Etwas mehr als 100 Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine mit Bildern von großer Zerstörung bombardierter ukrainischer Städte und mehreren tausend Toten auf beiden Seiten geht es vor allem älteren Mitbürgern wie dem Schweinfurter Buchautor Edgar Lösch: Die Bilder vom Krieg und die Erzählungen der Geflüchteten, wie es in den Bunkern und Schutzräumen von Mariupol, Charkiw oder Kiew ist, lösen Beklemmungen und Erinnerungen an längst vergangen geglaubte Zeiten aus: den Zweiten Weltkrieg, den viele als Kinder miterlebten.
Edgar Lösch ist eines der Kinder, das alle Bombenangriffe, die 1943 begannen, auf Schweinfurt er- und überlebte. In seinem neuen Buch über Schweinfurt während des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 beschreibt er in einem eigenen Kapitel "Eine Kindheit zwischen Luftschutzkeller und Bunker." Ein Kapitel, das vielen älteren Mitbürgern aus dem Herzen spricht.
Lösch ist Jahrgang 1938, wegen des Zweiten Weltkrieges war er in keinem Kindergarten, kam erst, mit fast acht Jahren, nach dem Krieg in die Grundschule. Sein Vater arbeitete bei Kugelfischer im Werksschutz, erlebte alle Angriffe in der Fabrik. Die Familie wohnte in der Sonnenstraße, flüchtete zunächst in den Bunker in der Gartenstadt und später in den Spitalseebunker, als der fertig war.
"Der Krieg in der Ukraine bedrückt mich sehr", gibt Lösch zu, weil ihm auch durch das derzeitige Schreiben des neuen Buches das Thema wieder so präsent ist. "Wir hatten immer Angst um den Vater, wenn der bei Kugelfischer war, wie es ihm geht und natürlich auch, ob mit unserer Wohnung alles in Ordnung ist."
In seinem Kapitel über die Kindheit im Bunker beschreibt Lösch eindrücklich, wie man sich die Verhältnisse damals vorstellen musste. An vielen Häusern in Schweinfurt sieht man tatsächlich noch Zeichen für Luftschutz-Maßnahmen, die ab Mitte 1935 bei allen Neu- sowie Umbauten Pflicht waren, unter anderem eisenbewehrte Türen im Keller oder entsprechende Fenster. Die Keller bei Wohnblocks waren auch als Fluchtwege miteinander verbunden.
Besonders schwierig war die Situation für Mütter mit Säuglingen und kleinen Kindern
"Die Eltern, oft waren nur die Mütter zuhause, nahmen eine vorbereitete Tasche mit wichtigen Papieren, Kleidung, Nahrungsmitteln mit in den Keller", schreibt Edgar Lösch. "Besonders schwierig war die Situation für Mütter mit Säuglingen und kleinen Kindern. Meine Mutter hat mir oft erzählt, dass die im Keller versammelte Hausgemeinschaft sehr viel gebetet habe, das bevorzugte Gebet sei der Rosenkranz gewesen." Vor dem ersten großen Luftangriff am 17. August 1943, bei dem 203 Schweinfurter starben, waren die Bürger meist in den Luftschutzkellern des eigenen Hauses.
Doch das Haus der Familie Lösch in der Sonnenstraße wurde damals beschädigt, in den Nachbarhäusern gab es Tote. "Es begann nun die Zeit, in der der Bunker an der Galgenleite für mich eine Art zweiter Wohnsitz wurde. Die Zeit, in der kaum noch jemand im Schlafanzug schlief. Man schlief in den gleichen Kleidern, die man auch tagsüber getragen hatte. Lediglich die Schuhe standen startbereit vor dem Bett. Für mich hatte meine Mutter ein Köfferchen vorbereitet, das auch vor dem Bett stand", schreibt Lösch.
Ein Phänomen, das man bis heute nachvollziehen kann, schildert Lösch ebenso: Wie die Sirenen klangen, wenn Bombenalarm war: "Dieses Geräusch habe ich bis heute nicht aus den Ohren bekommen." Der Bunker an der Galgenleite war für 416 Personen vorgesehen, meist waren mehr da, die nervliche Verfassung und Stimmung der Menschen kann man sich gut vorstellen.
Lösch schreibt weiter: "Ab Ende 1944 sollte sich die Bunkersituation für uns verbessern, denn endlich wurde der sicherste Bunker der Stadt, der Spitalseebunker, fertig. Zudem war der Weg zu dem neuen Bunker wesentlich kürzer. Im Spitalseebunker begann eine neue Zeit, denn wir Kinder, viele waren nicht mehr in der Stadt, durften in dem Bunker 'wohnen'. Wir hatten einen Schlafplatz, Essen und Trinken brachte die Mutter. Wenn nicht gerade Alarm war, durften wir uns außerhalb des Bunkers aufhalten und spielen. Das beliebteste Spiel war das Schussern oder Stennern wie die Schweinfurter sagen. Man brauchte lediglich ein paar Tonkugeln und ein Loch im Erdreich."
Am 11. April 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Schweinfurt mit dem Einmarsch der amerikanischen Soldaten. Lösch verbindet damit positive Erinnerungen, wie er schreibt. Und er schließt das Kapitel über die Kindheit im Bunker mit versöhnlichen, aber auch nachdenklichen Worten: "Gerade uns Deutschen ist es eine Verpflichtung, den Menschen in der Ukraine zu helfen. Auch nach dem Endes Krieges wird es für Deutschland eine Verpflichtung sein, sich an die Spitze der Staaten zu stellen, mit deren Hilfe der Wiederaufbau des Landes gelingt."
Auch wäre es schön zu wissen, wo das Foto mit den vielen Menschen aufgenommen wurde.