Was eine Schülerin des Schweinfurter Bayernkollegs, einer staatlichen Schule für den zweiten Bildungsweg, erzählt, ist erschütternd. "Wir haben alle schon Rassismus erfahren", sagt sie und blickt zu ihren Mitschülern im Klassenzimmer, in dem sich das P-Seminar zur Unterrichtsstunde versammelt hat. Die junge Frau berichtet konkret von einer rassistischen, zutiefst menschenverachtenden Tat, die sie erst am Vortag mitten in Schweinfurt erlebt hat.
Ein älterer Mann hat sie, die ein Kopftuch trägt und dadurch mutmaßlich als Mensch mit Migrationshintergrund erkennbar ist, auf das Allerschlimmste ohne Anlass beschimpft. "Er nannte mich Abschaum", berichtet sie. "Und er sagte, Hitler hätte uns alle vergast."
Das P-Seminar "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage", geleitet von Studienrat Stefan Anschütz, brachte an diesem Tag zwei Informationswände, die in den letzten Wochen im Unterricht erarbeitet wurden, über die rechtsextremistische Partei "Der III. Weg" in der Aula der Schule an.
Kleinstpartei gründete Jugendorganisation
Anlass war ein Schreiben der bayerischen Informationsstelle für Extremismus (BIGE), das an alle Schulen in Franken geschickt wurde. Die Regierung beunruhigte nicht nur die Eröffnung des ersten bayerischen Partei- und Bürgerbüros der Kleinstpartei am 29. Oktober 2022 im Schweinfurter Stadtteil Oberndorf, sondern vor allem die dort nachfolgende Gründung des "Stützpunktes Franken" der Jugendorganisation "Nationalrevolutionäre Jugend" (NRJ). Die Parteijugend trat bis dahin nur in den neuen Bundesländern und Berlin organisiert in Erscheinung.
Regierung fürchtet Anwerbeversuche an Schulen
Die Errichtung stellt eine erste Struktur in Bayern bzw. Süddeutschland dar", heißt es im Schreiben an die Schulen. Es könne von Aktivitäten in Schweinfurt und ganz Nordbayern ausgegangen werden. "Offenkundiges Ziel der NRJ ist es, jugendliche Interessenten für die Partei zu gewinnen, diese zu indoktrinieren und in die Parteistrukturen einzubinden", warnt die BIGE. Wehrhaftigkeit, Körperkult, Volksgemeinschaft, Umweltschutz, alles meist im scheinbar sozialen Gewand – es sind die gängigen Themenfelder der extrem Rechten, die auch die NRJ anbietet.
Die Jugendlichen sollen mit gemeinsamen Unternehmungen wie Wandern, Survival-Aktivitäten oder Kampfsporttrainings geködert werden. "Es besteht daher die Möglichkeit, dass die NRJ an Schulen und deren Umkreis auf ihr Angebot aufmerksam macht und versucht, Nachwuchs zu rekrutieren", schreibt die BIGE in aller Deutlichkeit.
Schulamt begrüßt Initiative der Regierung
Die nächstgelegene Schule zur Oberndorfer III. Weg-Zentrale ist die nur 180 Meter entfernte Pestalozzi-Förderschule. Die Schulleitung erklärte sich nicht bereit, mit dieser Redaktion über das "Sensibilisierungsschreiben" der BIGE und die Partei "Der III. Weg" zu sprechen. Schweinfurts Schulamtsdirektorin Stefanie Schiffer begrüßt die Initiative der BIGE aber "außerordentlich", wie sie auf Nachfrage erklärt. "Eine Gefahr der Anwerbung besteht immer, deswegen steuern die Schulen dieser Gefahr niederschwellig durch präventive Aufklärung im Rahmen des Unterrichts entgegen", erläutert Schiffer.
Das Walter-Rathenau-Gynmnasium beschäftigte sich schon seit der Büro-Eröffnung des III. Wegs mit dem Thema, berichtet der stellvertretende Schulleiter Daniel Hub. Das Rathenauer legt einen hohen Wert auf eine tiefe und wiederholte unterrichtliche Auseinandersetzung, "um die Schüler für dieses Gedankengut zu sensibilisieren und hoffentlich auch zu immunisieren", so Hub.
Rechtsextremismus ist Thema im Unterricht
Nicht unmittelbar auseinandergesetzt hat sich die Wilhelm-Sattler-Realschule mit dem Schreiben, erklärt Schulleiter Georg Harbauer: "Es stand an mehreren Tagen sehr groß in der Presse. Es ist auch die Pflicht der Eltern, sich um solche Sachen selbst zu kümmern." Die Lehrkräfte wurden allerdings durchaus sensibilisiert – gerade die, die sich im Unterricht mit Rechtsextremismus auseinandersetzen (Religion, Geschichte und Sozialkunde).
Die Sattler ist "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" und Inklusionsschule, jeder Schüler der 9. Jahrgangsstufe muss an der Fahrt ins KZ nach Buchenwald teilnehmen, betont Harbauer: "Es würde sich ja komplett beißen, wenn wir rechtsextreme Einstellungen tolerieren würden." Ein großes Thema sind der III. Weg und Rechtsextremismus auch im Celtis-Gymnasium, allerdings sind dort keinerlei Vorfälle bekannt – wie bislang offenbar an allen Schweinfurter Schulen.
Schüler mit Migrationshintergrund haben Angst
Es ist aber nicht nur die Gefahr der Anwerbeversuche, die vom III. Weg, der offen rassistisch, ausländerfeindlich und militant auftritt, ausgeht, vor allem das Sicherheitsgefühl der vielen Schüler und Schülerinnen in Schweinfurt mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrung leidet massiv, wie der Blick ins Klassenzimmer des Bayernkolleg offenlegt. Die Schüler des P-Seminar befürchten, dass offene Beschimpfungen und Diskriminierungen zunehmen und noch mehr gesellschaftsfähig werden, wenn sich eine Partei wie der III. Weg sich in Schweinfurt niederlassen kann.
Ein Bayernkolleg-Schüler, der als Geflüchteter nach Deutschland kam, hat seit der Ansiedlung der rechtsextremen Kleinstpartei Angst, in Ärger zu geraten. Mit Freunden hat er seither beschlossen, nach 22 Uhr besser nicht mehr rauszugehen. Er befürchtet, ihr Aussehen und ihre Sprache könnten sie ins Visier von Rechtsextremen geraten lassen: "Es ist für mich nicht mehr so sicher, alleine in den Straßen Schweinfurts zu sein." Zusammen mit seinen Mitschülern möchte er auch künftig weiter über die Gefahren durch den III. Weg informieren.