So etwas hat man hierzulande noch nicht gesehen: Der Ellertshäuser See im Landkreis Schweinfurt wird mit Schleppnetzen abgefischt. Alle Fische müssen raus, weil das Wasser wegen Sanierungsarbeiten komplett abgelassen wird. Dafür ist extra ein Profi aus dem hohen Norden angereist, der auf Zugnetzfang spezialisiert ist.
Seit Dienstagnachmittag ist Peter Liebe mit seinem Team auf Unterfrankens größtem See im Einsatz. Doch es geht nicht gut los. Gleich beim ersten Probezug verhakt sich das Netz unter Wasser und lässt sich nicht mehr einziehen. Auf dem Seegrund befinden sich alte Baumstümpfe. Überbleibsel des ehemaligen Wald- und Wiesengrunds des Sauerquellenbachs, der beim Bau des Ellertshäuser Sees Mitte der 1950er-Jahre aufgestaut wurde. Mit solchen Hindernissen hat der Fischer aus dem Norden nicht gerechnet. Peter Liebe und seine Helfer müssen das Netz mit Gewalt hochziehen. Der Schaden ist massiv: Mindestens 30 Meter Netz sind von der Kette abgerissen. Die Schleppnetz-Aktion ist erst einmal gestoppt.
"Das trifft mich tief im Herzen, dass wir so ausgebremst werden", sagt Peter Liebe. Doch er ist Zugnetzfischer aus Passion, deshalb wagt er am Mittwochmorgen einen zweiten Versuch. Bis es soweit ist, muss aber erst einmal das Netz notdürftig geflickt werden. Mit Nadel und Faden, nur größer und stabiler als für den Hausgebrauch.
Viele Schaulustige verfolgen die Abfischaktion
Schon am frühen Mittwochmorgen haben sich etliche Schaulustige auf dem Damm versammelt. Auch das Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen, der Betreiber des staatlichen Hochwasserspeichers, ist mit großer Mannschaft vertreten, an der Spitze Behördenleiter Leonhard Rosentritt. Die Spannung und Nervosität ist allen anzumerken.
Wenn das Netz sich wieder verhakt, war es das. Einen dritten Zug wird es dann nicht mehr geben. Der Schaden für den Berufsfischer aus dem schleswig-holsteinischen Süsel wäre zu groß. "Für die Reparatur des Netzes brauche ich mindestens einen Tag", sagt Peter Liebe.
Das Wasserwirtschaftsamt hat sich für das Abfischen mit Schleppnetzen entschieden, weil man auf diese Weise schonend sehr große Mengen fangen kann. "100 Prozent der Fische überleben", sagt Peter Liebe, der seit 45 Jahren im Geschäft ist. Mit seiner Zugnetzfischerei bewirtschaftet er 700 Hektar Seefläche in Ostholstein. Regelmäßig übernimmt er auch Fangaufträge an anderen Seen. Am Montag muss er schon wieder im Altmühltal sein.
Um 11.30 Uhr kann es endlich losgehen. Es ist kalt, aber zumindest regnet es nicht wie beim ersten Versuch am Dienstag. Mit zwei Booten, im Fachjargon nennt man sie Pontons, und dem 550 Meter langen Schleppnetz geht es aufs Wasser. Mit Hilfe einer Winde wird das an zwei Stahlseilen befestigte Netz zur Auszugsstelle gezogen. Ein Boot fährt am Nordufer entlang, das andere am Südufer. Normalerweise würde man das Netz möglichst breit auf der Seefläche auseinanderziehen, um möglichst viele Fische einzukesseln. Doch wegen des unberechenbaren Untergrunds am Nordufer, wird diesmal ein Sicherheitsabstand gehalten.
