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In der Schule wird falsch gelernt, findet der Zeiler Oliver Kunkel
In seinem Buch "Neugier entfesseln!" beschreibt der Gymnasiallehrer, wie der Unterricht der Zukunft aussehen könnte. Schule im Freien spielt dabei eine große Rolle.
Unterricht unter freiem Himmel? An immer mehr Orten, wie hier in Himmelstadt (Lkr. Main-Spessart) gibt es 'Grüne Klassenzimmer'. Auch das gehört zu Oliver Kunkels Ideen, wie er die Schule verbessern möchte.
Foto: Klaus Gimmler | Unterricht unter freiem Himmel? An immer mehr Orten, wie hier in Himmelstadt (Lkr. Main-Spessart) gibt es "Grüne Klassenzimmer". Auch das gehört zu Oliver Kunkels Ideen, wie er die Schule verbessern möchte.
Peter Schmieder
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:00 Uhr

Oliver Kunkel findet sich nicht gerne damit ab, dass die Welt ist, wie sie ist. In seinem Heimatlandkreis Haßberge hat der Zeiler in den letzten Jahren vor allem als Gründer des Klimaschutz-Vereins "Wir gestalten Heimat" viel Aufmerksamkeit bekommen. Doch auch das Thema Bildung spielt für Kunkel eine große Rolle, immerhin ist er selbst Gymnasiallehrer. So ist er der Überzeugung: Die Art, wie Schulen heute versuchen, Wissen zu vermitteln, widerspricht dem, was die Wissenschaft über Lernprozesse weiß. In seinem Buch "Neugier entfesseln!" beschreibt er, was sich seiner Meinung nach ändern müsste.

"Wir müssen die Wissenschaft des Gehirns mit einbeziehen: Wie lernen wir eigentlich?", beschreibt Kunkel seinen Ansatz. Zur Frage, wie das Lernen eigentlich funktioniert, hätten die Neurowissenschaften in den letzten zehn bis 20 Jahren viel herausgefunden. "Aber das ist nicht in den Schulen angekommen", meint Kunkel. So versucht der Autor, mit Neurowissenschaften und Kognitionspsychologie zu arbeiten.

Sinnvolle Realität statt kalter Technik

Einer der grundlegenden Ansätze, die Kunkel vertritt: Je mehr die Schülerinnen und Schüler selbst den Stoff entdecken, desto mehr bleibt letztlich hängen. In seinem Buch nennt Kunkel zahlreiche Beispiele, wie das in der Praxis möglich sein könnte, beispielsweise in der Mathematik. Wenn es darum geht, zu lernen, wie Zahlen gerundet werden, empfiehlt Kunkel, Zahlen auf Zettel zu schreiben, die in Abständen, die den Zahlenwerten entsprechen, im Raum liegen. So können Schülerinnen und Schüler auch räumlich sehen, welche Zahlen wie nah beieinander liegen und wann es sinnvoll ist, auf- oder abzurunden, statt einfach nur eine Regel auswendig zu lernen. "So ist Runden nicht kalte Technik, sondern sinnvolle Realität", heißt es dazu in seinem Buch.

Gymnasiallehrer Oliver Kunkel will mit seinem Buch "Neugier entfesseln!" aufzeigen, wie sich Bildung seiner Meinung nach verändern sollte.
Foto: Peter Schmieder | Gymnasiallehrer Oliver Kunkel will mit seinem Buch "Neugier entfesseln!" aufzeigen, wie sich Bildung seiner Meinung nach verändern sollte.

Auch Bewegung und Meditation sollen laut Kunkel eine Rolle spielen. "Sechs Stunden an einem Platz auf einem Stuhl sitzen? Es ist grotesk, dass wir uns daran gewöhnt haben, dass das Schule sein soll", sagt er. Dabei sei vieles von dem, was die Hirnforschung heute bestätige, sehr intuitiv – immerhin seien ja Menschen wie die Reformpädagogin Maria Montessori schon vor langer Zeit auf ganz ähnliche Ideen gekommen.

So gehört es auch zu Kunkels Wünschen, dass viel häufiger Unterricht unter freiem Himmel stattfindet. Gerade dort könnte er sich auch gut vorstellen, Lerninhalte bildlich zu vermitteln und das Ganze auch noch mit Bewegung zu verbinden.

Als Beispiel nennt er den Fremdsprachenunterricht und die Grammatikregeln für Konditionalsätze – also Sätze, die eine Fantasie beschreiben: "Wenn eine Sache anders wäre, dann würde sich auch etwas anderes ändern." In diesem Zusammenhang nennt Kunkel den Satz: "Wenn ich genug Geld hätte, würde ich ein Elektroauto kaufen." Seiner Vorstellung nach könnten die Lehrkräfte in der Natur einen Durchgang nutzen oder idealerweise eine Art Tor aufbauen. Eine Seite stellt die Realität dar, die andere eine Fantasiewelt. Wer im Unterricht einen Konditionalsatz sagt, geht dabei durch das Tor; nach dem Motto: Wer etwas erzählt, das nicht der Realität entspricht, der geht durch das Tor in die Fantasiewelt. Solche Veranschaulichungen sollen helfen, die Grammatikregeln zu verinnerlichen.

