Wilhelm Sattler muss ein ungewöhnlicher Mann gewesen sein: geschickter Unternehmer mit Mut zum Risiko, kluger Erfinder, weitblickender Politiker, Kunstliebhaber, „vergnügter Ehemann“, der mit seiner Catharina, geborene Geiger, 14 Kinder hatte und bei all dem noch Zeit und Energie für zahlreiche öffentliche Ämter hatte. Am 15. Juni vor genau 150 Jahren ist er im Alter von 75 Jahren auf Schloss Mainberg gestorben. Begraben wurde er im Privatfriedhof der Familie Sattler, der gleich neben dem Gemeindefriedhof von Mainberg liegt.
Nach seinem Tod gab Catharina beim Bildhauer Michael Arnold aus Bad Kissingen ein Denkmal in Auftrag, das ursprünglich oben im Garten des Schlosses aufgestellt wurde und wahrscheinlich 1901, als das Inventar des Schlosses versteigert wurde, neben die Grabstellen versetzt wurde. Das vermutet Hans Graetz, direkter Nachkomme der Sattlers, der sich intensiv mit der Geschichte der Familie auseinandersetzt und im Herbst ein großes Familientreffen organisiert.
Aber zurück zu Johann Christian Wilhelm Sattler, wie der später so Erfolgreiche offiziell hieß. Er wird am 13. Mai 1784 in Kassel in eine Kaufmannsfamilie geboren. Nach einer Lehre im Kolonialwaren- und Drogenhandel in Hannoversch-Münden tritt er 1805 als Geschäftsführer in die Bleiweißfabrik des Johann Georg Gademann in Niederwerrn ein. In diesem Jahr lernt er die 16-jährige Catharina Geiger im Atelier ihres Vaters, des Schweinfurt Malers Conrad Geiger kennen. Die beiden verlieben sich sofort ineinander und lassen sich auch vom anfänglichen Widerstand beider Elternpaare nicht von ihrer Liebe abbringen.
Catharina, die künstlerisch Begabte, illustriert diese Liebesgeschichte in einem Tagebuch. Ein Jahr später, am zweiten Pfingsttag 1806, verloben sich der damals noch vermögenslose Kaufmann und die 17-Jährige im romantischen Park bei Euerbach, die Hochzeit findet drei Jahre später statt. Aus mehreren Texten über die beiden geht hervor, dass Catharina ihren Mann von Anfang an unterstützte, auch schon vor der Eheschließung, als er mit seinem Freund, dem Chemiker und Apotheker Friedrich Wilhelm Ruß, Versuche zur Farbherstellung unternimmt. Dazu erwirbt Wilhelm ein Haus mit Garten in der Kirchgasse 25 und eröffnet dort sein erstes Unternehmen. Seinen ersten Erfolg landet er 1810 mit der Erfindung von Sago, einer Stärke aus Kartoffelmehl, das den deutschen Markt erobert und während der von Napoleon I. verhängten Kontinentalsperre gewinnbringend nach Frankreich exportiert wird.
Parallel entwickelt Sattler Farben. 1813 kauft er die Waldmühle in Schonungen und errichtet auch dort eine Farbenfabrik. Ein Jahr später gelingt die Herstellung des „Schweinfurter Grün“, eine leuchtende Farbe, die wegen des hohen Arsengehalts hoch giftig ist. Die Farbe ist ein großer Erfolg, auch in Russland, China und Übersee, und bringt Sattler Wohlstand. Die Rückstände freilich verseuchen den Boden und bilden bis heute einen der größten Altlastenfälle in Bayern.
1822 kauft der Fabrikant das völlig heruntergekommene Schloss Mainberg, das jahrelang leer stand und nur noch „von Eulen, Ratten und Mäusen bewohnt wird“, wie er selbst schreibt. Menschen aus der Umgebung hatten sich von der einst so prächtigen Burg mit ihrem wuchtigen Turm und dem dreigiebeligen Haupthaus Baumaterial gesichert. Wilhelm Sattler zahlt 2700 Gulden an das Königreich Bayern, dem der Bau kurz vorher zugefallen war und macht sich an den Wiederaufbau. Er investiert viel und richtet im Schloss auch eine Tapetenfabrik ein, es soll die erste in Bayern gewesen sein. 600 Rollen verlassen täglich die Mauern. „Ebenso geschmackvoll als die ältesten Pariser Fabriken und überdies wohlfeiler zu liefern“ rühmt Sattler seine Produkte gegenüber König Ludwig I. an, wie ihn Historiker Thomas Horling in seinem Werk „Mainberg. Das Dorf und sein Schloss“ zitiert. Später werden hier auch Farben hergestellt.
