Sein Textbuch hat Jesus fest in der Hand. Er braucht es noch in dieser Szene in Bethanien, in der er die Jünger beschwört, standhaft zu bleiben. Und in der er sich von seiner Mutter Maria verabschiedet, bevor er seinen Leidensweg in Jerusalem antritt.
Bei diesem Probenabend zu den Fränkischen Passionsspielen Sömmersdorf lässt sich aber schon erkennen, dass die Laienspieler im Sommer auf der Freilichtbühne ein starkes Schauspiel zeigen werden. Seit Anfang Januar treffen sich die Darsteller alle 14 Tage am Wochenende in der Robert-Seemann-Halle zur Probe. Eingeteilt nach den verschiedenen Szenen der 20 Akte des Theaterstücks üben sie mit den Regisseuren Silvia Kirchhof und Kai Christian Moritz ihre Rollen ein.
400 Menschen stehen auf der Bühne, so viele wie nie zuvor
120 namentlich benannte Figuren enthält das Freilichtspiel, weitere 280 Männer, Frauen und Kinder, wollen als Volk von Jerusalem mitspielen. 400 Menschen stehen also auf der Bühne, so viele wie nie zuvor in der 90-jährigen Geschichte der Sömmersdorfer Passion. Wobei nur jetzige oder frühere Einwohner des 680 Seelen-Dorfes mit ihren Familien dabei sein dürfen.
Nur wenige Darsteller haben von der neuen Regie die gleiche Rolle zugeteilt bekommen wie beim letzten Passionsspiel 2018. Jesus-Spieler Tobias Selzam ist einer von ihnen. Aber der 44-jährige Berufsschullehrer muss seinen Text genauso neu lernen, wie der zweite, neue Jesus-Spieler Tobias Garbe. Etliche tragende Rollen sind für die 18 Vorstellungen doppelt besetzt, falls jemand ausfällt.
Das Textbuch hat Regisseur Moritz neu verfasst, beraten vom emeritierten Theologie-Professor Martin Ebner. Wie bisher basiert das Skript auf der biblischen Überlieferung. Aber die Sprache setzt nun andere Schwerpunkte, neuere theologische Erkenntnisse sind eingeflossen. Die Zuschauer sollen vom Text auf der emotionalen Ebene ganz persönlich angesprochen werden, sagt Moritz.
Darsteller müssen viel mehr Text als bisher lernen
Nicht nur für die beiden Jesus-Spieler heißt das, viel mehr Text als bisher zu lernen. Weshalb das Ringbuch in der Hand ihnen aktuell noch gute Dienste leistet. "Es bringt nichts, nur auswendig zu lernen", erklärt Moritz. "Sie sollen den Text verstehen. Das ist ein Prozess, der dauert. Sie müssen es vom Kopf in den Körper bringen." Erst wenn die Spieler im April ihren Text noch nicht könnten, werde er nervös.
Die Regisseure versammeln alle Spielerinnen und Spieler im Stuhlkreis unter dem gleißenden Strahler, der von der Hallendecke leuchtet. Die Bethanien-Szene wird zunächst gemeinsam gelesen. "Du musst dringlicher werden, du wirst zu weich", meint Regisseur Moritz hinterher zum Jesus-Darsteller. "Das braucht mehr Energie", ergänzt Silvia Kirchhof. Schließlich wolle Jesus seine Jünger doch aufrütteln, nicht schwach zu werden.
Orientalische Musik und kräftige Stimmen
Tobias Selzam ist vom Typ her der sanfte, der weiche Jesus. Einer, der eigentlich gar nicht laut werden will, aber es muss. Ganz anders sein Namensvetter Tobias Garbe, der danach an der Reihe ist. Der 31-jährige Qualitätsingenieur ist mit einer lauten, vollen Stimme ausgestattet. Entsprechend appelliert er an seine Jünger, wachsam zu sein.
Dann werden die Stühle beiseite geräumt. Unter orientalischer Musik laufen Jesus und sein Gefolge in ihren alten Probenkostümen von der Eingangstür der Halle in die Raummitte. Regisseurin Kirchhof läuft hinzu und zeigt ihnen, wo sie sich auf den Boden setzen sollen, um Jesus zuzuhören. "Die Endfassung ist dann draußen", erklärt sie. Also um Ostern, wenn die Proben auf der Freilichtbühne beginnen.
Regisseur Christian Moritz: "Den Wumms braucht es"
Jetzt spielt die Gruppe das, was sie zuvor gelesen hat. "Jungs, das ist gut. Den Wumms braucht es", zeigt sich Moritz angetan, wie die Anweisungen umgesetzt werden. Dann ist Wechsel, zweiter Durchgang.
Besonderes Augenmerk legt die Regie auf starke Frauenrollen. Maria, die Mutter, ist so eine. Susanne Mergenthal spielt sie schon zum achten Mal, glaubhaft, überzeugend. Auch mit Karin Mergenthal, der neuen, zweiten Maria, ist die Regie bei ihrer ersten Probe der Bethanien-Szene zufrieden. "Die Trauer ist wunderbar", lobt Moritz.
Stark wirkt eine Jüngerin Maria Magdalena, eindrucksvoll verkörpert von Franziska Fasel. Sanft, ja innig, liebkost sie mit ihren Händen das Haar und den ganzen Kopf ihres Jesus bei der Salbung mit Öl.
Fröhliches Lachen bricht dann bei allen Anwesenden aus, als es darum geht, wie genau Magdalena vor Jesus zu Boden sinken soll. Links oder rechts von ihm? Wie wird sie wieder hochgeholt? An welche Schulter soll sie ihren Kopf legen? Mit einem Schlag auf die Thekenklingel holt Silvia Kirchhof die Spieler wieder aus ihrem Gelächter zurück in die Szene.
"Es ist wichtig, dass es den Spielern Spaß macht", erklärt sie hinterher. "Da kann man dann auch wieder konzentriert weitermachen".