Gute Erfahrungen mit dem Waldklassenzimmer in Zeil

Und wo könnte dieser "Draußenunterricht" stattfinden? Oliver Kunkel berichtet, seine Frau, die in Zeil an der Mittelschule unterrichtet, habe mit dem dortigen Waldklassenzimmer gute Erfahrungen gemacht. Dort wurden in der Natur Bänke aufgestellt, um auch im Freien unterrichten zu können. Auch die Gestaltung entsprechender Plätze im Schulhof könnte sich Oliver Kunkel vorstellen. An dem Schweinfurter Gymnasium, an dem er selbst unterrichtet, gebe es solche Möglichkeiten noch nicht. Deshalb unterrichte er seine Klassen oft im Park nebenan.

Die Eröffnung des Zeiler Waldklassenzimmers: Für den Fall, dass das Wetter beim Unterricht im Freien einmal nicht mitspielt, gibt es auch einen Unterstand.
Foto: Christian Licha | Die Eröffnung des Zeiler Waldklassenzimmers: Für den Fall, dass das Wetter beim Unterricht im Freien einmal nicht mitspielt, gibt es auch einen Unterstand.

Auch die Art, wie Leistungsnachweise in der Schule erbracht werden, erachtet Kunkel als kontraproduktiv. Zwar gehe es nicht ohne Noten und Bewertungen, die darüber entscheiden, was Schülerinnen und Schüler später mit einem Bildungsabschluss anfangen können. Er finde es aber falsch, dass üblicherweise zum Abschluss eines Themas getestet wird, wenn die Motivation nicht mehr darin besteht, vielleicht noch aus Fehlern in einer Schulaufgabe zu lernen, sondern nur noch darin, die "Strafe einer schlechten Note" zu vermeiden.

So plädiert Kunkel für "viele kleine Tests", die jeweils für sich genommen nicht viel zählen, so dass die Schülerinnen und Schüler davor auch keine Angst zu haben brauchen. Dabei soll es auch erlaubt sein, Fehler zu machen und aus diesen zu lernen. Er will keine "angstbesetzte Schule, in der ich keine Fehler machen darf".

Gastbeiträge von namhaften Experten

Aber glaubt der Autor auch, dass es ihm gelingen kann, andere Menschen von seinen Ideen zu überzeugen? Immerhin ist die Elterngeneration der heutigen Schülerinnen und Schüler weitgehend mit dem klassischen Frontalunterricht aufgewachsen, ebenso wie die Lehrkräfte. Wie will er Menschen, in deren Köpfen sich die Vorstellung verfestigt hat, dass schulisches Lernen nicht ohne Leistungsdruck funktioniert, davon überzeugen, dass Unterricht auch ganz anders aussehen kann?

"Es ist ja keine Spielerei", sagt Kunkel. Was er in seinem Buch "Neugier entfesseln!" vorschlägt, sei alles wissenschaftlich belegt. Immerhin habe er sich für seine Forschung auch mit namhaften Experten ausgetauscht. Mit Professor Stefan Brunnhuber, Ökonom und Psychiater sowie Senator der Europäischen Akademie der Wissenschaften, und dem Pädagogik-Professor Stephan Ellinger haben zwei davon sogar Gastbeiträge zu seinem Buch verfasst.

Der Lockdown hat Schwächen des Bildungssystems gezeigt

Gerade jetzt sieht Kunkel einen guten Zeitpunkt, Schule neu zu denken. Denn durch die Corona-Krise und Homeschooling hätten sich deutlich die Defizite des aktuellen Bildungssystems gezeigt. "Das größte Defizit ist nicht der Lernstoff, der nicht gelernt wurde", sagt er. Als größeres Problem sieht er, dass in einer Zeit, in der das Denken nicht trainiert und das Hirn nicht gefordert wird, auch keine geistige Entwicklung stattfinde. Betroffen seien dadurch vor allem bildungsfernere Kinder.

"Ein Jahr lang ist die Entwicklung des Gehirns ausgefallen", sagt Kunkel. "Wir brauchen jetzt bessere Schulen, um defizite aufzuarbeiten." Seine Idee für den Moment: Der Grundlagenunterricht in Fächern wie Mathematik oder Fremdsprachen müsse sein. Aber in den "Nicht-Kernfächern" sei jetzt die Zeit für Projektarbeit anstelle einer straffen Einhaltung von Lehrplänen. "Wir dürfen nicht wieder zurück zum Alten."

Nötig dafür sei allerdings auch ein Wandel der Bildungspolitik. "Das Bildungssystem darf nicht militärisch hierarchisch aufgebaut sein, mit dem Kultusminister an der Spitze", sagt Kunkel.

 
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