Wenn Jesus auf einem Esel reitend in Jerusalem einzieht, begrüßt ihn eine große Menschenmenge. Ein Großteil der 400 Laiendarsteller der Fränkischen Passionsspiele Sömmersdorf wird ihm dann als jüdisches Volk zujubeln.
So viele Schauspielerinnen und Schauspieler wie nie zuvor in der 90-jährigen Vereinsgeschichte plus 120 Helferinnen und Helfer sind bei den 18 Vorstellungen vom 23. Juni bis 18. August dabei. Weil sie ein besonderes Gemeinschaftsgefühl erleben dürfen.
Doch heute jubeln noch keine 400 Menschen für Jesus. Auf der 40 Meter breiten Vorbühne in Sömmersdorf traben an diesem Probentag dafür erstmals zwei prächtig geschmückte Kamele zur Herodesszene herbei.
Baby Jona wird der jüngste Mitspieler der Fränkischen Passionsspiele 2024 sein
Im überdachten Zuschauerraum mit knapp 2000 Sitzplätzen beobachten Jan und Anna-Lena Blesch den Auftritt - er im Kostüm des römischen Soldaten Marcus, sie verkleidet als Frau aus dem jüdischen Volk.
An der Brust der jungen Frau schläft selig ein Baby. "Jona ist jetzt vier Wochen alt", lächelt die Mutter über den jüngsten Mitspieler der Sömmersdorfer Passion. Er wird beim Einzug Jesu auf der Bühne dabei sein, so wie viele andere Einwohner auch, die schon als Kinder in das Theaterspielen hineingewachsen sind.
Anna-Lena Blesch hat in den 680 Einwohner-Ort Sömmersdorf im Landkreis Schweinfurt eingeheiratet und erlebt erstmals hautnah, was hier das Passionsspiel bedeutet. "Es ist einfach nur schön, die ganze Zeit an der Bühne zu sein und mit den Leuten zusammenzutreffen", erklärt sie. "Und die Stimmung ist einmalig".
Auch auf der Bühne geht es bei allem Ernst des Schauspiels vom Leiden und Sterben Jesu bei den Proben immer wieder fröhlich zu. Etwa wenn bei der Herodesszene mangels anwesender Tänzerinnen einer der beiden Jesus-Spieler, Tobias Garbe, als Spaßvogel bauchtanzend den König Herodes umgarnt.
Tobias Garbe spielt den Jesus bei den Passionsspielen zum ersten Mal
Tobias Garbe, ein 32 Jahre alter Qualitätsingenieur, darf zum ersten Mal die Hauptrolle des Jesus spielen. "Eine große Ehre", sagt er, in 18 Vorstellungen vor erwarteten grob 35.000 Besucherinnen und Besuchern auf der Bühne stehen zu dürfen. Aber es ist auch eine große Herausforderung angesichts des vielen Textes und der körperlichen Strapazen, etwa beim Kreuzweg oder der Kreuzigung.
Wie etliche Hauptrollen ist auch die des Jesus doppelt besetzt, falls jemand ausfällt. Deshalb müssen alle Szenen immer auch mehrfach geprobt werden. Meist sind die Doppelbesetzungen dann in anderer Funktion in der Szene dabei, um notfalls soufflieren zu können.
Jesus ist wie viele andere wichtige Rollen in Sömmersdorf doppelt besetzt
Der 45-jährigen Berufsschullehrer Tobias Selzam hat bereits zum dritten Mal die Jesus-Rolle bekommen. Trotzdem ist das für ihn beileibe keine Routine. Denn vieles ist unter den neuen Regisseuren verändert worden: andere Texte, schnellere Szenen, andere Positionen, neue Gewichtungen.
"Die Regieanweisungen sind aber sehr hilfreich und auch die vielen Gespräche haben mir viel gebracht", bestätigt Tobias Garbe. Wenn er etwa als gestorbener Jesus in den Schoß seiner Mutter Maria gelegt wird, soll das Bild der Pietà von Michelangelo im Petersdom in Rom gleichen. "Das liegt sich gar nicht so bequem", sagt Garbe und grinst.
Regie will bei den Fränkischen Passionsspielen immer wieder Bezug zur Gegenwart herstellen
Den Bezug zu bekannten Kunstwerken hat die Regie ganz bewusst gewählt. Sie will zeigen, dass die Passionsgeschichte keine alte, vergangene ist, sondern über die Jahrhunderte hinweg bis heute Teil unserer Kulturgeschichte.
Was etwa auch beim Abendmahl im Stil von Leonardo da Vincis berühmten Gemälde sichtbar wird. Oder am gesamten Bühnenbild, das mit fragmentarischer Malerei, mit Engeln im Giotto-Stil oder mit Tieren aus der Bibel versehen ist.
Vor allem stellt die Inszenierung von Silvia Kirchhof und Kai Christian Moritz den Bezug zur Gegenwart her: "Was bedeutet das Geschehen für mich?", fragt die Regisseurin aus Gerolzhofen. Gefühle wie Liebe, Neid, Hass oder Angst werden daher für die Zuschauerinnen und Zuschauer noch deutlicher gemacht, indem auf die LED-Wand in der Innenbühne vorher gedrehte Filmsequenzen und Bilder projiziert werden.
Besonders das Thema der Gemeinschaft zieht sich als roter Faden durch das Passionsspiel. Das ist es auch, weshalb die Sömmersdorfer alle fünf Jahre ihr Theaterstück zeigen.