Den Gewerkschaften ging es nie allein um die Verbesserung der Arbeitssituation. Um die Menschen mit günstigen Lebensmitteln zu versorgen, wurde bereits 1895 die Genossenschaft "Konsumverein" gegründet. Als erste in Bayern erwarb sie in der Feldgasse ein eigenes Gebäude erwarb und betrieb ein Zentrallager, eine Bäckerei, einen Brennstoffhandel und eine Bierabfüllung. Das Projekt war durch den Großeinkauf so erfolgreich, dass der Verein zuletzt 16 Filialen betrieb.
Es war aber nicht allein der Einkauf zu Großhandelspreisen, der die Waren erschwinglich machte. Die Genossenschaft war nicht gewinnorientiert, verteilte Überschüsse nicht am eingesetzten Kapital orientiert, sondern per Rückerstattung auf die Einkäufe. 1910 stieg der Konsumverein in den Wohnungsmarkt ein. Nach dem Beginn der Bebauung der Gartenstadt errichtete er einen "Konsum".
Ein erhebliches Problem war um die Jahrhundertwende auch die Wohnungsnot, ausgelöst durch die Industrialisierung, die zu einem massenhaften Zuzug der Landbevölkerung führte. Stichwort "Landflucht".
In 18 Jahren wuchs Schweinfurt rasant um 12.700 Einwohnerinnen und Einwohner
Zwischen 1900 und 1918 stieg die Einwohnerzahl Schweinfurts von 15.300 auf rund 28.000. Laut einer Untersuchung der Regierung von Unterfranken aus dem Jahr 1896 hatten "53 Prozent der Schweinfurter Arbeiterwohnungen nur ein Zimmer, ein Drittel davon ohne Küche, 40 Prozent hatten zwei Zimmer, lediglich sieben Prozent hatten drei bis vier Zimmer. Ein Fünftel besaß unter 15 Quadratmeter Wohnfläche (Andra Brandl: "Schweinfurt und seine Gartenstadt)".
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Rückkehr der überlebenden Soldaten und Gefangenen, stieg die Wohnungsnot weiter an. Viele Menschen hatten keine eigene Wohnung, sie wurden zu "Schlafgängern", mieteten sich stundenweise in fremden Wohnungen ein Bett, teilten es quasi im Schichtbetrieb. Die Vermieter waren einerseits auf diese Einnahmen angewiesen, gleichzeitig verschlechterten sich ihre Wohnverhältnisse, was zu Spannungen in den Familien führte.
Fichtel & Sachs baut Werkswohnungen, doch das reicht bei weitem nicht aus
Zwar hatte beispielsweise das Unternehmen Fichtel & Sachs mit dem Bau von Werkswohnungen begonnen. Das reichte jedoch nicht aus. Mit der Gründung des "Bauvereins" im Jahr 1917 setzte die Arbeiterbewegung einen eigenen Schwerpunkt. Es sollte Wohnraum für Geringverdiener geschaffen werden. Die Genossenschaftsbewegung hatte ihre Wurzeln in England: Menschen schlossen sich zusammen, um das wirtschaftliche Risiko auf mehrere Schultern zu verteilen.
Ferner sollte mit der Gartenstadt ein Großprojekt zur Linderung der Wohnungsnot angestoßen werden. Bereits Ende des Jahres zählte die Genossenschaft 108 Mitglieder. Voraussetzungen zum Beitritt war die Einlage von 200 Mark.
Was die Idee der Gartenstadt ist und wo sie ursprünglich herkommt
Die Idee der Gartenstadt war ebenfalls in England um 1900 entstanden. Wohnen, Arbeiten und Kultur sollten nahe beieinander sein. Grund und Boden für die Gartenstädte sollten in genossenschaftlichen Besitz sein. Die erste Gartenstadt entstand in Letchworh.
Die Idee wurde schnell in Deutschland aufgegriffen, 1902 begann die "Deutsche Gartenstadtgesellschaft" für die Idee zu werben. 1907 wurde der "Deutsche Werkbund", der Zusammenschluss von Kunstschaffenden, Unternehmern und Architekten, gegründet. Zum Vorsitzenden wurde der Schweinfurter Theodor Fischer gewählt. Der Werkbund arbeitete auch an Plänen für Gartenstädte.
1920 beginnt in Schweinfurt der Bau der Gartenstadt
In Schweinfurt wurde 1920 mit dem Bau der Gartenstadt nach den Plänen Fischers begonnen. Ursprünglich wollte er dem neuen Stadtteil ein eigenes Zentrum mit Marktplatz und Brunnen und einer theaterartigen Begrenzung zu geben. Diese Idee wurde jedoch wohl aus Kostengründen aufgegeben.
Die Erschließung erfolgte in Zusammenarbeit mit der Stadt unter anderem über den Bau der Straße Schelmsrasen-Galgenleite. Die Wasserleitung wurde vom Friedhof her verlegt, Gas und Strom kamen über die Niederwerrner Straße.
Die ersten 36 Einfamilienhäuser entstanden unter anderem in der Georg-Groha-Straße: rund 90 Quadratmeter Wohnraum mit mehreren Schlafräumen, Wohnküche, Speisekammer, Waschküche, Keller, Dachboden und Toilette. Dazu kamen ein kleiner Nutzgarten und ein Stall für Kaninchen oder Hühner. Damit war einerseits ein Teil der Selbstversorgung gesichert, andererseits auch Raum zur Erholung geschaffen. Nach und nach wurden auch Mehrfamilienhäuser sowie Geschäfte (Metzger, Bäcker) und Gasthäuser errichtet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg schufen auch der Verband der Kriegsgeschädigten und der Heimkehrerverband genossenschaftlichen Wohnraum.
Einwohnerzahl der Gartenstadt steigt schnell auf 5000
Dadurch stieg die Einwohnerzahl in der Gartenstadt schnell an. Lebten dort 1920 etwa 200 Menschen, waren es 1953 fast 5000. "Dennoch behielt der Stadtteil seinen Charakter als Arbeitersiedlung. Im Jahr 1966 waren 60 Prozent der Bürger dort als Arbeiter tätig" (Brandl). Als der Bauverein 2017 sein 100-jähriges Bestehen feierte, hatte er 3200 Mitglieder und rund 1800 Wohnungen.