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Es rückert in Schweinfurt
Ein Rundgang mit Gustav Mahler im Ohr und dem Wirken eines wahren Weltpoeten vor Augen
Oliver Schikora
 |  aktualisiert: 27.04.2023 01:35 Uhr

Es ist sicher ungewöhnlich, aber absolut ratsam: Wer mit Haut und Haaren sofort in den Rückert-Kosmos in der Ausstellung in der Kunsthalle im ehemaligen Ernst-Sachs-Bad eintauchen möchte, fängt am besten am Schluss an. Also in der großen Halle gleich nach hinten laufen zu dem Schaukasten mit den Liedtexten. Dort findet sich natürlich auch eine der berühmtesten Vertonungen Rückert'scher Gedichte, „Um Mitternacht“, 1901 von Gustav Mahler bearbeitet. Audioguide auf Nummer 645, Kopfhörer auf, und los geht's. Mit Mahlers Musik im Ohr den Blick durch die Ausstellung schweifen lassen und genießen.Gänsehaut garantiert bei dieser schlicht grandios zu nennenden musikalischen Fassung eines der berühmtesten Gedichte Rückerts aus der 428 Gedichte umfassenden Reihe „Kindertodtenlieder“, in der er den Tod von Luise und Ernst, zwei seiner zehn Kinder, betrauert, die im Winter 1833/34 an Scharlach starben.

Kurator Rudolf Kreutner und seinem Team ist mit der Ausstellung „Der Weltpoet – Friedrich Rückert, Dichter, Orientalist, Zeitkritiker“ ein sehenswerter Meilenstein gelungen, der nicht nur für Schweinfurter, die mit Rückert in der Schule aufgewachsen sind, ein Muss ist. Zum 150. Todestag, der sich am 31. Januar jährte, ist in der Kunsthalle eine umfassende Werkschau mit rund 400 Exponaten entstanden, die nicht nur Rückerts Wirken als Weltpoet vorbildlich ins Bild setzt, sondern auch den Kontext unruhiger Zeiten im 19. Jahrhundert mit berücksichtigt.

Oberbürgermeister Sebastian Remelé bemerkte bei der offiziellen Eröffnung schmunzelnd, „in anderen Städten rockt es, in Schweinfurt rückert es“. Gemeint war damit nicht nur die Ausstellung, sondern das gesamte Drumherum bis in den Sommer mit Lesungen, Führungen und weiteren Ausstellungen wie zum Beispiel der im Museum Georg Schäfer.

Der Nukleus des Rückert-Kosmos ist aber in der Kunsthalle. Mit Mahler im Ohr schweift der Blick des Besuchers durch die in fünf Teile gegliederte Ausstellung, in der Rückerts Leben von der Kindheit in Oberlauringen über die Studienjahre in Würzburg, sein Wirken in Erlangen an der Universität als Begründer der modernen Orientalistik wie später in Berlin und seine letzten Jahre auf seinem Gut in Neuses bei Coburg beschrieben wird. Unweigerlich schaut man beim Rundgang nach oben an die Decke, denn im Lichtschein zeigen sich Schriftzeichen aus allen 44 Sprachen, die Rückert konnte. Ein nettes Gimmick, das zum Wesentlichen führt, Rückerts Mantra: „Weltpoesie ist Weltversöhnung.“ Ein Satz, der im unruhigen 19. Jahrhundert mit der deutschen Märzrevolution, dem deutsch-deutschen Bruderkrieg, der Industrialisierung, der Restauration und dem Biedermeier genauso viel Gültigkeit hatte wie erstaunlicherweise im 21. Jahrhundert, das von ebenso großen Umwälzungen geprägt ist, wie sie einst Friedrich Rückert erlebte.

Für den Autodidakten, der dank seines fotografischen Gedächtnisses Sprachen meist binnen drei Monaten lernte, war völlig klar, dass man andere Kulturen nur verstehen kann, wenn man fremde Sprachen beherrscht und die Literatur und Kultur anderer Länder sich so erschließt. Gerade dieser Teil der Ausstellung, in dem beschrieben wird, wie Rückert zum Beispiel Arabisch, Persisch, Sanskrit oder Hebräisch lernte, ist sehenswert. Der Rückert-Kenner und Festredner bei der Eröffnung, Stefan Weidner, hat die Dichtung des Weltpoeten prägnant beschrieben: „Mit Rückerts Poesie können wir unsere aufgeblasene Wirklichkeit mit einem lauten Knall zum Platzen bringen.“

Ein bedenkenswerter Rat, vor allem heute, wo einem die Orient-Faszination Rückerts total fremd ist. In einer Zeit, in der man mit dem Orient, mit Arabien, mit Persien, mit dem Nahen Osten, mit dem Islam meist nur seine hässliche, tagespolitische Fratze aus dem Fernsehen verbindet, bietet die Rückert-Ausstellung eine rundum gelungene Oase des Nachdenkens. Und neue Erkenntnisse: Rückert war nämlich auch ein Mahner und vehementer Kritiker der Industrialisierung und ihrer damit verbundenen Umweltverschmutzung. Ob er sich wohl heutzutage den Grünen anschließen würde?

Der Weltpoet – Friedrich Rückert, Dichter, Orientalist, Zeitkritiker. Ausstellung bis 10. Juli in der Kunsthalle.

Mehr Informationen unter www.rueckert-weltpoet.de. Dort gibt es auch Informationen zu den verschiedenen Führungen.

Friedrich Rückert, Büste von Heinrich Schaeffer aus dem Jahr 1864.
Foto: Anand Anders | Friedrich Rückert, Büste von Heinrich Schaeffer aus dem Jahr 1864.
Einblicke in die Rückert-Ausstellung in der Kunsthalle.
Foto: Oliver Schikora | Einblicke in die Rückert-Ausstellung in der Kunsthalle.
Faszinierende Einblicke, wie Rückert Sprachen lernte, gewährt die Ausstellung.
Foto: Anand Anders | Faszinierende Einblicke, wie Rückert Sprachen lernte, gewährt die Ausstellung.
Kurator Rudolf Kreutner (r.) erklärt OB Sebastian Remelé die Ausstellung.
Foto: Anand Anders | Kurator Rudolf Kreutner (r.) erklärt OB Sebastian Remelé die Ausstellung.
Friedrich Rückert – Der Weltpoet: In der Kunsthalle wird bis Juli das Leben und Wirken des großen Sohnes Schweinfurts gezeigt.
Foto: Anand Anders | Friedrich Rückert – Der Weltpoet: In der Kunsthalle wird bis Juli das Leben und Wirken des großen Sohnes Schweinfurts gezeigt.
 
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