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Mainberg
Haarige Geschäfte: Schloss Mainberg und das kurze Imperium des selbst ernannten Haar-Forschers Wilhelm Heger
Wilhelm Heger, der Mann, der mit Haarwuchsmitteln Geschichte schreiben wollte. Seine Methoden waren neu, sein Erfolg schien grenzenlos – bis die Justiz eingriff.
Haarforscher Wilhelm Heger (vorne links) hatte Mitte der 1950er-Jahre seinen Firmensitz auf Schloss Mainberg eingerichtet.
Foto: Archiv Thomas Horling | Haarforscher Wilhelm Heger (vorne links) hatte Mitte der 1950er-Jahre seinen Firmensitz auf Schloss Mainberg eingerichtet.
Irene Spiegel
 |  aktualisiert: 05.05.2024 02:38 Uhr

Es war eine der kürzesten, aber turbulentesten Phasen der Mainberger Schlossgeschichte: Im August 1954 pachtet der gebürtige Kroate und selbsternannte Haar-Forscher Wilhelm Heger mit seiner Frau Antonie die von der Familie Sachs verlassene Burg am Main. Wenig später wird er sie sogar kaufen. Seine Mission: Kahlen Köpfen wieder zu neuer Haarpracht verhelfen. Sein Wundermittel: Ein Injektionsgerät für die Kopfhaut und allerlei geheimnisvolle Mixturen und Salben.

Die Ära Heger währte nicht lange: Nur wenige Monate später musste sich der findige Geschäftsmann vor der Justiz verantworten, weil seine Haarkuren entgegen der vollmundigen Versprechungen keine Wirkung zeigten. Die Firma ging bankrott und Heger verschwand so schnell, wie er gekommen war.

Die illustre Geschichte des Schlosses ist in dem von Thomas Horling und Uwe Müller herausgegebenen Buch "Fürsten & Industrielle. Schloss Mainberg in acht Jahrhunderten" festgehalten. Regelmäßig initiiert auch der Förderverein Schloss Mainberg im Rahmen seiner Mitgliederversammlung Vorträge über die Geschichte des Schlosses, um die frühere Residenz der Henneberger ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Diesmal ging es um "Hegers haariges Wirtschaftswunder".

Der ehemalige Kreisheimatpfleger Karl-Heinz Hennig hat sich mit Hegers Aufstieg und Fall beschäftigt und auch mit Zeitzeugen gesprochen, unter anderem mit dem früheren Personalchef. Seine Recherchen konnte er aus gesundheitlichen Gründen aber nicht selbst vortragen. Zweiter Vorsitzender und Historiker Dr. Thomas Horling sprang stellvertretend ein.

Auch der Frankfurter OB war Kunde bei Heger

Wer war dieser kleine korpulente Mann, dessen Aufstieg als Getränkeproduzent in Jugoslawien begann? Erste Erfahrungen in der Kosmetikbranche hatte Heger in den Dreißigern in Paris gesammelt, wo er das "Institute Pharmaceutique de Paris" leitete. Als "Bio-Kosmetiker" kam er nach dem Krieg nach Deutschland und machte damals schon Bekanntschaft mit der Justiz. Der gleichermaßen geschäftstüchtige wie zwielichtige Heger ließ sich aber weder von Gerichtsprozessen noch Gefängnisaufenthalten stoppen. 

Heger entwickelte mit einem Stab an Fachkräften, Ingenieuren, Chemikern und Kosmetikern völlig neue Methoden und Präparate. Seine Erfindung: ein "Percutor", ein Injektionsgerät, mit dem man Medikamente unter die Haut bringen konnte. 1949 eröffnete er in Frankfurt sein erstes Percutor-Institut und versuchte medienwirksam auf dem kahlen Kopf des Frankfurter Oberbürgermeisters Walter Kolb wieder Haare wachsen zu lassen.

Vorher und nachher: Frankfurts OB Walter Kolb sollen Hegers Haarkuren geholfen haben. 
Foto: Archiv Thomas Horling | Vorher und nachher: Frankfurts OB Walter Kolb sollen Hegers Haarkuren geholfen haben. 

In allen größeren deutschen Städten eröffnete Heger Institute, von Frankfurt bis München, von Düsseldorf bis Baden-Baden, und entdeckte die Vorzüge des Versandhandels mit Ferndiagnose. Er verschickte vieltausendfach Haar-Boxen, ließ die zurückgeschickten Haarwurzeln in seinen Laboren untersuchen und verkaufte die passende Haarkur dazu. Das Geschäft brummte.   