Mit zehn Metern pro Minute wird das Netz durchs Wasser gezogen
Das Netz liegt jetzt in einem großen, tiefen Halbkreis im Wasser. Die beiden Boote fahren nun hoch ans Ufer Richtung Seemitte. Dabei rollt sich das 1000 Meter lange Stahlseil von der Winde. Dort werden die beiden Boote an Seilen befestigt, damit sie beim Rückholen des Netzes nicht davondriften. Jetzt kann es losgehen. Langsam wird das Netz über die motorbetriebenen Winden zurückgezogen. Zehn Meter werden pro Minute im Wasser zurückgelegt. Das langsame Einholen soll verhindern, dass die Fische in Stress geraten und sich im Netz verheddern.
Schon nach ein paar Minuten müssen die Winden wieder gestoppt werden. Das Netz hat sich anscheinend wieder am Grund des Nordufers verhakt. Das Team ist geknickt. Doch Peter Liebe gibt nicht so schnell auf. Mit dem Beiboot und einem Helfer fährt er zu der Stelle. Banges Warten der anderen auf den Pontons. Nach einigen Minuten ist aus der Ferne ein freudiges Winken zu erkennen. Das Netz ist gelöst, es kann weitergehen. Noch zweimal müssen die Fischer kurz den Atem anhalten. Doch diesmal geht alles gut.
Mit Lärm werden die Fische in den Fangsack getrieben
Auf den letzten Metern wird es laut. Peter Liebe schlägt mit einer Metallstange an die Bootswange. Der Lärm soll die Fische in den Fangsack treiben, der zwischen den zwei Schleppnetzen hängt. Nach gut einer Stunde ist das gesamte Netz eingeholt, im Wasser liegt nur noch der Fangsack. "Es sieht gut aus", das spürt der Fachmann, denn wirklich viele Fische sind jetzt noch nicht zu sehen. Das Netz liegt zu tief im Wasser. Vereinzelt taucht ein kleines Rotauge auf. Aber Liebe weiß: "Da ist was drin."
Davon will sich auch der Leiter des Wasserwirtschaftsamtes überzeugen. Mit Gummistiefeln ausgerüstet steigt Leonhard Rosentritt aufs Beiboot, das ihn zum Schwimmhälternetz bringt. Dieses wird nun mit dem Fangsack verbunden, so dass die Fische im Netz wie durch einen Tunnel in das Behältnis schwimmen können. Der große Moment wird kurz sogar von Sonnenstrahlen begleitet. Peter Liebe zieht den Fangbehälter hoch, und es wimmelt und wuselt nur so von Fischen. Karpfen, Zander, Hechte, Schleien, Rotaugen und sogar ein Waller. Und was für große Brocken. "Der hat mindestens acht Kilo", schätzt der Fachmann das Gewicht eines quirligen Silberkarpfens.
Rund 1,5 Tonnen Fisch an zwei Tagen gefangen
Rund 500 Kilo Fisch sind im Netz. Tags zuvor war es das Doppelte, trotz Abbruch der Fangaktion. Noch zwei, drei Züge will Peter Liebe bis Donnerstag machen. Alle Fische kann er mit seinen Schleppnetzen sowieso nicht aus dem Wasser holen. Denn an manchen Stellen, wo Fische stehen, ist der See nicht mehr tief genug. Den Rest des Abfischen übernimmt dann eine heimische Firma. Ralf Gensler von der Fischzucht Rhönforelle aus Gersfeld ist bereits vor Ort und unterstützt die Profis aus Norddeutschland.
Was passiert jetzt mit den Fischen? Etwa eine Tonne Fisch kommen zur Zwischenhälterung in den Vorsee. Sie werden nach Ende der Sanierungsarbeiten wieder im Hauptsee ausgesetzt. Diese Arbeiten übernimmt der Fischereiverband Unterfranken, der das Gewässer gepachtet hat. Das Gros des Fangs wird die Gersfelder Fischzucht übernehmen und als Besatz an Angelvereine weiterverkaufen.
Die erste Ladung wird noch am Mittwochnachmittag "verschifft". Mit zwei Lastwagen werden die Fische in sechs 2500-Liter-Tanks mit Sauerstoffversorgung aus dem Ellertshäuser See in die Rhön gebracht.