Das Schloss ist nicht nur Produktionsstätte. Wilhelm und Catharina leben hier inmitten ihrer beeindruckenden Kunstsammlung. „Unter anderem hat das kunstliebende Paar Anteil an der Wiederentdeckung des über Jahrhunderte vergessenen Würzburger Bildhauers Tilman Riemenschneider“, schreibt Kulturamtsleiter Erich Schneider in einer Jubiläumsschrift für den Schweinfurter Liederkranz, mit dem der Name Sattler eng verbunden ist.
1827 kauft Wilhelm Sattler das Schweinfurter Zeughaus und nutzt es als Speicher. 1829 gründet er sein letztes Unternehmen, die Steingutfabrik im Schloss Aschach. Gegen Ende der 1820er Jahre beschäftigt er bis zu 460 Mitarbeitern, ein Sechstel aller industriellen Arbeitsplätze in Unterfranken.
Mit gleicher Energie widmet er sich seinen vielen öffentlichen Ämtern. Von 1824 bis 1846 gehört er in Schweinfurt dem Kollegium der Gemeindebevollmächtigten an, ab 1840 als Vorstand. In dieser Funktion engagiert er sich unter anderem für die später nach ihm benannte Realschule, für den Bau von Straßen und die Errichtung eines modernen Spitals. Als Mitglied des Bayerischen Landtags (1845–1848) setzt er sich für den Anschluss von Schweinfurt ans Eisenbahnnetz und für die Einführung der Briefmarke ein. In den Zeiten des Vormärz setzt er mit seinem Engagement für die Gleichberechtigung aller Staatsbürger, auch der jüdischen Bevölkerung, ein deutliches Zeichen.
1849 zieht er sich aus allen öffentlichen Ämtern zurück. Hans Graetz schreibt, dass sich Sattler fortan philosophisch-weltanschaulichen Problemen widmet und sich mit den Naturwissenschaften und der Geschichte beschäftigt. „Sein Leben endet am 15. Juni 1859 nach kurzer Krankheit auf seinem geliebten Schloss Mainberg, nachdem er auf eigenen Wunsch das Fest der Goldenen Hochzeit mit vielen Verwandten und Freunden noch fröhlich feiern konnte.“
Wie Wilhelm und Catharina ausgesehen haben, zeigen zwei Porträts, die Sattler 1837 auf dem Höhepunkt seiner Karriere von Georg Friedrich Adolph Schöner hat anfertigen lassen. Der Maler war der Neffe von Conrad Geigers Frau Johanna Barbara. Die Gemälde hingen einst im Bildersaal auf Schloss Mainberg und heute in einem Raum im Museum Altes Gymnasium in Schweinfurt, der den Familien Sattler und Geiger gewidmet ist. Hier ist auch die Zeichnung der verliebten 16-jährigen Catharina ausgestellt.
Das Stichwort
Sattler-Altlast in Schonungen Der Name von Wilhelm Sattler taucht heute zuerst im Zusammenhang mit seinem unerwünschten Erbe in Schonungen auf. Im Boden des Geländes, auf dem sich heute die Werling- und Sattlerstraße befinden, finden sich Blei, Arsen und andere hochgiftige Rückstände aus der Farbenproduktion. Seit etwa 80 Jahren stehen auf dem ehemaligen Fabrikgelände Wohnhäuser. Entdeckt wurden die Hinterlassenschaften im Jahr 2000. Etwa 100 Grundstücke in Besitz von Privatleuten und der Gemeinden stehen im Verdacht, verseucht zu sein: die größte bewohnte Altlast Bayerns. In der vergangenen Jahren wurde vor allem um die Verantwortlichkeit gestritten. Weil es für Sattlers Unternehmen keinen Rechtsnachfolger gibt, müssen laut Gesetz die heutigen Besitzer für die Verseuchung gerade stehen; viele fürchteten um ihre Existenz. In einem bislang einzigartigen Verfahren ist es gelungen, dass die Privatleute nur einen Teil der auf 33 Millionen Euro veranschlagten Sanierungskosten tragen müssen: 13,33 Euro pro Quadratmeter. Mit der Entdeckung der Altlast hat sich in Schonungen die „Solidargemeinschaft umweltbewusster Bürger“ (SuB) gegründet, die die Betroffenen vor allem gegenüber Behörden vertritt. Eigentlich hatte man damit gerechnet, dass möglicherweise noch in diesem Jahr die ersten Arbeiten begonnen werden können. Weil das Verfahren aber nur schleppend vorangeht, gibt es bis dato noch keinen Sanierungsplan. Die Menschen werden noch einige Zeit mit Sattlers Erbe leben müssen. mjs