Mit Schloss Mainberg, das zum damaligen Zeitpunkt auf dem Immobilienmarkt angeboten wurde, lief dem Münchener Geschäftsmann der adäquate Firmensitz über den Weg. Zwischen historischen Bildern und alten Waffen wurden chemische Laboratorien und Büros für 150 Beschäftigte eingerichtet. Selbstverständlich verlegte auch die Familie Heger ihre Privatgemächer von München nach Schloss Mainberg.

Waschkorbweise gingen Einschreibebriefe mit Geld ein

Das Unternehmen prosperierte. Massen an Menschen wollten Hegers Wundermittel nutzen. Waschkorbweise sollen Einschreibebriefe mit Geld aus Deutschland und dem Ausland auf dem Schloss eingetroffen sein. Im großen Rittersaal wurde eine Korrespondenzabteilung mit 45 Schreibmaschinenplätzen eingerichtet. Heger wurde zum reichen Mann. Sein Konto wuchs monatlich um 750.000 Mark. 

Hegers Erfindung, der Percutor, mit dem man Medikamente unter die Haut bringen konnte.
Foto: Archiv Thomas Horling | Hegers Erfindung, der Percutor, mit dem man Medikamente unter die Haut bringen konnte.

Es gab sogar den "Heger Plan 55-60", am Stadtrand von Schweinfurt eine 11.000 Quadratmeter große Fabrikanlage für bis zu 2500 Beschäftigte zu bauen. Heger wollte in Schweinfurt eine "kosmetische Weltindustrie" gründen und die "Vorherrschaft der französischen Kosmetik" brechen.

Auch nach außen zeigte man sich selbstbewusst. Diener in blauen Livrees standen am Schlagbaum vor dem Schloss. Im Hof waren Cadillacs und andere wertvolle Karossen aufgereiht. Im Januar 1955 kauft Heger das bis dahin nur angemietete Schloss für 500.000 Mark. Zeitzeugen haben Henning erzählt, dass Heger stets bar gezahlt habe. Das Geld soll in Waschkörben in mehreren Tranchen an die Firma Fichtel & Sachs übergeben worden sein. 

Nur kurze Zeit später zogen dunkle Wolken über Schloss Mainberg auf. Mehr und mehr geprellte Personen aus dem bis zu 40.000 Menschen umfassenden Kundenstamm verlangten wegen Erfolglosigkeit der Haarkuren ihr Geld zurück und erstatteten Anzeige. Im März 1955 erhob die Staatsanwaltschaft München Anklage wegen Betrugs, unlauteren Wettbewerbs und Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz. Ein Gutachter der Universität Münster nannte Hegers Institut ein "Schwindelunternehmen".

Heger wurde der Prozess gemacht

Die Klage hatte Folgen: Im August 1955 wurde ein Drittel des Personals entlassen. Im September stellte Heger Vergleichsantrag. Für die Familie wurde der feudale Wohnsitz zu teuer, man trennte sich vom Großteil der Beschäftigten und schloss die Tore von Schloss Mainberg. Mit dem Rest des Personals zog Heger nach München in eine Wohnung in der Leopoldstraße.

Der Prozess zog sich bis Ende des Jahres hin. Am 3. Dezember 1957 kam es zur Urteilsverkündung: Heger bekam dreieinhalb Jahre Gefängnis und 100.000 Mark Geldstrafe, seine Frau Antonie neun Monate Gefängnis mit fünfjähriger Bewährungsfrist und 5000 Mark Geldstrafe. Hegers Verteidiger ging in Berufung. Das abgemilderte Urteil lautete nun für Heger zwei Jahre Gefängnis auf Bewährung, Ehefrau Antonie ging straffrei aus.

Zur Begleichung der mittlerweile immensen Steuerschulden der Familie Heger an den Fiskus wurde Schloss Mainberg vom Finanzamt beschlagnahmt. Alles, was beweglich war, kam unter den Hammer. 555 Einzelteile wurden im November 1960 in Nürnberg zwangsversteigert. Der Schätzwert betrug 80.000 bis 100.000 Euro, der Verkehrswert lag doppelt so hoch.

Drei Anläufe waren notwendig, um auch für Schloss Mainberg einen neuen Besitzer zu finden. Heger wollte über einen Mittelsmann sogar erneut Schlossherr werden. Letztlich ging die Immobilie für 313.000 Euro an die Stadt Schweinfurt.

 
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