Sie ist extrem scheu, kaum jemand hat sie je gesehen. Dennoch hat sie für manche Schlagzeilen, viele Emotionen und noch mehr Gerüchte gesorgt: Die Wölfin, die sich im vergangenen Jahr in der Rhön niedergelassen hat. Doch nach der ersten Aufregung, nach Krisensitzungen und Aufklärungversammlungen ist es ruhig geworden um GW1068f, wie der amtliche Name des Tieres lautet.
Und das nicht zuletzt deshalb, weil sich die Fähe, so die Bezeichnung für einen weiblichen Wolf, sehr unauffällig verhält. Nicht nur, dass sie scheu ist. Wichtiger ist, dass ihre Nahrung weitgehend aus Wild besteht. Damit gerät sie kaum in Konkurrenz zu den Jägern. Denn Rehe und junge Wildschweine bevölkern die Rhöner Wälder in ausreichender Zahl.
Vereinzelt wurde auch ein Schaf oder eine Ziege gerissen. Allerdings waren das Einzeltiere, die wenig geschützt auf irgendwelchen Grünflächen standen. Die Frage, ob die Wölfin oder ein durchziehendes Tier dafür verantwortlich war, blieb ungeklärt. Und, ganz wichtig: Schaf- oder Rinderherden wurden von ihr bislang nicht angegriffen. Ein Verhaltensmuster, das die Wölfin durchaus aus ihrer brandenburgischen Heimat mitgebracht haben könnte. Erfahrene Leittiere dort, so Wolfsexperten, können negative Erfahrungen mit den Folgen derartiger Angriffe an Jungtiere weitergeben.
Risse im Truppenübungsplatz
"Laufend weitere Nachweise (Foto, Genetik) seit Bestimmung der Standorttreue", vermeldete das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) daher seit 2019 lapidar über die Rhöner Wölfin. In den vergangenen Monaten gab es keine Hinweise auf das Tier mehr - außer den üblichen Gerüchten und jüngst wieder einem nicht genauer bestimmbaren Foto im Internet. In den Kreisen von Jägern und Naturschützern ging man davon aus, dass die Fähe nun möglicherweise im Truppenübungsplatz Wildflecken lebt.
Diese Vermutung bestätigt Egon Schleyer vom zuständigen Bundesforstbetrieb Reußenberg nur teilweise. Erstmals, so der Leiter des Bereichs Naturschutz dort, sei die Wölfin vermutlich am 10. Januar von einem Jagdgast im Übungsgelände beobachtet worden. Im Januar und Februar registrierte Schleyer, der sich seit 20 Jahren mit dem Thema Wolf beschäftigt, Risse von Muffelwild auf dem militärischen Gelände. Bei einigen davon war es möglich, Genproben zu sichern. Das Ergebnis war eindeutig: Hier hat die Rhöner Wölfin gejagt.
Kein zweiter Wolf
Erfolgloser war der Bundesförster dagegen bei der Überwachung des Tieres mit Fotofallen. Grund dafür ist eine außergewöhnliche Eigenschaft der Rhöner Wölfin. Während ihre Artgenossen gerne bequem über Wege laufen, ist sie meist querfeldein unterwegs und meidet Wege. Das stellte Schleyer fest, als er an einem der wenigen Schneetage eine Spur verfolgte. Ein Gentest von Urinspuren, die er im Schnee entdeckte, belegte, dass es sich um die Fähe handelte, obwohl die Pfotenabdrücke für einen Wolf eher klein waren.
Dass das Tier während der Ranzzeit - das ist die Paarungszeit der Wölfe zwischen Januar und März - schon im zweiten Jahr hintereinander im Truppenübungsplatz war, kann Bundesförster Schleyer nicht bestätigen, aber auch nicht ausschließen. In Rhöner Jägerkreisen wird dies vermutet. Mit einem dreifachen "Nein" bestreitet er aber das Gerücht, dass im Truppenübungsplatz ein zweiter Wolf oder gar Welpen leben würden. Anhand von weiteren Gen-Nachweisen, Rissen oder Beobachtungen sei lediglich bewiesen, dass die Wölfin bis Anfang Mai im Truppenübungsplatz unterwegs war. Seither sei sie nicht mehr nachweisbar.
Ähnlich die Erfahrungen von Joachim Urban. Der Förster ist ehrenamtliches Mitglied im Netzwerk Große Beutegreifer, das Behörden bei der Dokumentation der Spuren von Wölfen, Luchs oder Bären unterstützt. Auch er hat seit Ende April, Anfang Mai keine gesicherten Erkenntnisse über die Rhöner Wölfin mehr. Allerdings gebe es eine mögliche Sichtung bei Forstarbeiten an der gesperrten Salzforststraße zwischen Windshausen und Schmalwasser vor etwa vier Wochen. Dies könnte bedeuten, dass die Wölfin wieder zu ihrem ursprünglichen Standort in Rhön-Grabfeld zurückgekehrt ist.
Letzter Riss am 18. Mai
Das wiederum kann der zuständige Jagdpächter, der seinen Namen und vor allem sein Revier in der Öffentlichkeit nicht genannt haben will, nicht bestätigen. Den letzten Wolfsriss hier datiert er auf den 18. Mai. Seitdem hat er keine Spur vom Wolf oder gar das Tier selbst gesehen. Dass der Wolf nicht vor Ort ist, belegt für ihn auch das Verhalten des Rehwilds. Die Tiere verhielten sich jetzt wieder weitaus ruhiger und entspannter als zu den Zeiten, als der Wolf hier noch unterwegs war.
Einer, der die Entwicklung beim Thema Wolf naturgemäß sehr genau beobachtet, ist Rhönschäfer Josef Kolb. Er hat die verschiedensten Vorbereitungen getroffen, Schutzzäune und Herdenschutzhunde angeschafft. Derzeit sieht er die Lage allerdings gelassen. Denn auch ihm ist in den vergangenen Monaten nichts mehr von der Wölfin zu Ohren gekommen.
Monatelange Unauffälligkeit nicht ungewöhnlich
Wo die Rhöner Wölfin sich aufhält oder ob sie überhaupt noch lebt, ist derzeit also nicht bekannt. Allerdings hält man das beim LfU nicht für ungewöhnlich. Das Tier sei sehr scheu, der Radius eines Wolfes sehr groß. Da sei es nicht unüblich, wenn er für einige Monate nicht auffällig werde. Erst falls er innerhalb eines Wolfsjahrs, das jeweils am 1. Mai beginnt, nicht gesehen werde, würde die Rhön nicht mehr zu den Regionen standorttreue Tiere zählen.