zurück
Schweinfurt
Geschichte der Schweinfurter Arbeiterbewegung (Teil 5): Schon 1945 gab es erste Betriebsratswahlen
Tarifauseinandersetzungen und Streiks prägen die Nachkriegszeit in Schweinfurt. Die Arbeitnehmer wollten am Konjunkturaufschwung partizipieren.
Der Marktplatz voller Gewerkschafter 1993. Schweinfurt war von der Krise der Metallindustrie hart betroffen.
Foto: Ruppert | Der Marktplatz voller Gewerkschafter 1993. Schweinfurt war von der Krise der Metallindustrie hart betroffen.
Karl-Heinz Körblein
Karl-Heinz Körblein
 |  aktualisiert: 08.04.2024 16:12 Uhr

Mit dem Einmarsch der amerikanischen Armee am 11. April 1945 war der Krieg für Schweinfurt beendet. Die Militärregierung berief unbelastete Deutsche in entscheidende Ämter. So wurde Otto Stoffers, Direktor der Firma Gademann, Oberbürgermeister, Karl Brand, der frühere Vorsitzende der KPD, übernahm das Ordnungsamt. Das alliierte Oberkommando verkündete im Juni, dass alle Formen freier wirtschaftlicher Vereinigungen und Zusammenschlüsse der Arbeiter zugelassen würden.

Mit den Erfahrungen aus der Weimarer Zeit, als die Zersplitterung der Arbeiterbewegung mit zur Niederlage im Kampf gegen rechts geführt hatte, waren Gewerkschafter schnell einig, dass es Einheitsgewerkschaften und Industriegewerkschaften geben sollte, so heißt es im Buch zur 125-jährigen Geschichte der Schweinfurter Gewerkschaften "Was uns bewegt" (Beitrag von Klaus Hofmann).

Zunächst entstanden jedoch betriebliche Gruppen und Betriebsräte. Erste Wahlen fanden am 20. November 1945 bei Fichtel & Sachs und sieben Tage später bei FAG Kugelfischer statt. Andere Betriebe folgten mit Wahlbeteiligungen von meist über 90 Prozent. Die Gründungversammlung des "Freien Gewerkschaftsbundes" hatte bereits am 4. November stattgefunden. Der 1. Mai 1946 wurde in Form einer Morgenfeier begonnen. Am Abend wurden die Beschäftigten zu einem Konzert der Bamberger Symphoniker in den Kugelfischer-Saal eingeladen. Zu dieser Zeit lag die Mitarbeiterzahl bei 2200, darunter waren 1830 Metaller, 120 Bauarbeiter und 250 Angestellte.

Bei SKF ist die Streikbereitschaft der Mitarbeiter besonders ausgeprägt. Als 1988 der Abbau von Löhnen und Sozialleistungen anstand gingen Tausende auf die Straße.
Foto: Laszlo Ruppert | Bei SKF ist die Streikbereitschaft der Mitarbeiter besonders ausgeprägt. Als 1988 der Abbau von Löhnen und Sozialleistungen anstand gingen Tausende auf die Straße.

Gerade in Schweinfurt war der Kampf gegen die Demontage der metallverarbeitenden Großbetriebe ein wichtiger Teil der Arbeit der Gewerkaschafter. Dabei halfen Kontakte zu amerikanischen und britischen Gewerkschaften, eine Totaldemontage zu verhindern.

Im Juli 1946 wurde die Industriegewerkschaft Metall Schweinfurt gegründet. Im Oktober folgten weitere Einzelgewerkschaften. IG Druck und Papier, IG Bauwerksverbund, IG Textil und Bekleidung, IG Chemie und Leder, IG Nahrungs- und Genussmittel, die Gewerkschaft geistig und kulturell Schaffender sowie die IG Holz.

Die Nachkriegszeit war für die Gewerkschaften zunächst damit geprägt, funktionierende Betriebsräte zu wählen. Sehr schnell fanden erste Tarifverhandlungen statt, die oft von Streiks begleitet waren. Auf einige soll an dieser Stelle ein Blick geworfen werden.

847 Metaller wurden fristlos entlassen

1950 hatte ein starker Konjunkturaufschwung eingesetzt, an dem auch die Arbeitnehmer partizipieren wollten. Bei den Tarifverhandlungen 1954 forderten die Gewerkschaften als Reaktion auf die Steigerung des Bruttosozialproduktes um zwölf Prozent zwischen zwölf und 15 Prozent höhere Löhne. Die Arbeitgeber reagierten heftig. Drohten unter anderem mit der Kündigung der Werkswohnungen. Damit waren sie in Schweinfurt erfolgreich. Der Streik brach nach zwei Tagen zusammen.

Georg Schäfer hatte eine Sonderlösung versprochen. Er und auch Willy Sachs nutzten ihr besonderes Verhältnis zur Belegschaft, heißt es in der Chronik des DGB ("Was uns bewegt"). Unter dem Strich gab es lediglich leichte Lohnerhöhungen. Gleichzeitig wurden 847 Metaller, die an den Auseinandersetzungen zwischen Streikposten und Streikbrechern beteiligt waren, fristlos entlassen. Die Verfahren vor den Arbeitsgerichten endeten überwiegend mit Vergleichen.

