
Vier– drei – zwei – eins – durch: Die letzten Zentimeter mit dem Kernbohrer durch die Betonwand des Abflussschachts im Ellertshäuser See machen es noch einmal richtig spannend. Zentimeter um Zentimeter fräst sich der Bohrkopf nach vorne. Wenn die Betonwand durch ist, muss es schnell gehen. Denn dann kommt das Wasser. Nach 32,5 Zentimetern ist es soweit: "Jetzt kommt schwarze Brühe", ruft Andreas Kirchner, der Mann am Bohrgerät, aus der Tiefe nach oben.
Die letzten 48 Stunden der genau 50 Tage andauernden Ablassaktion an Unterfrankens größtem See sind eine Herkulesaufgabe. Zum einen weil es keinen Stöpsel am Boden des Ablaufschachts gibt, zum anderen weil das restliche Abfischen zu einer wahren Schlammschlacht wird. Nachdem es in der vergangenen Woche nicht geglückt war, den See vollständig abzulassen, weil eine Art Grundstöpsel nicht vorhanden ist, muss am Montag nun der Ablaufschacht aufgebohrt werden.
"So etwas erlebt man nur einmal im Leben", sagt Behördenleiter Leonhard Rosentritt. Er steht auf einem kleinen schwimmenden Metallkahn neben dem 1,20 Meter tiefen Abflussschacht und verfolgt die Bohraktion seines Mitarbeiters.

Der Talsperrenbeauftragte hat die Sache selbst in die Hand genommen. Beim Abfischen am vergangenen Freitag hatte er entdeckt, dass der Grundstöpsel fehlt, über den der See entleert werden sollte. Der Ablaufschacht war beim ersten Ablassen des Sees im Jahr 1983 neu gebaut worden. Die Pläne dafür sind beim Wasserwirtschaftsamt vorhanden. "Die Öffnung ist auch eingezeichnet", sagt Behördenleiter Leonhard Rosentritt. Nur: Eingebaut wurde sie offensichtlich nicht. Bislang hat das niemand gemerkt. Jetzt aber muss der See im Landkreis Schweinfurt für Sanierungsarbeiten an den technischen Betriebsanlagen wieder komplett abgelassen werden - das Problem wurde offenbar.
Die kleineren Fische sollen mit dem Wasser hinaus schwimmen
Nach einer Krisensitzung war am Wochenende entschieden worden, den Schacht aufzubohren, damit das restliche Wasser über das Abflussrohr in den Sauerquellenbach abfließen kann. Die Idee: Mit dem Wasser sollten auch die kleineren Fische hinaus schwimmen, die nicht mit dem Netz eingefangen werden können. Hinter dem Damm ist der Auslauf bereits aufgestaut. Die Fische gelangen so unbeschadet ins Tosbecken und werden dort mit dem Kescher herausgeholt.

"Wir müssen auch die Entwässerung des Sees sicherstellen", nennt Behördenleiter Rosentritt einen weiteren Grund für die aufwändige Aktion. Denn ohne einen Grundablauf würde sich durch das Regenwasser und die Zuflüsse aus dem oberen Tal immer wieder Wasser um den Schacht herum ansammeln, das nicht abfließen kann. Die Folge: Der Sauerquellenbach hinter dem Damm würde trocken fallen.
Anstrengende und schweißtreibende Arbeit im Schacht
Nach stundenlanger Vorarbeit setzt Andreas Kirchner am Montagmittag dann den Kernbohrer an. Der Schacht ist eng, bietet kaum Bewegungsfreiheit. Um richtig Druck ausüben zu können, muss er sogar ein stückweit in den Abflusstunnel krabbeln. Die Arbeit ist anstrengend und schweißtreibend, trotz der Nässe und Kälte. Kollege Christian Heitel steht oben auf dem Schachtrand und pumpt Wasser in das Bohrgerät. Das ist nötig für die Kühlung der Bohrkrone, sonst würde der Motor heiß laufen.

