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Schweinfurt
Geschichte der Schweinfurter Arbeiterbewegung (Teil 1): Der lange Weg zum Gewerkschaftskartell
Serie "Gewerkschaftsbewegung in Schweinfurt" (Teil 1). Die Organisation der Arbeiter setzte schon Mitte des 19. Jahrhunderts ein und wurde vom Kaiserreich bekämpft.
Mit der Industrialisierung begannen sich auch in Schweinfurt die Arbeiter zu organisieren. Im Bild die Gießerei bei Fichtel & Sachs
Foto: STB | Mit der Industrialisierung begannen sich auch in Schweinfurt die Arbeiter zu organisieren. Im Bild die Gießerei bei Fichtel & Sachs
Karl-Heinz Körblein
Karl-Heinz Körblein
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:49 Uhr

1848. Das Jahr steht für ein aufbegehrendes Bürgertum, das seine wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Erfolge auch staatlicherseits gewürdigt sehen will. Es ging um eine Verfassung, um Mitwirkung, um sicheres Recht. Wilhelm Sattler, der Schweinfurter Industrielle, engagierte sich in der Bewegung, in einer Revolution, die letztlich scheiterte.

In das Jahr 1848 und die folgenden fiel auch der Beginn der organisierten Arbeiterbewegung, auch in Schweinfurt. Der "März- und Arbeiterverein", der das Ziel hatte, "den materiellen, geistigen Zustand der Arbeiterklasse zu verbessern", darf durchaus als Vorläufer des Deutschen Gewerkschaftsbundes gesehen werden, der sich erst 1896 nach außenhin zeigte und der jetzt sein 125-jähriges Bestehen feiert und der seine Geschichte in einem Buch mit dem Titel "Was uns bewegt. Geschichte und Geschichten aus 125 Jahren Schweinfurter Gewerkschaften" zusammengefasst hat.

Schon zwei Jahre später wurde der Verein verboten, der jedoch unter dem Schutzmantel beispielweise von Gesangsvereinen weiterlebte.

1883 wurde der "Unterstützungsverein Deutscher Schuhmacher" gegründet, sechs Jahre später schlossen sich Metallarbeiter zusammen. Es folgten die Buchdrucker, die Brauer und Schneider. Gemeinsam gründeten sie im Frühjahr 1896 das Gewerkschaftskartell mit 250 Mitgliedern. Vorsitzender wurde Johann Feßler bis 1905, ihm folgte Fritz Soldmann. Noch im selben Jahr wurden sieben neue Verbände gegründet, so dass die Mitgliederzahl auf 832 anstieg. Das Kartell konnte höhere Löhne durchsetzen und "wurde zu einem Faktor, der im öffentlichen Leben nicht mehr zu übersehen war", wie es im Buch "Was uns bewegt" nachzulesen ist.

Fritz Soldmann gestaltete den Weg der Gewerkschaften in Schweinfurt wesentlich mit.
Foto: Archiv STB | Fritz Soldmann gestaltete den Weg der Gewerkschaften in Schweinfurt wesentlich mit.

Die Aufwärtsentwicklung wurde jedoch von der 1897 einsetzenden Wirtschaftskrise, die bis zur Jahrhundertwende dauerte, gebremst. 1913 zählten die Gewerkschaften in Schweinfurt schon 5200 Mitglieder. Der Organisationsgrad der Beschäftigten war hier mit circa 27 Prozent im Städtevergleich überdurchschnittlich hoch.

Das erklärt sich vor dem Hintergrund, dass sich mit der Industrialisierung seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Arbeitswelt grundlegend verändert hatte. Die Fabriken gewannen an Gewicht, zogen Arbeitskräfte vom Land in die Stadt, aus der Rhön und aus dem näheren Umland nach Schweinfurt. Das schlug sich auch in der Schweinfurter Einwohnerzahl nieder. 1871, als das Deutsche Reich gegründet wurde, lag sie knapp über 10.000, 1890 schon bei 12.000 und 1910 bei über 22.000.

