
Als älteste Geschichte der Welt wird die Passion Christi oft bezeichnet. Dieses Leiden und Sterben Jesu wieder neu zu erzählen, ist Aufgabe der Regie bei den Fränkischen Passionsspielen Sömmersdorf vom 23. Juni bis 18. August. Diesmal haben Silvia Kirchhof aus Gerolzhofen und Kai Christian Moritz aus Würzburg die Herausforderung angenommen. Ihr Anspruch: Dem Publikum näherbringen, was die Passion mit dem nötigen Zusammenhalt der Gesellschaft heute zu tun hat.
Silvia Kirchhof: Es ist natürlich ein Theaterstück, aber es hat eine andere Dimension. Auch ganz persönlich habe ich als gläubige Christin einen tiefen Zugang zur Passion. Aber die Basisarbeit des Theaters bleibt: Die Inszenierung, wie ich das Publikum ansprechen will und wie ich den Inhalt, die Botschaft, vermitteln will. Weil uns beiden das sehr am Herzen liegt, haben wir uns intensiv eingearbeitet. Wir sind auch nach Jerusalem gefahren, kurz vor diesem furchtbaren Terroranschlag in Israel. Wir wollten die Atmosphäre des Ortes erleben.
Kai Christian Moritz: Wir erzählen in Sömmersdorf eine unsere Kultur und Gesellschaft prägende Geschichte, mit einer sehr engen, engagierten dörflichen Gemeinschaft. Hier begegnen sich Inhalt und Form. Also: Glaube ist Gemeinschaft, und hier führt die Gemeinschaft die Geschichte des christlichen Glaubens auf.
Silvia Kirchhof: Das ist auch der rote Faden für unsere Inszenierung der Passion: Die Gemeinschaft, der Zusammenhalt, den wir nicht aus den Augen verlieren dürfen. Alleine sind wir nichts, nur zusammen können wir viel stemmen.

Moritz: Man muss wissen, warum man die Geschichte erzählt. Eine Gemeinschaft erzählt ein Stück über Gemeinschaft, über soziale Unterschiede, über Scheitern, über Verzweiflung, über Leid, über Freude. Diese Energie von Lebensgestaltung ist ein Aspekt, den wir versucht haben zu betonen – ohne eine vermeintlich historische Wahrheit auf die Bühne zu bringen. Aber deswegen erfinden wir nichts oder fügen Falsches hinzu.
Kirchhof: Bei dem Thema Gemeinschaft ist uns ihre Ambivalenz wichtig: Sie kann Zusammenhalt fördern, aber auch verhindern. Um den Bezug für heute herzustellen, greifen wir in der Rahmenhandlung auf die 90-jährige Geschichte der Passion in der Sömmersdorfer Dorfgemeinschaft zurück. Sie gilt es besonders wertzuschätzen. Das zeigt sich auch im Bühnenbild mit den fragmentarischen Malereien: Dass die Passion nicht nur in Jerusalem spielt, es ist auch unsere Geschichte. Sie zieht sich durch die Jahrhunderte und bleibt immer lebendig.
Moritz: Für mich war inhaltlich ein großer Motor, dass ich mich immer wieder frage, wie eine so wundervolle und kraftvolle Botschaft, die das Stück hat, in einer Welt von heute so leise sein kann. Mir ist daher an einem guten Erzählen dieser Geschichte gelegen.
Mein Schwerpunkt in der Vorarbeit lag auf dem Überarbeiten des Textbuches, sprachlich andere Schwerpunkte zu setzen. Ich selber habe auch Theologie und Philosophie studiert, wir beide arbeiteten eng mit dem Sömmersdorfer Vereinsvorstand zusammen und mit Professor Martin Ebner, einem emeritierten Neutestamentler aus Bonn, der jetzt in Schweinfurt lebt.

Kirchhof: Eine große Möglichkeit liegt darin, dass wir sehen, wie generationsübergreifend viele Sömmersdorfer Familien beteiligt sind. Das spricht schon einen größeren Publikumskreis an. Und wir versuchen, die Themen, die jeden von uns angehen, diese Sichtweisen und Emotionen, auch über die Videowand einzubringen: Welche Gedanken und welche Assoziationen hat man heute, wenn es beispielsweise um die Steinigung der Ehebrecherin geht oder um die Fußwaschung? Wir hoffen, das Publikum neugierig zu machen und auch jüngere Leute anzuziehen.
Moritz: Was die Passion schon die letzten Male nicht war und auch diesmal nicht sein wird: Eine Werbeveranstaltung für Kirche oder eine Missionierung. Die Kunst wird sein, die Balance zu finden zwischen den Erwartungshaltungen der Zuschauer und der gleichzeitigen Öffnung der Perspektive auch für eine andere Sichtweise. Zum Beispiel, dass versucht wird, eine klare Beantwortung, wer zu den Guten oder Bösen gehört, bei einigen Figuren aufzulösen. Der Zuschauer muss sich selber bemühen, Antworten zu finden.
Moritz: Ja, aber nicht nur ihn. Das gilt für viele Beteiligte.
Kirchhof: Auch für die Frauen. Die Frauenrollen werden mehr Raum bekommen. Uns war es wichtig, ein breites Spektrum an Haltungen und Emotionen sichtbar zu machen: Zu zeigen, wie sich ihr Leben durch die Beziehung zu Jesus verändert hat. Man spürt ihre Kraft und Stärke.
Moritz: Theologisch gesprochen gehört auch Jesus dazu. Ein ganz wichtiger Teil ist Jesus, der Mensch, der furchtbare Qualen leidet. Dass man ihn nicht in der späteren christologischen Ausdeutung bereits am Anfang des Stücks als den allwissenden Sieger zeigt.
Die biblischen Quellen sind aus heutiger Sicht nicht selten voll mit Antisemitismen und Klischees des Jüdisch-Seins. Das war uns auch wichtig, das so weit wie möglich zu entschärfen, gerade vor dem Hintergrund des furchtbaren Terroraktes in Israel.
Kirchhof: Dass die Zuschauer fühlen, die Geschichte wieder neu erleben zu können.