Wesentlich erfolgreicher waren die Gewerkschaften 1988, als bei SKF zur Ertragssteigerung Lohnkürzungen und der Abbau von Sozialleistungen angekündigt wurden. Ein Großteil der damals rund 6000 Beschäftigten beteiligte sich an einem 80-stündigen Streik. Am 19. März stärkten 8000 Menschen auf dem Marktplatz bei einer Kundgebung den Streikenden den Rücken.

Es kam schließlich zu einem Kompromiss, mit dem die Beschäftigten lediglich eine dauerhafte Reduzierung von Sozialleistungen schlucken mussten.

Hohe Arbeitslosenzahlen in den 1980er-Jahren

Die Gewerkschaften wurden in der 1980er-Jahren angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen gerade unter Jugendlichen am Arbeitsmarkt aktiv. Zusammen mit den Kirchen, der Stadt und der Volkshochschule gründeten sie das Arbeitsförderungszentrum (AFZ), mit dem damaligen Oberbürgermeister Kurt Petzold als Vorsitzenden. Bis zum Ende der 1980er-Jahre entwickelte es sich zu einem der größten Träger von Beschäftigungsmaßnahmen in der Region.

Start am Marktplatz. Gewerkschafter auf dem Weg nach Bonn.
Foto: IGM | Start am Marktplatz. Gewerkschafter auf dem Weg nach Bonn.

In den 1990er-Jahren weitete das AFZ seinen Tätigungsrum auf die gesamte Region und bis nach Thüringen aus. Diese Ausweitung mit zuletzt über 200 Beschäftigten, so heißt es in "Was uns bewegt", habe zu Managementproblemen geführt. Die rückgängige öffentliche Förderung und die Konkurrenz privater Unternehmen, die nicht nach Tarif bezahlten, führten letztlich zur Insolvenz des AFZ.

Ganz massiv gefordert waren die Gewerkschaften in der Strukturkrise 1992/93. Die großen metallverarbeitenden Unternehmen bauten Personal ab. FAG Kugelfischer verhob sich mit dem Kauf der ostdeutschen Unternehmen und des koreanischen Konkurrenten Hanwha und stand kurz vor der Pleite. Im Dezember 1992 war das Unternehmen mit 2,2 Milliarden DM verschuldet. Der bekannte Sanierer Kajo Neukirchen sollte das Unternehmen retten, durch Verkäufe von Teilen und den Abbau von Arbeitsplätzen. Das führte am 13. Februar zu einer Großdemonstration auf dem Marktplatz, zu der 13.000 Menschen kamen. Sie forderten "Stoppt den Arbeitsplatzabbau – Keine weiteren Verlagerungen - Die Region muss weiterleben". Weitere Demonstrationen und eine Menschenkette von den Großbetrieben SKF, Fichtel & Sachs und FAG Kugelfischer zum Arbeitsamt folgten.

Marsch nach Bonn

Bundesweites Aufsehen erregte der "Marsch nach Bonn". Vom 13. bis 21. Oktober machten sich 35 Männer und Frauen auf den Weg in die Bundeshauptstadt unter dem Motto "Kanzler, mach' die Augen auf – Schweinfurt wird zum Armenhaus". Für die Gewerkschaften wurde mit allen diesen Maßnahmen ein Beitrag geleistet, der dazu führte, dass die Stadt staatliche Hilfe zur Verbesserung ihrer Strukturpolitik erhielt. Dazu gehörten der Bau des Museums Georg Schäfer, die Außenstellen von Statistischen Landesamt und des Landessozialgerichtes, das Konferenzzentrum.

Mit dem Fußmarsch nach Bonn machten Gewerkschafter bundesweit auf die Probleme in Schweinfurt aufmerksam.
Foto: Hannes Helferich | Mit dem Fußmarsch nach Bonn machten Gewerkschafter bundesweit auf die Probleme in Schweinfurt aufmerksam.

In Zusammenhang mit Kugelfischer noch einmal stark gefordert waren die Gewerkschaften, als sich die neue Eigentümerfamilie Schaeffler 2010 mit dem Versuch der Übernahme von Continental über jedes Maß hinaus verschuldete und sogar über Staatshilfe nachdenken musste. Das Unternehmen suchte den Schulterschluss mit den Betriebsräten und richtete ein paritätisch besetztes Gremium ein, einem Aufsichtsrat vergleichbar. Das familiengeführte Unternehmen Schaeffler betrat damit absolutes Neuland. Das Ziel der Gewerkschaften, eine Beteiligung der Mitarbeiter am Kapital, wurde jedoch nicht erreicht.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Schweinfurt
Karl-Heinz Körblein
Agentur für Arbeit Haßfurt
Arbeiter
Bamberger Symphoniker
FAG Kugelfischer
Gewerkschafter
IG Metall
KPD
Konferenzzentrum Schweinfurt
Kurt Petzold
Personalabbau
Stadt Schweinfurt
Streikende
Tarifverhandlungen
Volkshochschule Schweinfurt
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top