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München/Schweinfurt
Bildungserfolg unabhängig der Herkunft: Schulleiter sehen im Startchancen-Programm großes Potential - und Grenzen
Bund und Länder wollen 20 Milliarden Euro in Grund- und Mittelschulen investieren für modernere Ausstattung und mehr Personal. Sie übersehen jedoch ein Problem.
Das Startchancen-Programm soll an Grund- und Mittelschulen mehr Chancengerechtigkeit schaffen und den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft entkoppeln (Symbolbild).
Foto: Philipp von Ditfurth, dpa | Das Startchancen-Programm soll an Grund- und Mittelschulen mehr Chancengerechtigkeit schaffen und den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft entkoppeln (Symbolbild).
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Julia Rüther
 |  aktualisiert: 09.11.2024 02:30 Uhr

Es ist das größte Bildungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik: das Startchancen-Programm (SCP). Rund 20 Milliarden Euro wollen Bund und Länder in den kommenden zehn Jahren in Grund- und Mittelschulen investieren, um mehr Chancengleichheit zu schaffen. Denn nationale und internationale Studien zeigen: In Deutschland hängt der Bildungserfolg immer noch von der sozialen Herkunft ab.

Das zu ändern, ist längst überfällig, findet Tomi Neckov, Vizepräsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) und ehemaliger Rektor der Frieden-Mittelschule in Schweinfurt. Er hält deshalb viel von dem Programm und begrüßt, dass auch Mittelschulen daran teilnehmen. "Die Mittelschule ist eine pädagogisch extrem anspruchsvolle Schulart, weshalb sie dringend gefördert werden muss und mehr qualifizierte Lehrkräfte braucht", sagt er. Das Startchancen-Programm verspricht, dabei zu helfen.

Geld für mehr Fachpersonal ist da – genügend Fachpersonal jedoch nicht

Die Auen-Mittelschule Schweinfurt ist eine der Schulen, die an dem SCP teilnimmt. "Über 80 Prozent unserer Schülerinnen und Schüler haben Migrationshintergrund und brauchen daher umfassende fachliche Betreuung", sagt Schulleiter Marco Forner. Deshalb möchte er mithilfe der Fördergelder unter anderem noch weitere Mitarbeiter für die Berufsorientierung einstellen sowie die Stunden der Jugendsozialarbeiterinnen erhöhen. "So könnten wir unsere Schülerinnen und Schüler noch mehr mit den Sozialkompetenzen ausstatten, die sie im Berufsleben einmal brauchen werden", hofft er.

Solche multiprofessionellen Teams sollte es an jeder Mittelschule geben, findet auch Neckov. Doch genau da liege das Problem: "Jetzt stehen zwar die benötigten Gelder zur Verfügung, aber es ist sehr schwierig, geeignetes pädagogisches Personal zu finden", gibt Forner zu bedenken. Denn in den Mittelschulen herrscht besonders großer Lehrkräftemangel.

"Früher wollten Schülerinnen und Schüler nicht auf die Mittelschule - mittlerweile wollen auch künftige Lehrkräfte nicht mehr an dieser Schulart unterrichten."
Tomi Neckov, Vizepräsident des BLLV

Laut bayerischer Lehrerbedarfsprognose von 2024 konnten dieses Jahr an den Mittelschulen von 1560 freien Stellen lediglich 720 besetzt werden. Und auch in den kommenden vier Jahren wird es kaum halb so viele Lehrkräfte geben, wie benötigt werden.

Studium bereitet nicht auf Herausforderung vor

"Früher wollten Schülerinnen und Schüler nicht auf die Mittelschule – mittlerweile wollen auch künftige Lehrkräfte nicht mehr an dieser Schulart unterrichten", sagt Neckov. An einer Mittelschule brauche es sehr viel Zeit für soziale Interaktionen. "Als Lehrer oder Lehrerin ist man zeitgleich Mama, Papa, Psychologe, Sozialarbeiter und Krisenintervenierer", berichtet er aus eigener Erfahrung.

