
Es ist der 17. August 1943. Ein schöner Sommertagmorgen. Maria Klein, damals noch Maria Gumsheimer, ist mit ihrer Mutter im Garten unterhalb der Terrasse. Die beiden wollen Tomaten und das Gemüse gießen. Später, nach dem Mittagessen, wird Maria mit ihren zwei Freunden spielen, deren Vater gerade Urlaub hat. Ein ganz normaler Tag im Haus Auenstraße 9, wo gegen 15.30 Uhr sieben Menschen daheim sind. Das Ehepaar S., mit deren Kinder Maria spielt, Marias Mutter, sie und Herr G., der „Heimaturlaub von den Soldaten hat“ und in der Wohnung einmal nach dem Rechten schaut. Seine Familie ist bereits evakuiert worden.
Mit schrillen Sirenentönen beginnt für die Menschen im Haus Auenstraße 9 wie in ganz Schweinfurt die schlimmste halbe Stunde ihres Lebens. Von 16 bis 16.30 Uhr des 17. August fliegt die US Air Force den ersten Angriff auf Schweinfurt. Zwei weitere werden folgen. Die Menschen in Haus Auenstraße 9 flüchten in den Luftschutzraum, der eine Gasschleusentür hat. Alle, bis auf Herrn G. Er kommt später.
„Wir drei Kinder gingen mit unsern Puppen und Spielzeug auf ein bettartiges Gestell links hinten in der Ecke, das Ehepaar S. auf das daneben stehende und meine Mutter auf einen Stuhl gegenüber unserer Spielecke. Plötzlich, nach einigen Sirenenheulen, kam Herr G. von oben und sagte laut zum Herrn S.: 'Hoffentlich treffen die uns nicht, die werfen nämlich Christbäume ab.' Dies war für mich was, was ich sehen wollte, mitten im Sommer Christbäume, die vom Himmel kommen. Also nichts wie raus aus dem Raum und die Treppe hoch. Meine Mutter merkte es dann und ging den Gang vor, wo auch eine Gasschleusentür war und Herr G. an dem ich vorbei rannte, holte mich von oben, und schon flogen wir auf den Boden, denn da schlug die Bombe in das Haus und direkt in den Luftschutzkeller ein.“ Wie man s
päter feststellte, war die Spitze der Bombe genau in die Kellerecke gerast, wo die Kinder spielten. Auch im Haus Nr. 11 gibt es zwei Leichtverletzte.Im vergangenen Jahr haben wir schon einmal Erinnerungen an den Bombenangriff zusammengetragen. Lesen Sie auch:
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Maria und die anderen sind verschüttet. Doch man hat vorgesorgt. Bei Häuserblöcken wurden durch Kellerwanddurchbrüche Verbindungen geschaffen. Nach den Entwarnungssirenentönen sind sofort Nachbarn da. Sie graben Herrn G., Marias Mutter und sie selbst aus. „Herr G. lag zuoberst und bekam etwas von der vorderen Schleusentür ab, meine Mutter bekam den Türrahmen voll auf die rechte Körperseite, vor allem auf dem Knöchel. Ich selbst lag direkt unter meiner Mutter, hatte nichts außer einer kleinen Schürfwunde. Herr G. wurde gestützt in den Nachbarkeller gebracht, meiner Mutter hing der Fuß ab und so nahm man von einem kranken Mädchen aus dem Hause 7 das Kopfkissen und hat dies meiner Mutter um den Fuß gebunden und sie ebenso ins Haus Nr. 7 getragen.“
Marias Großvater wohnt in der Auenstraße 26, also schräg gegenüber. „Er schaute sich natürlich sofort nach uns um und ich musste gehorchen und mit ihm gehen. Als ich merkte, mein Vater kam von der Arbeit von der SKF, riss ich wieder aus und ging an die Unglücksstelle und wollte mein 'Pupperle' holen. Nach einer Gardinenpredigt meines Vaters setzte ich mich brav auf zwei aufgestellte Backsteine und schaute den Ausgräbern zu, denn es fehlte ja noch die Familie S. Laute waren auf einmal zu hören, also gab es Zurufe: 'Aushalten, wir kommen.' Es war schon ziemlich spät und da brachten zwei Männer ein Kinderärmchen aus den Trümmern, von da an hatte ich kein Interesse mehr an meiner Puppe, denn man wusste: dieses Ärmchen gehört zur Tochter der Familie S. Ich selbst setzte mich dann freiwillig auf eine Treppe, die zu den Sandkästen führte und wartete ab, bis auf einmal Herr und Frau Schäfer schwerverletzt herausgetragen wurden und – verhüllt – die beiden Kinder.
Es sind Erinnerungen, Bilder, die Maria Klein nicht abschütteln kann. „Solche Momente wie der Bombeneinschlag und Stunden wie die Rettung von uns sieben Personen werde ich nicht vergessen können, und bei jeder Fernsehsendung, wo durch Krieg Häuser zerstört werden, schließe ich die Augen oder verlasse sogar den Raum. Von dem Ehepaar S. weiß ich nur vom Sagen her, dass Herr S. auf jeden Fall ein gebrochenes Bein hatte und seine Frau auch Wunden. Beide sind aber, wenn ich nicht irre, ein halbes Jahr später tot gewesen, gestorben an den Folgen des Angriffs. Meine Mutter wurde, wie alle Verletzten, mit einem Lastwagen in den Göthebunker gefahren. Da war gut vorgesorgt. Ein Sanitäter und ein Arzt kümmerten sich um die Erstversorgung. Spät am Abend, von meinem Vater mit Decken versorgt, wurden die Verletzten mit dem offenen Auto ins Luitpold-Krankenhaus nach Würzburg gefahren. Meine Mutter konnte nie mehr ohne Stock gehen, der Fuß wuchs trotz Gips nur schräg zusammen.“
albert.willi@live.de