Man sieht Hermine Weipert ihre 86 Jahre nicht an. Auch dass sie vor kurzem ein neues Hüftgelenk bekommen hat, lässt ihr forscher Schritt nicht erahnen. Die Seniorchefin des Maler- und Verputzerbetriebes Weipert in Stadtlauringen war für die Operation ins Josefs-Krankenhaus Schweinfurt gekommen. In ihr "Josefs", in dem sie vor 86 Jahren als erstes Baby aus Stadtlauringen und als eines der ersten überhaupt im Josefs-Krankenhaus zur Welt gekommen ist und das nun zum 31. März seine Entbindungsstation für immer geschlossen hat. Hermine Weipert war sozusagen von Anfang bis Ende dabei.
Dass Hermine Weipert als geborene Krug am 26. August 1936 im Josefs-Krankenhaus zur Welt kam, war nicht alltäglich. Zur damaligen Zeit gab's eigentlich nur Hausgeburten. Aber die Hebamme in Stadtlauringen habe sich nicht getraut, die Entbindung vorzunehmen, erzählt die Seniorin. Denn Mutter Juliane war 34 Jahre alt, als sie das erste Mal schwanger wurde. Zur damaligen Zeit galt man da als Spätgebährende und Risikoschwangere. Die Hebamme habe deshalb der Mutter nahegelegt, sich für die Geburt im Krankenhaus anzumelden.
Für Frauen auf dem Land war das mit einem hohen Aufwand verbunden, denn sie mussten ja irgendwie in die Stadt gefahren werden. In Stadtlauringen gab's damals nur zwei Autos, weiß die 86-Jährige. Vielleicht sei ihre Mutter in einem dieser Autos nach Schweinfurt gebracht worden. Möglicherweise aber habe man sie auch mit dem Pferdefuhrwerk ins Josefs-Krankenhaus kutschiert. Die Eltern hatten eine kleine Landwirtschaft, ein Gespann war vorhanden.
Die Geburt verlief anscheinend komplikationslos. Hermine Weipert weiß nur, dass sie "ein gesundes Mädchen" war. Mehr habe sie nie erfahren. "Darüber hat man doch nicht gesprochen." Auch Gewicht und Größe des Neugeborenen hat niemand notiert. Und es existiert nur ein einziges Baby-Foto von Hermine Weipert, auf dessen Rückseite die Jahreszahl 1936 steht.
In Stadtlauringen war Hermines Geburt eine Sensation
In Stadtlauringen sei ihre Geburt angesichts des Alters der Mutter schon eine kleine Sensation gewesen, erzählt die 86-Jährige. Denn die Mutter habe selbst immer geglaubt, dass sie keine Kinder bekommen könne. Tatsächlich hat Juliane Krug noch zwei weitere gesunde Kinder zur Welt gebracht, einen Sohn und eine Tochter.
Hermine Weipert hat auch drei Kinder geboren, zwei Söhne und eine Tochter. Im Gegensatz zu ihrer Mutter war sie bei der Geburt ihres ersten Kindes aber erst 22 Jahre jung.
Als Älteste der drei Krug-Geschwister bekam Hermine den Spitznamen "Die Große vom Marktplatz". Am Marktplatz in Stadtlauringen hat die Familie gewohnt, und bis heute zieht es Hermine Weipert dorthin. Auf dem Marktplatz ist die 86-Jährige im Januar auch gestürzt, weshalb sie das neue Hüftgelenk im Josefs bekommen hat.
Mit Schrecken denkt die 86-Jährige an diesen Tag zurück. Es war ein Donnerstag im Januar. Und es gab noch Corona-Einschränkungen, weshalb keine Angehörigen mit in die Klinik durften. Eine befreundete Ärztin aus Stadtlauringen habe sie dann in die Notaufnahme begleitet und alle Formalitäten geregelt. "Da war ich froh, dass ich nicht alleine war."
Hermine Weipert ist stolz auf ihre "sechs Weipert-Buben"
Hermine Weipert ist es gewohnt, Menschen um sich zu haben. Bis vor einigen Jahren half sie noch im Geschäft mit, das sie gemeinsam mit Ehemann Ludwig bis 1989 geführt hat. Dann haben die beiden Söhne Karlheinz und Ludwig die Firma am Ortseingang von Stadtlauringen übernommen, die heute 70 Mitarbeitende hat. Die 86-Jährige kennt die meisten beim Namen.
Bis zu ihrer Hüftoperation hat Hermine Weipert ihren Haushalt noch alleine geführt. Aktuell unterstützen sie die beiden Söhne und Schwiegertöchter sowie die Tochter – "aber nur bis ich wieder fit bin", stellt die Seniorin klar.
Stolz ist sie auf ihre vier Enkel und zwei Urenkel, "meine sechs Weiperts-Buben", wie die Oma sie schmunzelnd nennt. Enkel Ferdinand schickt sich gerade an, in die Firmenleitung einzusteigen. Der junge Maler- und Lackierermeister wird das schon 1920 gegründete Unternehmen dann in vierter Generation führen.
Fotomodell für den Geriatrie-Werbefleyer
Vor elf Jahren musste sich Hermine Weipert schon einmal einer schweren Operation unterziehen. Ihr linkes Knie war kaputt und musste erneuert werden. Natürlich in ihrem "Josefs". Damals gab's ebenfalls eine Premiere: Hermine Weipert war eine der ersten Patientinnen in der 2012 neu eröffneten Akutgeriatrie des Josef-Krankenhauses, in der sie nach der Operation ihre Frührehabilitation bekam.
Die Stadtlauringerin erinnert sich noch gut an diesen Aufenthalt. Denn plötzlich standen nicht nur Pflegerinnen und Pfleger in ihrem Zimmer, sondern auch ein Fotograf, der Hermine Weipert für einen Werbefleyer ablichtete. Das Pflegeteam hatte die charmante Seniorin als Fotomodell vorgeschlagen. Und Hermine Weipert machte mit.
Die 86-Jährige hat sich das Faltblatt aufgehoben. Sie ist darauf im roten Jogging-Anzug zu sehen. Auch den hat sie noch. Und er wird noch getragen, obwohl die Hose etwas weit geworden ist. Die rote Jacke habe sie sogar bei der Hüft-OP wieder in ihren Krankenhauskoffer gepackt, erzählt Hermine Weipert lachend.
Erinnerungsstein zum Andenken
Diese Treue zum Josef-Krankenhaus berührt auch die Klinikleitung. Die 86-Jährige wurde deshalb als Ehrengast zur Abschiedsfeier der Geburtshilfe eingeladen, die am 31. März, dem letzten Tag der Entbindungsstation, im Josef-Krankenhaus stattgefunden hat.
"Mir war es sehr wichtig, diese Veranstaltung ins Leben zu rufen, vor allem um sich bei den Mitarbeitenden für die langjährige und aufopferungsvolle Arbeit zu bedanken", sagt Personalleiterin Yvonne Riegel-Then. Als Andenken schenkte sie allen einen Erinnerungsstein mit einem besonderen Symbol – eine große und eine kleine Hand, die ineinander greifen.
Vielleicht wurde ihre Mutter von Herrn Hirschberger gefahren.
Die Hirschbergers bildeten die einzigen jüdischen Einwohner Stadtlauringens und besaßen als eine der ersten Ortsbewohner ein eigenes Auto.
Quelle: Leo Trepps Autobiographie, dokumentiert in: Trepp, Rabbiner