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Gerolzhofen
Interview mit einer Kinder- und Jugendpsychotherapeutin: Was schützt Kinder und Jugendliche vor Depressionen?
Die Wartelisten von Kinder- und Jugendpsychologen im Raum Schweinfurt sind lang. Depressionen gehören dabei zu den häufigsten psychischen Störungen bei Kindern.
Die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Regina Rauh hat seit 2013 eine Praxis in Gerolzhofen. Ihre Warteliste ist lang. Kaum einer ihrer Kolleginnen und Kollegen könnte sofort einen Termin anbieten.
Foto: Heiko Becker | Die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Regina Rauh hat seit 2013 eine Praxis in Gerolzhofen. Ihre Warteliste ist lang. Kaum einer ihrer Kolleginnen und Kollegen könnte sofort einen Termin anbieten.
Nicole Schmidt
 |  aktualisiert: 15.07.2024 18:36 Uhr

Die Praxisräume von Regina Rauh (42) in Gerolzhofen wirken hell und freundlich, in den Regalen stehen Gesellschaftsspiele und Bücher, eine Wand ist mit Blumen verziert. Seit 2013 empfängt die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin in ihrer Praxis Patienten unterschiedlichen Alters. Die jüngsten seien im Grundschulalter. Im Interview erklärt sie, woran Eltern Depressionen erkennen, welche Schutzfaktoren es gibt und wie die psychologische Versorgung in Schweinfurt ist. 

Frage: Wie häufig kommen Depressionen bei Kindern und Jugendlichen vor. Hat die Anzahl der Erkrankungen in den letzten Jahren im Raum Schweinfurt zugenommen?

Regina Rauh: Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter. Sie treten insbesondere im Pubertätsalter auf. Meine Kollegen und ich bekommen mehr Anmeldungen als in den letzten Jahren, das kann aber am erhöhten Bewusstsein liegen, weil die Krankheit früher wahrgenommen und benannt wird.

Welche Auslöser beobachten Sie bei Ihren Patientinnen und Patienten?

Rauh: Es gibt verschiedene Risikofaktoren, die zur Ausbildung einer psychischen Störung führen können, aber nicht müssen. Es gibt nicht die eine Erklärung. Man kann es sich als Waage vorstellen: Auf der einen Seite sind Risikofaktoren, auf der anderen Seite Schutzfaktoren, die verhindern, dass eine Depression entsteht. Während eine Belastung bei einem Kind zu einer Depression führt, kann ein Kind, das über Schutzfaktoren verfügt, hingegen mit der Belastung umgehen.

Können sie konkrete Beispiele für Auslöser nennen?

Rauh: Genetische Dispositionen, Hormone, chronische Erkrankungen, Stress und belastende Erlebnisse, wie der Tod einer nahestehenden Person oder Missbrauchserfahrungen, aber auch familiäre Schwierigkeiten, zum Beispiel die Trennung der Eltern, die Erkrankung eines Elternteils oder eine schwierige Kommunikation können Auslöser sein. Dann gibt es noch Persönlichkeitsmerkmale des Kindes – Temperament, Schüchternheit oder Ängstlichkeit – und äußere Einflüsse, zum Beispiel Armut, die eine Rolle spielen.

Gibt es Risikofaktoren, bei denen sich Stadt und Landkreis Schweinfurt von Großstädten unterscheiden?

Rauh: Studien belegen, dass das Risiko in Großstädten, an einer psychischen Krankheit zu erkranken, höher ist, weil es mehr Stressfaktoren gibt. Darunter fallen Lärmbelästigung, eine beengte Bauweise, Armutsviertel oder fehlendes soziales Miteinander. Auf dem Land sind Kinder dafür oft stärker von ihren Eltern abhängig. Vielleicht gibt es auch weniger Freizeitangebote. Die Lebensräume unterscheiden sich, was zu unterschiedlichen Risiko- und Schutzfaktoren führt, aber generell ist es schwierig, das pauschal zu sagen. 

Sie haben mehrfach von Schutzfaktoren gesprochen. Wie können Kinder vor Depressionen geschützt werden?

Rauh: Es geht darum, ob ein Kind sozial gut eingebunden ist, ein verständnisvolles Umfeld besitzt und eine positive Grundeinstellung zu sich und anderen Menschen entwickeln konnte. Kinder können Probleme besser lösen, wenn sie unterstützt werden und ihre eigenen Stärken kennen. 

Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Angebot von Freizeitaktivitäten und die Möglichkeit, den eigenen Interessen nachzugehen, weil dabei positive Erfahrungen gemacht werden können.

Eine Depression tritt oft auf, wenn sich familiäre Schicksalsschläge ereignen. Wie können Eltern dem vorbeugen?

