Angesichts anhaltend hoher Infektionszahlen und einer steigenden Zahl von Toten baut Unterfranken sein Netz von sogenannten "Corona Tracern" massiv aus. Waren Ende Oktober, verteilt auf alle unterfränkischen Gesundheitsämter, etwa 90 Personen im Einsatz, so sind Ende November über 410 Kräfte im Ermitteln und Nachverfolgen von Corona-Kontakten aktiv.
"Corona Tracer" verfolgen am Telefon die Kontakte infizierter Personen nach. Dabei suchen sie nach Menschen, die sich angesteckt haben, verpflichten sie zu Quarantäne und Testung. Ziel ist es, die Infektionsketten zu brechen. Anfang November konnte man laut Bundeskanzlerin Angela Merkel 75 Prozent der Infektionen nicht mehr zuordnen. Wie sieht es aktuell in der Region aus?
Explodierende Zahlen, längere Suchzeiten
"Es ist ein intensives Ringen", sagt der Miltenberger Landrat Jens Marco Scherf (Grüne). Seit Wochen liegen im Hotspot Miltenberg die Sieben-Tage-Inzidenzen fast immer über 200; 26 Menschen sind gestorben, darunter etliche alte Menschen aus einem Pflegeheim. Aktuell verzeichnet der Kreis 30 bis 60 Neuinfektionen pro Tag und 900 Quarantänefälle. "Seit die Zahlen im November so explodiert sind, können wir nicht immer binnen 24 Stunden die Kontaktpersonen eines Infizierten ermitteln. Wir brauchen eher 48 Stunden dafür", gibt Scherf an.
Problematisch sei, dass es im Kreis Miltenberg ein "sehr diffuses Infektionsgeschehen" herrsche. Scherf: "Wir können nicht immer verlässlich sagen: Da kommt das Virus her." Dies sei wohl dem Umstand geschuldet, dass sich die Miltenberger in Richtung der Rhein-Main-Metropolregion Frankfurt orientierten und viele von ihnen pendelten. Scherf: "Wir können aktuell nur etwa ein Viertel der Infektionen rückverfolgen." Dennoch sagt er: "Davon, dass wir aufgeben, davon kann bei uns keine Rede sein. Wir geben den Kampf nicht auf."
28 Polizeibeamte haben sich freiwillig für den Einsatz in Tracing Teams gemeldet
Das Miltenberger Contact Tracing Team ist seit Oktober von knapp 20 auf 45 Personen angewachsen. Im Kampf gegen das Virus hat sich der Kreis unter anderem fünf Polizisten gesichert. Auch in den Teams der Kreise Schweinfurt, Haßberge und Main-Spessart helfen Polizeibeamte aus. "Diese insgesamt 28 Beamten kommen aus den lokalen Inspektionen, der Kripo, der Verkehrspolizei und aus dem Präsidium. Alle haben sich freiwillig gemeldet", berichtet ein Präsidiumssprecher.
Auch Soldaten sind in Unterfranken in den Contact Tracing Teams im Einsatz; allein das sei ein klares Zeichen dafür, wie ernst die Lage an der Corona-Front ist. "Denn die Bundeswehr unterstützt nur auf Antrag und nur da, wo es wirklich nicht anders geht", erklärt der Bundeswehrsprecher für Bayern, Oberstleutnant Carsten Spiering.
120 Soldaten sind in Unterfranken in der Corona-Hilfe aktiv
Das Procedere für sogenannte Hilfeleistungsanträge an die Bundeswehr ist kompliziert. Stellt ein unterfränkisches Amt einen solchen Antrag, geht der zunächst ans Bayerische Lagezentrum, wird dort auf Ressourcen geprüft und dann ans Kommando "Territoriale Aufgabe" in Berlin weitergeleitet, wo der Antrag auch mit Blick auf die Rechtslage bewilligt, entschieden oder teilbewilligt wird.
In der Pandemie hat die Bundeswehr allein nach Unterfranken 120 Soldaten geschickt: 40 von ihnen unterstützen die Corona-Teststationen, 80 weitere arbeiten in den Contact Tracing Teams. Allein in Schweinfurt sind 13 Soldaten eingesetzt.
In Schweinfurt ist die Lage angespannt
Das Corona-Virus hat gerade auch die Region Schweinfurt fest im Griff. Aktuell liegen 53 Menschen aus dieser Region in Kliniken, elf davon auf Intensivstationen. Im Moment sind über 1000 Menschen aus Stadt und Kreis Schweinfurt in Quarantäne –sie alle müssen durchs Gesundheitsamt Schweinfurt betreut werden.
Täglich kommen neue Fälle dazu – wie etwa am Donnerstag, als sich in einem Kindergarten 18 Personen als positiv herausstellen: drei Mitarbeiter, fünfzehn Kinder. Wen haben die Kinder in den Tagen zuvor besucht und vielleicht angesteckt? Mit wem sprachen die infizierten Mitarbeiter länger als 15 Minuten ohne Maske? Neue Arbeit fürs Contact Tracing Team in Schweinfurt, das unter dem Infektionsdruck massiv ausgebaut wurde.
Kämpfte man Ende Oktober noch mit etwa 30 Mitarbeitern gegen die Infektionsketten, so kann das Gesundheitsamt Schweinfurt jetzt auf rund 160 Kräfte zurückgreifen. "Natürlich sind nicht alle Mitarbeiter an jedem Tag im Einsatz, vielmehr sind derzeit Montag bis Freitag jeweils 110 bis 120 Mitarbeiter tatsächlich für das Gesundheitsamt tätig", berichtet Sprecherin Kristina Dienst. Bis zu 60 Kräfte arbeiten sogar am Wochenende.
Contact Tracing: In Schweinfurt helfen auch Finanzbeamte mit
Ein gemischtes Team ist das, das da unter extremem Druck ermittelt: Zum Stammpersonal des Gesundheitsamts (27 Mitarbeiter auf 20 Stellen) sind 60 Kollegen aus dem übrigen Landratsamt gestoßen, ergänzt durch vom Freistaat abgeordnete Beamtenanwärter. Zum aufgestockten Team gehören neben Soldaten und Polizisten mittlerweile auch unter anderem vier Finanzbeamte, sechs Kräfte des Technischen Hilfswerks, eine Ärztin der Arbeitsagentur sowie drei Hygienekontrolleure und vier Verwaltungskräfte.
Vorwärtsermittlung funktioniert, rückwärts ist es schwierig
Enormer Personaleinsatz also in Schweinfurt. Aber reicht das fürs Finden aller Kontaktketten? Oder können in Schweinfurt auch nur die von Kanzlerin Merkel beschriebenen 25 Prozent an Infektionsketten zugeordnet werden? "Durchgängig und zeitnah gelingt uns die Vorwärts-Ermittlung, bei der es darum geht herauszufinden, wer die engen Kontaktpersonen einer infizierten Person waren, um diese dann in Quarantäne zu setzen", antwortet Sprecherin Dietz.
Was allerdings die Rückwärtsermittlung betrifft, also die Frage, bei wem sich die infizierte Person angesteckt hat, hat auch Schweinfurt nur eine Quote von "40 bis 50 Prozent". Ähnlich äußern sich die Sprecher der Landratsämter Würzburg und Main-Spessart; sie vermelden eine sehr gute Trefferquote bei der Vorwärtsermittlung, gelangen allerdings bei der Rückwärtsermittlung "an ihre Grenzen".