Dort, wo normalerweise Bananen, Milch und Brot ausgegeben werden, sitzen an diesem heißen Nachmittag einige junge Menschen und warten. Dieses Mal jedoch nicht auf die Lebensmittel. Sie warten, weil sie soeben gegen das Coronavirus geimpft wurden. "15 Minuten bitte noch da hinten Platz nehmen", sagt Ernst Gehling, Vorsitzender der Schweinfurter Tafel. So soll ausgeschlossen werden, dass die Impflinge körperlich empfindlich auf den Wirkstoff reagieren. Doch was macht der Corona-Impfstoff überhaupt im Tafelladen in der Brombergstraße?
In Kooperation mit der pensionierten Ärztin Dr. Rosemarie Klingele, der Arztpraxis "Leibold und Hezner" sowie ehemaligem medizinischem Personal – alle ehrenamtlich – hat die Schweinfurter Tafel Corona-Impfungen für ihre Kunden organisiert. "Wir haben allen, die es wollten, ein Angebot gemacht", sagt Vorsitzender Gehling. Gerade Menschen, die "am Rande der Gesellschaft" leben, müsse man in dieser Situation unbedingt helfen. Denn: "Vielen Verantwortlichen scheinen diese Menschen egal zu sein", so Gehling.
Gehling: Stadt und Landkreis werden ihrer Verantwortung nicht gerecht
Gut zwei Wochen liefen die Vorbereitung für den Impftag in der Schweinfurter Tafel. Zunächst wurden alle Kunden während der normalen Essensausgaben über die Möglichkeit informiert. Dabei, erklärt Gehling, habe man niemanden überreden wollen. "Es ging einfach darum, die Menschen zu informieren und ihnen die Möglichkeit anzubieten." Denn oftmals fehle es vor allem an Aufklärungsarbeit. Warum gerade Bedürftige, zu denen laut Gehling häufig auch Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund gehören, auf eine solche Aktion angewiesen seien, macht Gehling mit einem Beispiel deutlich.
"Schauen wir uns doch alleine mal das Sonderkontingent an Impfdosen an, das Stadt und Landkreis vor kurzem bekommen haben." Um davon eine Impfung zu erlangen, habe man einen Internetanschluss und ein Auto gebraucht. Zudem musste man die deutsche Sprache verstehen. Gehling versteht nicht, warum man etwa hierbei Bedürftige, die eben genau darüber oftmals nicht verfügen, bewusst umgangen hat. Generell machten sich politisch Verantwortliche aus Stadt und Landkreis Schweinfurt zu wenige Gedanken um "Menschen am Rande der Gesellschaft", beklagt Gehling. Offenbar reichten Angebote, bei denen etwa die Stadt bei verschiedenen Aktionen Menschen, die nicht gut deutsch sprechen, über das Thema Corona-Impfung informierten, nicht aus.
Impfung auch ohne Wohnsitz und Krankenversicherung
Während er die nächsten Kunden hereinbittet, hakt er die Namen auf einer Liste ab, auf der sich neben deutschen auch syrische, türkische, russische oder kasachische Namen befinden. Gerade die Sprachbarriere sorge oftmals dafür, dass viele nichts oder zu wenig über Corona und die Impfung wüssten, so Gehling. Umso wichtiger sei es, gerade von Seiten der Politik mehr auf die Menschen zu zu gehen und nicht nur zu behaupten, es herrsche überall Chancengleichheit, betont Gehling.
"Ich habe ein bisschen Angst", sagt eine junge Frau in gebrochenem Deutsch, während sie nochmal über die Impfung aufgeklärt wird. Beruhigt wird sie hier auch von Dr. Rosemarie Klingele, pensionierte Ärztin mit jahrelanger Erfahrung in der Flüchtlingshilfe sowie der Arbeit mit Bedürftigen. Sie ist die Medizinerin im Impfteam der Tafel und hat die Aktion selbst initiiert. "Es ist so wichtig, auch über den Tellerrand hinauszublicken", sagt die Ärztin, während sie eine Spritze in der Hand hält.
Die Öffentlichkeit verschließe viel zu oft die Augen vor der Realität. Dass es auch Menschen gibt, die beispielsweise obdachlos sind oder keine Krankenversicherung haben, werde immer wieder vergessen. "Deshalb müssen wir etwas machen", begründet Klingele die Impfaktion, bei der vor allem die Menschen angesprochen seien, die über den "normalen" Weg nicht erreichbar sind. Denn über Hausarztpraxen komme man an viele der Menschen gar nicht heran.
Tafel-Kunden erhielten "Johnson & Johnson"-Impfung
Insgesamt bekamen an diesem Nachmittag knapp über 40 Menschen eine Spritze gegen das Coronavirus. Somit nahmen etwa zehn Prozent der angefragten Haushalte ein Impfangebot an. Ernst Gehling ist damit sehr zufrieden. "Wenn man bedenkt, welche Skepsis gegenüber der Corona-Impfung in vielen Gesellschaftskreisen besteht, so konnten wir hiermit eine tolle Aufklärungsarbeit leisten." Ob es in Zukunft ein vergleichbares Angebote in der Tafel Schweinfurter oder etwa auch in der Außenstelle in Gerolzhofen geben wird, sei laut Gehling derzeit noch unklar. "Wichtig war erstmal, mit der Aktion die Aufmerksamkeit auf benachteiligte Menschen zu richten."
Verabreicht wurde der Wirkstoff von "Johnson & Johnson", welcher bereits nach einmaliger Impfung einen vollständigen Schutz bietet. Zur Verfügung gestellt wurden die benötigten Dosen von der Schweinfurter Arztpraxis "Leibold und Hezner". Wilma von Bibra, nichtärztliche Praxisassistentin aus besagter Praxis, freut sich über die Aktion. "Nur so können wir Menschen überhaupt erreichen, die von sich aus gar nicht erst zu einem Hausarzt kommen würden."
Würde es nicht so viele Ehrenamtliche und Vereine geben würde es in Schweinfurt leider bitter aussehen.
Traurig aber wahr, es wird nur verwaltet, nicht gestaltet!