Viele Kinder seien oft frustriert und demotiviert, weil sie notgedrungen auf die Mittelschule gehen und müssten daher oft umfassend betreut werden, so Neckov weiter. Eine Lehrkraft alleine könne das jedoch nicht stemmen.

Die wenigen Mittelschullehrer, die frisch aus dem Studium kommen, seien auf solch eine Herausforderung nicht ausreichend vorbereitet und daher schnell überfordert. Das verstärke das schlechte Image der Mittelschule, was wiederum dazu führe, dass weniger junge Menschen Mittelschullehramt studieren. Kurzfristig kann wohl auch das SCP diesen Teufelskreis nicht durchbrechen und beim Lehrermangel helfen. 

Unterfränkische Mittelschulen wollen zusammenarbeiten

Schulleiter Forner sieht das Programm dennoch als große Chance, den Unterricht an Mittelschulen neu zu gestalten und Schulentwicklung voranzutreiben. Er und sein Team haben schon einige Ideen, die sie mithilfe der Fördergelder umsetzen möchten. Sie möchten etwa "bewegte Klassenzimmer" schaffen, in denen man Möbel einfach verschieben und somit variable Lernräume schaffen kann. 

Besonders gut am SCP gefällt ihm, dass die Schulen Teile der finanziellen Mittel nach ihren individuellen pädagogischen Konzepten einsetzen können. "Das heißt, man kann das machen, was pädagogisch für die eigene Schule sinnvoll ist und muss kein vorgegebenes Konzept übernehmen", erklärt Forner.

Dennoch sei es wichtig, nicht nur innerhalb der Schule ein Team zusammenzustellen, das sich um die Ausarbeitung von Ideen und Plänen kümmert, sondern auch mit den anderen teilnehmenden Schulen ins Gespräch zu gehen und Ideen auszutauschen.

So haben er und seine Kolleginnen und Kollegen bereits "die Köpfe zusammengesteckt" und stehen mit dem Schulamt im Austausch. Außerdem sollen im März 2025 die Schulleiter der teilnehmenden Schulen aus ganz Unterfranken an der Auen-Mittelschule zusammenkommen, um gemeinsam zu besprechen, wie die Fördergelder aus dem SCP, die in drei Säulen aufgeteilt sind, am besten eingesetzt werden können.

Wie das Startchancen-Programm funktioniert und worin investiert werden soll

Die erste Säule sieht Investitionen in eine moderne Ausstattung und barrierefreie Lernorte vor. Für Schulsanierungen ist das Geld hingegen nicht gedacht; das bleibt weiterhin Aufgabe der Kommunen. Die Mittel der zweiten Säule können für die Schul- und Unterrichtsentwicklung, wie zum Beispiel Referentinnen und Referenten für fachlichen Input verwendet werden. Und die dritte Säule stellt Mittel für zusätzliches Fachpersonal wie Sozialarbeiter oder Schulsozialpädagoginnen. 

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Erklärtes Ziel des SCP ist es, Bildungserfolg unabhängig von der sozialen Herkunft zu gewährleisten. Deshalb werden die Gelder an Grund- und Mittelschulen mit einem hohen Anteil an sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen verteilt. "Wir hoffen nur, dass der bürokratische Aufwand für die Beantragung der Gelder und die Dokumentation der Umsetzung nicht zu hoch wird", sagt Forner. Sein Kollege Neckov wünscht sich, dass das SCP ein Startschuss ist, unser Schulsystem weiter zu verbessern.

Welche Schulen in Unterfranken über das SCP gefördert werden

Am 1. August sind deutschlandweit 2125 solcher Schulen in das SCP gestartet, 100 davon in Bayern. In Unterfranken wurden folgende Mittelschulen ausgewählt:
  • Albert-Schweitzer-Mittelschule Schweinfurt
  • Auen-Mittelschule Schweinfurt
  • D.-Paul-Eber-Mittelschule Kitzingen
  • Dalberg-Mittelschule Aschaffenburg
  • Frieden-Mittelschule Schweinfurt
  • Mittelschule Würzburg-Heuchelhof
  • Mittelschule Würzburg-Zellerau
  • Mönchberg-Mittelschule Würzburg
Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus
 
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