Es war alles professionell vorbereitet und exakt durchgeplant. Doch als am Freitagmorgen die letzten Fische aus dem Ellertshäuser See im Landkreis Schweinfurt geholt werden sollen, taucht beim Blick in den Abflussschacht überraschend ein riesengroßes Problem auf: Es gibt keinen Stöpsel am Grund des Sees. Ergo: Es kann kein Stöpsel gezogen werden, das Becken kann nicht leer laufen. Die Abfischaktion wird erst einmal gestoppt und eine Krisensitzung einberufen.
Dabei war am größten Stausee Unterfrankens alles so gut angelaufen: Am 29. September hatte das Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen als Betreiber der Talsperre die Schieber geöffnet, damit die 1,7 Millionen Kubikmeter Wasser über den Ablassschacht und ein 80 Meter langes Stahlrohr vom Seegrund zum Sauerquellenbach abfließen können. Die technischen Betriebseinrichtungen müssen saniert werden, deshalb dieses gigantische Projekt. Spezialisten aus Norddeutschland hatten vor einer Woche bereits mit großen Zugnetzen den See mehrmals abgefischt und an die fünf Tonnen Fisch herausgeholt.
Anders als 1983, als der Ellertshäuser See schon einmal wegen Sanierungsarbeiten trockengelegt wurde, sind diesmal ausschließlich Profis im Einsatz. Denn Ziel ist es, die Fische möglichst schonend und vor allem lebend zu fangen. Ein kleiner Teil soll nach Abschluss der Sanierungsmaßnahme wieder eingesetzt werden, das Gros wird als Besatz an Angelsportvereine veräußert.
Das Fischen im schlammigen Wasser ist Schwerstarbeit
Nach den Berufsfischern aus dem hohen Norden, sind am Freitag nun heimische Spezialisten am Werk. Fischereifachwirtsmeister Ralf Gensler von der Fischzucht Rhönforelle aus Gersfeld (Lkr. Fulda) ist mit einem zehnköpfigen Team angerückt. "Für uns ist das Alltagsgeschäft", sagt Ralf Gensler. Zuletzt haben sie die Main-Kinzig-Talsperre abgefischt. Eigentlich wollten sie schon am Donnerstag beginnen. Doch das Wasser um den Ablassschacht stand mit 2,20 Metern noch zu tief, als dass man in Wathosen hätte hineingehen können.
Am Freitagmorgen ist die Seefläche soweit zusammengeschrumpft, dass das Wasser nur noch 1,30 Meter tief ist. Es kann losgehen. Mit kleinen Booten legen die Fischer das Netz aus. Dann wird es an zwei Seilen mit je fünf Mann am Ufer zusammengezogen. Schwerstarbeit - nicht nur wegen der großen Menge an Fischen, sondern auch, weil viel Schlamm dabei ist. Die Arbeiter des Wasserwirtschaftsamtes ziehen deshalb kräftig mit. Allen voran der Talsperrenbeauftragte. Andreas Kirchner steht mit Wathose bauchtief im schlammigen Wasser und holt mit dem Kescher Fische heraus. Auch ein Baby-Waller ist im Netz, gerade mal 15 Zentimeter groß.
Waller gehören nicht in den Ellertshäuser See, genauso wenig wie der amerikanische Kamberkrebs, von denen Kirchner schon etliche gefunden hat. "Das sind invasive Arten", erklärt Michael Kolahsa, der Fischereifachberater vom Bezirk Unterfranken. Er verfolgt als Fachmann die Abfischaktion und ist zufrieden: "Das läuft alles sehr professionell."
Große Fasswagen stehen mit Frischwasser bereit
Die Fische im Kescher werden gleich vom Schlamm gesäubert und dann in einen großen Bottich mit Frischwasser umgesetzt, bevor sie mittels Kran in Spezialtanks auf einen bereitstehenden Lastwagen verladen werden. Auf dem Damm stehen drei große Traktoren mit Fasswagen, die permanent Frischwasser vom Vorsee herbeischaffen. Im Notfall kann auch die gemeindliche Wasserversorgung angezapft werden.
Doch soweit wird es nicht kommen. Denn gleich nach dem ersten Zug ist am Freitag schon wieder Schluss. Die Wasserspiegel hat zu diesem Zeitpunkt genau die Oberkante des Abflussschachts erreicht. Jetzt hätte man den untersten Stöpsel ziehen müssen. Doch da ist keiner. Das Entsetzen beim Blick in den Schacht ist Andreas Kirchner anzusehen. Auf alten Plänen ist der Flansch, wie das Loch unten im Schacht in der Fachsprache bezeichnet wird, eingezeichnet. Doch offensichtlich haben die Erbauer das nicht umgesetzt.
Die erste Überlegung, die 25 Zentimeter dicke Betonwand aufzubohren oder aufzuschneiden, wird verworfen. Der Schacht steckt ja noch komplett im Wasser. Nach langen Diskussionen wird schließlich entschieden, das Wasser Zug um Zug abzupumpen und parallel dazu mit Netzen und Kescher weiter abzufischen. "Das ist eine sehr zähe Angelegenheit", sagt der Leiter des Wasserwirtschaftsamtes. Denn dadurch geht das Abfischen nur sehr langsam voran. Rosentritt geht davon aus, dass es sich noch bis in die nächste Woche hinziehen wird. Immerhin gehen am Freitag doch rund zwei Tonnen Fisch ins Netz.
Wegen des fehlenden Ablassstöpsels wird der See deshalb auch nicht ganz leer werden. Es gibt mehrere Zuflüsse im oberen Bereich, die immer wieder Wasser einbringen werden. Aktuell ist das von Vorteil, weil so die restlichen Fische immer ausreichend mit Sauerstoff versorgt sind. Der Behördenleiter versichert: "Es wird kein Fischsterben geben."
Das soll wahrscheinlich so sein. Das verhindert Kollateralschäden...