Die Aktion ist "nicht ganz ohne", sagt Behördenleiter Rosentritt, der vom Boot aus die Sicherheit seiner Mitarbeiter überwacht. Nach fünf Minuten legt Andreas Kirchner den Zollstock an. Vier Zentimeter sind geschafft. Wenn es so weitergeht, ist das Loch in 30 Minuten gemacht. Doch je weiter der Bohrer vordringt, desto langsamer geht es. Der Schacht ist gut mit Eisen bewehrt. Hier durchzukommen, erfordert Druckkraft und Ausdauer. "Hoffentlich hält der Bohrer durch", sorgt sich der Behördenchef.
Schwarze Brühe ergießt sich in den Schacht
Der Bohrer hält. Nach knapp zwei Stunden mit mehreren Bohrpausen, um frisches Wasser in die Pumpe nachzufüllen, drückt sich braune Brühe durch den Bohrrand in den Schacht. Solange der Bohrkern steckt, ist das 23 Zentimeter große Loch noch einigermaßen abgedichtet. Andreas Kirchner trennt daher erst einmal die Maschine vom Bohrkopf und bringt das Gerät in Sicherheit.
Dann kommt der große Moment: Kirchner zieht Stück für Stück den Bohrkopf mit dem Bohrkern aus der Wand. Beim letzten Ruck ergießt sich in einem großen Schwall schwarze Brühe über seine Gummistiefel. Es läuft und läuft. Jetzt muss schnell abgedichtet werden, damit die Fische nicht hinausgespült werden. Vor dem Bohrloch wird eine Bretter-Spundwand in den Schacht gebaut, die man Stück für Stück öffnen und so den Abfluss des Wassers steuern kann.

Doch zuerst gibt's eine Verschnaufpause. Denn der eigentlich Kraftakt steht noch bevor, wenn die restlichen Fische aus dem Wasser geholt werden.
Fisch-Rettung: Profis aus der Rhön mit Keschern im Einsatz
Hierfür rücken am Dienstag wieder die Profis von der Fischzucht Rhönforelle aus Gersfeld an. Um 8 Uhr geht's los, der "Stöpsel" wird nun endgültig gezogen. Wer eine Wathose hat, ist im Einsatz. Vorneweg wieder der Talsperrenbeauftragte, bauchtief steht er im Wasser. Zuerst muss im meterhohen Schlamm unter Wasser ein Abflussgraben zum Schacht freigeschaufelt werden. Die Fische sollen mit dem Wassersog durch die Rinne in den Ablaufkanal gespült werden.
Am Ausfluss auf der gegenüberliegenden Seite des Damms haben sich die Fischer aus der Rhön positioniert. Mit Keschern holen sie die Fische aus dem Tosbecken und verfrachten sie sofort in die bereitstehenden Frischwassertanks. Fischwirtschaftsmeister Ralf Gensler, der die Abfischaktion leitet, ist hüben und drüben im Einsatz. Je mehr Wasser abläuft, desto schlammiger wird es. Es wird jede Hand gebraucht, um die noch im Becken verbliebenen Fische aus dem Schlamm zu schöpfen. Am Ufer stehen Helfer und spritzen zur Sauerstoffversorgung der Tiere Frischwasser hinein, das mit Fasswagen laufend vom Vorsee herangekarrt wird.

Andreas Kirchner kämpft um jeden Fisch. Ein großer Graskarpfen hat sich im Schlamm festgewühlt. "Den retten wir noch", ruft er seinem Kollegen Christian Heitel zu und schleppt sich mit einer großen Wanne durch den hüfthohen Schlamm. Das ist Schwerstarbeit. Die Rettungsaktion glückt - aber der Retter bleibt stecken. Ohne Hilfe kommt Kirchner hier nicht heraus. Die Kollegen werfen ihm ein Seil zu. Die Beine sind wie festzementiert, nur zentimeterweise kommt Kirchner vorwärts. Mit vereinten Kräften gelingt es, den Talsperrenbeauftragten wieder an Land zu holen.

"Das Betretungsverbot für den See hat schon seinen Sinn", verweist Michael Kolahsa auf die Lebensgefahr durch den Schlamm. Der Fischereifachberater des Bezirks Unterfranken hilft tatkräftig mit und lobt die professionelle Arbeit aller Beteiligten. "Den Fischen geht's gut", versichert am Dienstag denn auch Fischwirtschaftsmeister Ralf Gensler, für den solche Einsätze "Alltagsgeschäft" sind.

Nach der Mittagspause gibt es noch einen weiteren großen Rettungseinsatz: An die 30 große Karpfen zappeln in einer Schlammlache. Damit der Schwarm mit dem Netz herausgezogen werden kann, muss erst wieder Wasser ins Becken gepumpt werden. Es sind Prachtexemplare, manche einen Meter lang und locker 20 Kilo schwer. Am späten Nachmittag ist es geschafft. Die Fische sind gerettet, das Wasser ist weg, als Andenken bleibt der Bohrkern. Den will sich Andreas Kirchner als Trophäe auf seinen Schreibtisch stellen.

Wenn der Herr Kirchner noch Bohrkerne braucht.
Kann er haben jede Menge.
Die werden jeden Tag zu hunderten am Bau produziert 😄.
Tolle Aktion, jetzt haben alle 'was, was sie ihren Enkeln erzählen können und was sie daran erinnert, warum sie diesen Beruf überhaupt mal gelernt haben. Und die Fische werden auch gerettet. Also, wenn das nicht für alle ein erfolgreicher Tag war..!
Thumbs up!