Ende April 2017 wurde das Poetikum in Oberlauringen mit einem großen Bürgerfest eröffnet. Wie hat sich das deutschlandweit einzigartige Museum, in dem der vor 153 Jahren gestorbene Dichter Friedrich Rückert im Mittelpunkt steht, entwickelt? Sehr gut, kann man nach etwas mehr als zwei Jahren Bilanz ziehen.
Der Friedrich-Rückert-Arbeitskreis hat sich ehrenamtlich des Kleinods angenommen und kümmert sich bis heute mit Leidenschaft um "seinen" Rückert und das Poetikum. Mehr als 2000 Besucher wurden bisher gezählt, für ein solches Museum ein beachtlicher Wert.
Wie schafft man es, dass Poesie aus dem 19. Jahrhundert relevant für den modernen multimedialen Museumsbesucher aus dem 21. Jahrhundert wird? Wie zeigt man, dass das, was einst den Weltpoeten Friedrich Rückert in Zeiten der Revolution im 19. Jahrhundert beschäftigte, heute auch aktuell ist? Wie kann man zeigen, dass wir trotz Internet, Smartphone und Sozialen Medien von diesem besonderen Mann etwas lernen können? Man baut sich ein Poetikum und setzt auf die Bürger, die in Oberlauringen "ihrem" Rückert schon immer besonders nahe waren.
Der Marktgemeinde und Dagmar Stonus vom Büro FranKonzept ist mit dem Poetikum etwas Einzigartiges gelungen, vor allem weil sich die Bürger im Rückert-Dorf Oberlauringen mit dem Dichter identifizieren. Einen Rückert-Weg gibt es schon lange, eine Rückert-Pforte, einen Rückert-Garten. An einigen Häusern haben die Besitzer Verse aus Rückert-Gedichten an die Fassade gemalt und die 15 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer des Rückert-Arbeitskreises haben sich gerne beteiligt, als es darum ging, das Poetikum mit Leben zu füllen.
Bürgermeister Friedel Heckenlauer weiß, was für ein Glücksfall diese Konstellation ist. "Ich bin dankbar und begeistert über diesen aktiven Arbeitskreis", so Heckenlauer. Die Besucherzahlen des grundsätzlich nur an Sonn- und Feiertagen zwischen 1. Mai und 31. Oktober geöffneten Museums sprächen für sich: 1000 waren es im ersten Jahr, 800 im zweiten und auch in diesem Jahr bewegt man sich in Richtung 800, zumal noch die unterfränkischen Kulturtage mit einem vielfältigen Programm auch im Poetikum anstehen.
Die ehrenamtlichen Führerinnen und Führer des von Hans Derleder geleiteten Arbeitskreises arbeiten im übrigen nur für ein "Vergelt's Gott": Alle Einnahmen aus den Museumsbesuchen und Führungen, die man auf Anfrage auch gerne unter der Woche ermöglicht, gehen an die Gemeinde, die damit die Gerhard-Stich-Stiftung zur Förderung des Poetikums unterstützt.
Zahlreiche Gruppen kamen schon, Bürgermeister Heckenlauer berichtet schmunzelnd von einem kleinen Stau in Oberlauringen, als gleich zwei Busse kamen. Meist gibt es eine Führung am Rückert-Rundweg und im Anschluss den Besuch des Poetikums. Da seien viele Besucher überrascht über die Vielfalt, berichtet Hans Mager. Unter anderem seien auch Mitglieder der noch lebenden Rückert-Verwandtschaft in Oberlauringen gewesen, "die waren begeistert und haben Sachen entdeckt, die sie noch gar nicht wussten", erinnert sich Mager.
Es seien auch Besucher aus dem tschechischen Olmütz gekommen, wo der Komponist Gustav Mahler einst Kapellmeister war. Mahler vertonte Rückerts Kindertotenlieder, die im Poetikum zu hörenden Aufnahmen sind ergreifend. Die Oberlauringer freuen sich über die viele Aufmerksamkeit, doch sie haben ihren eigenen Blick auf Friedrich Rückert: "Für uns", erzählt Bernd Haas, der wie Mager im vor vielen Jahrzehnten auch als Schulhaus genutzten Poetikum noch unterrichtet wurde, "ist Friedrich Rückert ein Heimatdichter und nicht der Weltpoet." Geprägt wurden die meisten Oberlauringer der Generation 60 plus vor allem von ihrem alten Dorfschullehrer Hans Heimstädt, der Rückerts Gedichte und sein Lebenswerk lehrte.
Von 1792 bis 1802 lebte Friedrich Rückert vor Ort
Friedrich Rückert wird auch der fränkische Goethe genannt, er sprach 44 Sprachen und begründete die Orientalistik. In Oberlauringen lebte der Sohn des damaligen Amtmannes von 1792 bis 1802, mit 14 ging er nach Schweinfurt ans Gymnasium. Das Poetikum fußt in erster Linie auf Rückerts Dichtung. Die 1837 veröffentlichten 40 Gedichte aus dem Band „Erinnerungen aus den Kinderjahren eines Dorfamtmannsohns“ schrieb der Dichter 1829.
Natürlich beschränkt sich das Museum nicht nur auf die Jugend, das wäre viel zu kurz gegriffen. Rückerts vielfältiges Wirken als Poet, Gelehrter und Orientalist wird unter dem Motto „Die Welt ist mir nichts mehr als Stoff der Poesie“ dargestellt. Dadurch eröffnet sich auch der Dichterkosmos, der Rückert in allen Facetten als Familienmensch und politischen Mahner zeigt. "Weltpoesie allein ist Weltversöhnung", war sein Credo.
Das Credo des Arbeitskreises im Poetikum ist ein ebenso Gutes: "Es macht uns einfach Spaß", sagt Liselotte Müller. Die meisten Mitglieder seien Rentner, hätten Zeit und seien mit Rückert aufgewachsen. "Für uns ist es keine Last." Darüber freut sich auch Friedel Heckenlauer, denn das Poetikum war auch als Anstoß gedacht, dass Oberlauringen als Dorf weiter eine Zukunft hat. "Ohne das Poetikum hätte es Stillstand gegeben, doch jetzt sehen wir auch bei Privatleuten, dass wieder mehr alte Häuser hergerichtet werden", so Heckenlauer.
Die Arbeitskreis-Mitarbeiter sprühen im übrigen vor neuen Ideen, die jüngste kann man am 22. September im Rahmen der unterfränkischen Kulturtage miterleben. Da gibt es eine inszenierte Lesung in historischen Kostümen, die man sich in Maßbach und Poppenlauer besorgte und für die man fleißig probt. "Wir tragen nicht nur die Gedichte vor, wir spielen die Szenen aus den Gedichten des Dorfamtmannsohnes", erzählt Christa Kebschul voller Vorfreude.