven Arbeitgeber sehen. "Und das gelingt."
Statt Antrittspauschalen zahlt die Caritas Mitarbeiterpauschalen bei erfolgreichen Empfehlungen und wirbt mit "überdurchschnittlichen" Gehältern. "Antrittsprämien passen nicht zur Caritas", sagt Sperrle. Er hält diese Art der Mitarbeiterwerbung auch nicht für eine nachhaltige Strategie, weil sie das Grundproblem des Fachkräftemangels nicht lösen würde.
Die Caritas setze vielmehr auf die Anwerbung von internationalen Fachkräften. Rekrutiert werde aber nur in Ländern, in denen es einen Überschuss gebe, betont Sperrle. Zum Beispiel in Mexiko, Indien, den Philippinen. Aktuell arbeiten in den unterfränkischen Caritas-Einrichtungen 40 internationale Pflegefachkräfte und 24 Auszubildende aus Indien.

Domicil rechtfertigt die Prämienzahlung zur Anwerbung von Personal. Dies sei mittlerweile in der Pflegebranche weit verbreitet. "In der Vergangenheit haben wir festgestellt, dass dies eine notwendige Maßnahme ist, um angesichts des Fachkräftemangels ausreichend qualifiziertes Personal zu rekrutieren", sagt Unternehmenssprecher Andreas Jensvold.
Domicil bietet die 6000 Euro derzeit in mehreren seiner bundesweit 48 Seniorenpflegeheime an, um Schwerpunkte zu setzen. Laut Sprecher Jensvold mit Erfolg: "Die Prämie hat bereits Interesse geweckt." Dennoch sei man weiterhin auf der Suche nach neuen Pflegefachkräften und Auszubildenden, die das Team vervollständigen.
Darüber hinaus gehe Domicil jedoch auch "andere innovative Wege". In Indien betreibe die Gruppe zwei Sprachschulen, um neue Auszubildende sowie erfahrene Pflegefachkräfte für eine Arbeitsmigration nach Deutschland vorzubereiten. Bereits 150 Personen seien in den letzten Monaten eingereist.
Diakonie setzt auf Kontinuität und Identifikation
Bei der Diakonie Schweinfurt ist man überzeugt, dass Prämien keinen langfristigen Vorteil für Mitarbeitende und die Pflegeteams bringen, weil jegliche Kontinuität und Identifikation mit dem Arbeitgeber fehle. "Die Diakonie setzt auf echte Vorteile", verweist Unternehmenssprecherin Svenja Hartmann auf Benefits wie "überdurchschnittliche Vergütung", Sonderzahlungen, betriebliche Altersvorsorge oder Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb der Diakonie. Wechselprämien seien Fehlanreize, die Mitarbeitende dazu verleiten würden, einen kurzfristigen Vorteil zu suchen.
Geschäftsführer Carsten Bräumer gibt auch zu bedenken, dass bei gewerblichen Anbietern diese Ausgaben wieder refinanziert werden müssten. "Das heißt, mittelfristig müssen diese 6000 Euro bei den Personalkosten eingespart werden. Denn die Pflegesätze geben solche Positionen in den Personalkosten nicht wieder." In der freien Wohlfahrt hingegen würden alle Einnahmen direkt in die Qualität der Pflege, in die Mitarbeitenden und in die Zukunft der Einrichtungen investiert.
AWO macht bei Überbietungswettbewerb nicht mit
Eine "Tat der Verzweiflung" nennt Ulrike Hahn von der AWO-Bereichsleitung Alter & Pflege die Kopfprämien von Domicil bei der Mitarbeitersuche. Mit Geldanreizen würden nur kurzfristig Löcher gestopft, weil diese Pflegekräfte in der Regel schnell weiterziehen würden. "Wir wollen Mitarbeiter, die bewusst die AWO als langfristigen Arbeitgeber gewählt haben, da sie sicher sein können, dass sie fair behandelt und nach Tarif bezahlt werden."
Die AWO lehnt es laut Hahn deshalb ab, bei einem Überbietungswettbewerb dieser Art mitzumachen: "Wir investieren dieses Geld in eine gute Einarbeitung durch freigestellte Praxisanleiter, klare Strukturen und eine wertschätzende Willkommenskultur." Die AWO sei ein werteorientierter Verband, hier gehe es in erster Linie um Menschen, Bewohner und Mitarbeiter.
Die Stadt Schweinfurt betreibt über die Hospitalstiftung das Friederike-Schäfer-Heim in der Stadt. Prämienzahlungen gibt es dort nicht. Einrichtungsleiter Holger Korb glaubt nicht, dass man dadurch einen Wettbewerbsnachteil hat. Ein guter Arbeitgeber und ein gutes Betriebsklima sind seiner Meinung nach wichtiger als der monetäre Anreiz, der nur zu einem "Prämien-Hopping" führe.
Und wie halten es andere private Träger? "Wir finden solche Methoden nicht gut", heißt es aus dem Benevit-Pflegeheim im benachbarten Gochsheim. Für einen langfristigen Erfolg bei der Personalgewinnung seien faire Bezahlung, attraktive Arbeitsbedingungen und eine dauerhafte Wertschätzung der Mitarbeitenden wichtige Bausteine.