Elf Stunden Arbeitszeit pro Tag waren die Regel - auch am Samstag

Die Arbeits- und Lebensbedingungen waren schwer. Elf-Stunden-Tage waren die Regel, auch am Samstag. Kinderarbeit war weit verbreitet. Das gesetzliche Mindestalter lag bis 1914 bei neun Jahren. Frauen wurden als Lohndrücker benutzt, heißt es in der Darstellung des DGB. Die Arbeiter in der Farbenindustrie litten unter Bleiweißkoliken, in der Metallindustrie belasteten Schleifstäube und Schmiermitteldämpfe die Gesundheit. Die Unfallgefahr war groß. Krankheit und Unfall bedeuteten: kein Lohn. Die Menschen waren auf die Armenfürsorge der Gemeinden oder freiwillige Hilfskassen angewiesen.

Einladung zur ersten großen Arbeiterversammlung in Schweinfurt am 14. März 1870.
Foto: STB Archiv | Einladung zur ersten großen Arbeiterversammlung in Schweinfurt am 14. März 1870.

1869 beschloss der bayerische Landtag immerhin ein Gesetz zur öffentlichen Armen- und Krankenpflege. In den 1860er-Jahren gründeten Gewerkschafter eigene Hilfskassen. Mit den Bismarck´schen Sozialistengesetzen von 1878 bis 1890 ("Gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie"), die sozialdemokratische Arbeitervereinigungen und Parteien verbot, wurden die öffentlichen Aktivitäten unmöglich gemacht. Sie blühten jedoch in der Arbeiterschaft weiter.

In Schweinfurt war Fritz Soldmann in der Selbstverwaltung der Ortskrankenkasse die entscheidende Persönlichkeit. Als Beschäftigter der Kasse war er von 1905 bis 1910 ehrenamtlicher Vorsitzender des Gewerkschaftskartells und ab 1914 erster hauptamtlicher Arbeitersekretär in Schweinfurt.

Die Gewerkschafter gründeten eigene Versicherungen, damit ihre Mitglieder wenigstens etwas besser sozial abgefedert waren.
Foto: Archiv DGB | Die Gewerkschafter gründeten eigene Versicherungen, damit ihre Mitglieder wenigstens etwas besser sozial abgefedert waren.

Um der Arbeiterbewegung die Spitze zu nehmen, gründete der Reichskanzler die Sozialversicherung. 1894 wurde die Krankenversicherung für Arbeiter eingeführt. Die Versicherung konnte von Gemeinden, Fabriken oder Innungen eingerichtet werden. 1885 waren etwa zehn Prozent und 1911 schon rund 18 Prozent der Bevölkerung in 22.000 Krankenkassen versichert.

Spärliches Krankengeld von der Kasse und kein Anspruch auf Lohnfortzahlung

Dies war jedoch bei weitem nicht ausreichend. Dazu ein Beispiel aus der Chronik des DGB: "Georg ist Arbeiter in einer Schweinfurter Fabrik. Er wird 1896 schwer krank und kann mehrere Wochen lang nicht arbeiten. Die Kosten der ärztlichen Behandlung und der Arzneimittel werden zwar von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen, Anspruch auf Lohnfortzahlung gegenüber dem Arbeitgeber hat er aber nicht. Ab dem 3. Tag der Krankheit bekommt er von der Krankenkasse Krankengeld, aber nur in Höhe von 50 Prozent des üblichen Einkommens eines Tagelöhners, und zwar für höchstens 13 Wochen. Das ist die Kaufkraft für 1 kg Brot, 1l Milch, 100 g Schweinefleisch, 1 kg Kartoffeln und etwas Butter. Sonstige Ausgaben, wie die Wohnungsmiete, können damit nicht bezahlt werden."

 
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