Die wenigsten werden sich daran erinnern, an die geplante Volkszählung, die dem Staat Informationen über künftige Planungen geben sollte. Das war 1983. Bundesweit hatten sich Initiativen gebildet, aus Furcht, dass die Menschen ausspioniert würden. Auch in Schweinfurt. Es wurde zum Boykott aufgerufen. Letztlich wurde das Vorhaben vom Bundesgerichtshof gekippt.
Dass sich aus der Protestbewegung heraus zwei Kulturzentren in dieser Stadt entwickeln würden, war nicht zu erahnen: Die Disharmonie und der Stattbahnhof, mit der Ausstrahlung über die Region hinaus. Und das bis heute, wenngleich die Protagonisten von damals überwiegend das Rentenalter bereits erreicht haben.
Ein gemeinsames politisches Ziel
Es hatten sich Menschen zusammengefunden mit einem gemeinsamen politischen Ziel, aber auch mit dem Wunsch, die Freizeit miteinander zu verbringen. Dabei brachen ziemlich gleichzeitig drei Einrichtungen weg, das "Sofa", die Kneipe "Eulenspiegel" und das Jugendzentrum "Cosmodrom". Alternativen wurden gesucht. Über 40 Objekte wurden begutachtetet, erinnert sich Norbert Lenhard, der bereits in der Gerolzhöfer Jugend- und Kulturszene unterwegs war. Fündig wurde man in der ehemaligen Schreinerei Weidinger am Obertor, die mittlerweilen der Stadt gehörte. Dort konnte im Mai 1985 eingezogen werden.
Dabei ging es zunächst weniger um Freizeitgestaltung. Der Ansatz war in Folge der Volkszählungsdebatte ("Boykott") schon stark politisch. "Wie kann man mehr Zustimmung zur Demokratie erreichen?" Erinnert sich Lenhard. In dieser Zeit gab es vor allem in Nürnberg und Frankfurt eine Bewegung "Kultur von unten", mit den bedeutenden Kulturreferenten Herman Glaser und Hilmar Hofmann. Kultur sollte sich nicht allein in großen Theatern und Konzertsälen abspielen, sondern breitere, auch jüngere Kreise erreichen: "Die Kultur – das Gute, Wahre und Schöne – vom Sockel holen". Gesellschaftlich Einfluss gewinnen. Soziokultur nannte man das.
Und so wurde vor nunmehr 40 Jahren der "Verein zur Förderung von Bildung und Kultur Schweinfurt" gegründet. Die Versammlungen dazu fanden am 7. und 9. Juni in der Gaststätte "Hartmann am Wall" statt. In den Vorstand gewählt wurden Norbert Lenhard, Michael Reißner, Marion Mack, Ruth Kremer und Wolfgang Rüttinger.
Die Skepsis war zunächst groß
Würden die jungen Leute das Vorhaben "Schreinerei" stemmen können? Die Skepsis war zunächst groß. Kritische Stimmen gab es vor allem aus der CSU, aber auch aus der SPD. Mit dem damaligen Oberbürgermeister Kurt Petzold ("Eine Stadt wie Schweinfurt braucht mehr als das offizielle städtische Kulturangebot") und dem Kulturamtsleiter Günther Fuhrmann, der mit seinem Theaterprogramm (1962-1990) durchaus zu provozieren wusste ("Degenhardt"), gewann der Verein starke Förderer.
Und von der CSU sprang der eher als sehr konservativ verortete German Cramer den jungen Leuten bei. "Die Kunst braucht Freiräume, auch von Ideologien und Parteien." Das war nicht selbstverständlich.
Die "Schreinerei", wie der Verein gemeinhin genannt wurde, suchte durchaus auch die Provokation. Mit einer "Schwarzen Messe" beispielsweise, die in Kirchenkreisen und in der CSU durchaus auf Kritik stieß. Heftig umstritten war auch ein "Deserteur-Denkmal", unter anderem durch den "Verband der Heimkehrer". Mit den Bluestagen wurde der Grundstein für das Projekt "Honky-Tonk" gelegt, das zwischenzeitlich über die deutschen Grenzen hinaus erfolgreich war.
In der breiten Öffentlichkeit genoss die Schreinerei einen eher zweifelhaften Ruf. Das Haus galt als schmuddelig, erinnerte sich der Kunstsinnige Hans Diesel in einer Veröffentlichung zum 30-jährigen Bestehen des Vereins. "Das Innenleben erschien mir, durch meine Brille gesehen, nicht mehr einladend". Der damalige Bürgermeister Herbert Müller habe ihm aber erzählt, dass er einmal einen ganzen Abend dort verbracht habe, und es habe ihm Spaß gemacht. Driesel hat inzwischen, wie er vor zehn Jahren sagte, die Vorbehalte zur alternativen Szene durch die Begegnung abgelegt.
In Teil 2 unserer Serie geht es um den Stattbahnhof und die Disharmonie