Rauh: Kinder spüren, wenn etwas nicht passt. Wenn Eltern nicht darüber sprechen, bleibt viel Raum für Fantasie und das macht ein Problem manchmal schlimmer, als es tatsächlich ist. Deswegen sollten Eltern sich Zeit nehmen und ihrem Kind erklären, was los ist. Bei Krisen und Schwierigkeiten sollte gemeinsam geschaut werden, was in dieser Situation helfen kann. Können es die Eltern nicht, dann kann das zum Beispiel auch die Oma übernehmen.

Gibt es in Stadt und Landkreis Schweinfurt ausreichende Zugangsmöglichkeiten zu psychologischer Beratung und Therapie für Kinder und Jugendliche mit depressiven Symptomen?

Rauh: Ich höre durchgehend von allen Patienten, dass sie sehr lange nach einem Psychologen suchen, die Wartezeiten lange sind und es schwierig ist, einen Therapieplatz oder ein Erstgespräch zu bekommen. Ich habe leider auch eine lange Warteliste, das ist auch bei vielen meiner Kollegen und bei der Aufnahme für eine stationäre Therapie der Fall. Kaum einer kann momentan sofort Termine anbieten. Das ist aber nicht nur in Schweinfurt so.

In akuten Situationen empfehle ich Eltern, dass sie sich mit ihren Kindern an die Notfallsprechstunde wenden, die es auch in der Institutsambulanz in Schweinfurt oder bei Kinder- und Jugendpsychiatern gibt.

Die Suche dauert oft lang. Wie sieht es mit weiteren Unterstützungsangeboten aus? 

Rauh: Niederschwellige Angebote gibt es über Schulpsychologen und Schulsozialarbeiter oder die Erziehungsberatungsstelle. Sicherlich ist auch der Kinderarzt ein erster Ansprechpartner und die kassenärztlichen Vereinigung hilft bei der Suche nach Therapeuten.

Wir arbeiten mit Schulpsychologen zusammen, dadurch weiß ich, dass in Schweinfurt gute Arbeit gemacht wird. Ich kann aber nicht beurteilen, ob die Anzahl ausreicht.

Wie erkennen Eltern, ob bei ihrem Kind eine Depression vorliegt?

Rauh: Bei jüngeren Kindern zeigt es sich in Spielunlust oder Langweile, während Jungs auch aggressiv reagieren können. Mit dem Alter wandeln sich die Symptome. Es kommt zu einer gedrückten Stimmung, Selbstzweifeln, einem niedrigen Selbstwertgefühl und negativen Gedankenmustern. Auch Schlafstörungen oder somatische Beschwerden (wie Bauchschmerzen) können vorhanden sein. Am sozialen Rückzug bemerken Eltern oft am ehesten, dass eine Depression vorliegen könnte.

Wie sollten Eltern dann reagieren?

Rauh: Bei Verhaltensänderungen sollten Eltern mit ihrem Kind den Grund dafür herausfinden: Sich Zeit nehmen, Interesse und Verständnis zeigen und ein Gespräch anbieten, dieses aber nicht erzwingen. Spätestens wenn die Verhaltensänderung über einen längeren Zeitraum andauert, also das Kind den Alltag nicht mehr bewältigen kann, sollten Eltern fachliche Hilfe suchen.

Bei Psychotherapeuten gibt es Sprechstunden, die ohne Therapieantrag oder Überweisung in Anspruch genommen werden können, um abzuklären, ob eine psychische Erkrankung vorliegen könnte. Da sind auch die Wartezeiten kürzer.

Wie behandeln Sie Depressionen bei Kindern?

Rauh: Verhaltenstherapie bedeutet, kurz gefasst, Veränderung des Denkens, Fühlens und Handelns in eine positive Richtung. Bei jüngeren Kindern bespreche ich mit den Eltern, was sie gemeinsam unternehmen können, um schöne Erlebnisse zu schaffen. Dann geht es darum, Stress abzubauen und negative durch positive Gedanken zu ersetzen. Es ist wichtig, dass Kinder lernen, welche Gefühle es gibt und wie es ihnen geht. Ich übe mit ihnen, ihre Gefühle wahrzunehmen und herauszufinden, was sie brauchen, um sich besser zu fühlen.

Je nach Alter steige ich über eine Spielsituation oder kreative Techniken in die Behandlungssituation ein. Es geht immer darum, was das Kind anspricht, um Zugang zu ihm zu finden. Elternarbeit ist ein wichtiger Bestandteil der Therapie.

Und wie sieht es bei Jugendlichen aus?

Rauh: Jugendliche kommen entweder von sich aus oder werden von ihren Eltern geschickt. Dann brauchen sie etwas, bis sie ankommen, aber manche möchten auch gar nicht reden. Da hilft es meiner Erfahrung nach Verständnis zu zeigen, Geduld zu haben und über die Interessensgebiete der Jugendlichen Zugang zu diesen zu bekommen.

 
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