Mit Projektpartnerinnen und -partnern, Unternehmen, Behörden und Schulklassen aus der ganzen Welt Transformationsprojekte auf die Beine stellen und dabei Kompetenzen erwerben, die im schulischen Alltag wenig oder gar nicht geschult werden – das ist die Vision hinter einem Projekt, an dem sich auch drei Pilotklassen aus Unterfranken beteiligen.
Entwickelt hat das Konzept Oliver Kunkel. Er ist Lehrer für Musik, Geografie und Sozialkunde an der Walther-Rathenau-Schule in Schweinfurt und Vorsitzender im Bayerischen Elternverband (BEV). Mit "Lernen im Reallabor" will er nun genau da ansetzen, wo das schulische Lernen seiner Ansicht nach Defizite aufweist. "Wir sind in der Schulpraxis und selbst in der Lehrerausbildung noch wahnsinnig ineffizient", sagt er. "Schulisches Lernen bedeutet aktuell, dass die Motivation ständig sinkt und, dass mit einem riesigen Personal-, Zeit- und Nervenaufwand viel zu wenig Output da ist."
Auch Schulklassen aus Schweinfurt, Volkach und Münnerstadt nehmen teil
Gerade die Fähigkeit, komplex und kreativ zu denken, würde im Schulalltag kaum vermittelt, kritisiert Kunkel. Das habe zum Teil weitreichende Folgen. "Das Problem in unserem Schulsystem ist die Ansicht, wer nicht komplex genug denkt, gehöre eben nicht auf das Gymnasium. Dass wir komplexes Denken aber gezielt fördern können, das wird nicht gedacht. Und das versuchen wir jetzt zu ändern", sagt Kunkel.
Jahrelang habe er sich dafür mit den Zusammenhängen zwischen Neurobiologie und effizientem und gehirngerechtem Lernen beschäftigt. Die Erkenntnisse fasste Kunkel in seinem 2021 erschienenen Buch "Neugier entfesseln!" zusammen. Daraus sei dann die Idee für "Lernen im Reallabor" entstanden.
Zu Beginn des Schuljahres ist das Projekt in die Pilotphase gestartet. Acht Klassen aus Bayern und Baden-Württemberg nehmen daran teil. Darunter auch Klassen des Johann-Philipp-von-Schönborn-Gymnasium in Münnerstadt, der Mittelschule in Volkach und der Walter-Rathenau-Schule in Schweinfurt. Über ein Schuljahr hinweg entwickeln die Kinder in drei bis sechs Schulstunden pro Woche Lösungen für konkrete Problemstellungen aus Land- oder Forstwirtschaft.
Es soll keine Beeinträchtigungen im Lehrplan geben
Dafür arbeiten sie eng mit Akteurinnen und Akteuren aus der Region zusammen, auch das Landwirtschaftsministerium unterstützt das Projekt. So beschäftigen sich die Kinder aus Schweinfurt beispielsweise mit dem Viehhaltungsproblem eines Bio-Landwirts in Horhausen, die Münnerstädter Kinder kooperieren ebenfalls mit einem Landwirt, die Volkacher Klasse mit einem Bio-Winzer.
Ab dem nächsten Schuljahr sollen die Klassen zudem mit Partnerklassen in Afrika parallel an ähnlichen Projekten arbeiten und sich dann auf Englisch über die Fortschritte austauschen. "Die Idee ist, dass die Kinder von einander lernen und einen globalen Blick und ein Bewusstsein für Transformation entwickeln", sagt Kunkel.
Bedenken, die Projektarbeitszeit könne den Lehrplan beeinträchtigen, könne er leicht ausräumen, meint Kunkel. Das Vorhaben sei so abgestimmt, dass Lehrplaninhalte beispielsweise für die Fächer Mathe, Geografie und Englisch in der Praxis erarbeitet und geübt würden. Zudem würden Leistungsstand und kognitive Fähigkeiten der Kinder regelmäßig mit denen regelbeschulter Klassen verglichen. An der Evaluation beteiligen sich unter anderem fünf Lehrstühle der Universität Würzburg.
Kindern Ohnmacht nehmen und sie auf Umgang mit globalen Krisen vorbereiten
Neben den fachspezifischen und lernbezogenen Fähigkeiten soll das Projekt auch das Selbstbewusstsein der Schülerinnen und Schüler stärken und sie auf die Konfrontation mit globalen Problemen vorbereiten. "Diese Generation hat eine große, ohnmächtige Angst vor den globalen Krisen, allen voran die Klimakrise. Aber sie sind überhaupt nicht darauf vorbereitet, diese Krisen selbstwirksam anzupacken", sagt Oliver Kunkel. "Deshalb versuchen wir jetzt genau das: Die Kinder aus dieser Ohnmacht herauszuholen und sie aktiv an der Transformation zu beteiligen."
Ziel sei nun, das Konzept zu optimieren und auf andere Schulen bundes- und sogar weltweit zu übertragen. "Genau so wie der Klimawandel in exponentieller Weise voranschreitet, müssen wir auch die Gegenmaßnahmen exponentiell steigern. Das heißt, wir müssen ab nächstem Jahr hunderte solcher Reallabore haben, in Europa und Afrika. Und im Jahr darauf tausende, wenn wir noch eine Chance haben wollen", sagt Kunkel.
Um das zu erreichen, bereite man jetzt einen Förderungsantrag an die Europäische Kommission vor und habe das Projekt kürzlich auf der UN-Klimakonferenz in Ägypten vorgestellt. Ende des Jahres sei zudem eine große PR-Kampagne geplant.
Am Dienstag, 15. November, um 19.30 Uhr informiert der Verein "Wir-gestalten-Heimat" im Weinhaus Zimmermann in Ziegelanger bei einem öffentlichen Stammtisch mit dem Titel "Sind wir noch zu retten?" unter anderem über das Projekt.